»Das Gefängnis ist ein Mikrokosmos unserer Gesellschaft« – Arman T. Riahi im Interview zu »Fuchs im Bau«

Mit seinem neuen Film »Fuchs im Bau« eröffnet Arman T. Riahi die diesjährige Diagonale. Im Interview erzählt er, warum der Film in einem Gefängnis spielt, welche Herausforderungen es beim Dreh gab und welche Beziehung er zu seiner Kreativität hat.

© Ivory Rose Photography — »Fuchs im Bau«-Regisseur Arman T. Riahi: »Das Unbewusste und die Kreativität sind wie Geschwister.«

»Willkommen im Strafvollzug!« – So wird Hannes Fuchs (Aleksandar Petrović) zu Beginn des Films begrüßt, als er seinen neuen Job als Gefängnislehrer antritt. Er soll die dort unterrichtende Elisabeth Berger (Maria Hofstätter), die mit ihren unkonventionellen Methoden bei der Gefängnisleitung aneckt, unterstützen. Arman T. Riahi, dessen Spielfilmdebüt »Die Migrantigen« der dritterfolgreichste Film des österreichischen Kinojahres 2017 war, begibt sich mit »Fuchs im Bau« also in die Welt eines Gefängnisses – mit all seinen eigenen Regeln und mit all den unterschiedlich schwierigen Biografien seiner Figuren. Dabei abermals an Riahis Seite: Aleksandar Petrović sowie Faris Rahoma – neben Andreas Lust und Sibel Kekilli sowie einer Reihe von Laiendarsteller*innen.

Dein neuer Film wurde von der Lebensgeschichte realer Personen inspiriert. Wie hast du dich dem Thema genähert?

Arman T. Riahi: »Fuchs im Bau« nahm seinen Anfang während der Recherche zu meinem ersten Langfilm »Schwarzkopf«. Ich wollte mit Jugendlichen sprechen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren. Also rief ich in der Justizanstalt Josefstadt an und fragte, ob ich in die Jugendabteilung darf. Dort habe ich dann den Gefängnislehrer Wolfgang Riebniger kennengelernt – oder wie ich ihn liebevoll nenne: Häfn-Merlin. Er hat mich vom ersten Tag an beeindruckt. Seine Statur, seine langen grauen Haare, sein Charisma, vor allem aber seine Art, mit den Jugendlichen umzugehen. Er war genauso frech wie die Insass*innen und hat ihnen die Stirn geboten. Er hat sie ständig gefordert, ob mit paradoxer Intervention, spontanen Ausflügen in die Gefängnisküche oder mit Kunstunterricht. Er hat regelmäßig Kunstschaffende und Autor*innen ins Gefängnis geholt und den Kindern Einblicke in fremde Welten gegeben. Die Gefängnisschule war der einzige Ort im Gefängnis, an dem die Jugendlichen frei waren. Seine Persönlichkeit war maßgeblich für den Film, aber er war nicht der einzige Lehrer, den ich im Laufe der Recherche kennengelernt habe. Auch Sieglinde Rettenbacher, eine Pädagogin einer Salzburger Haftanstalt, war Vorbild für den Film. Die Entscheidung, aus meiner Lehrerpersönlichkeit eine Frau zu machen, war wichtig, um eine eigene Figur zu schaffen, die autark ist, und um eine Distanz zu schaffen. Auch wenn der Film von wahren Begebenheiten inspiriert ist, ist er am Ende Fiktion.

Was hat dich am System Gefängnis interessiert?

Das Gefängnis ist ein Mikrokosmos unserer Gesellschaft. Die Strukturen »draußen« sind jenen »drinnen« sehr ähnlich, nur ist alles noch konzentrierter, noch klarer. Das Gefängnis funktioniert wie ein Brennglas, es schärft bestehende Machtverhältnisse. Foucault behauptete, die Disziplinierung von Menschen in Gefängnissen oder Schulen habe eine produktive Gesellschaft hervorgebracht. Doch wir wissen heute, dass das Gefängnis tendenziell mehr Kriminalität verursacht und nicht weniger. Zusätzlich zu diesen Fragen gibt es persönliche Gründe, warum mich das Gefängnis fasziniert: Mein Vater war fünf Jahre in Haft – unter körperlicher und psychologischer Folter. Auch meine Mutter, sogar meine Schwester und ich selbst sind nach unserer Flucht in der Türkei von türkischen Behörden inhaftiert worden – als Kleinkinder.

Wie hast du es geschafft, dass alle Schau­spieler*innen, die unterschiedlich viel Erfahrungen vor der Kamera haben, gut zusammenarbeiten?

Ich habe viel gecastet und auch ein bisschen geprobt, speziell mit den Jugendlichen. Also mir war ein Jahr vor dem Dreh bewusst, dass der Film mit den jugendlichen Insass*innen steht und fällt. Und dass die Schule authentisch sein musste – wobei das ja auch irgendwie ein Widerspruch ist, denn kaum jemand weiß, wie eine Gefängnisschule von innen aussieht. Also haben meine Casterinnen Cherrelle Janecek und Denise Teipel von Kids of the Diaspora über 400 Jugendliche gecastet. Bevor ich mich fix entschieden habe, habe ich mir die jugendlichen Schauspieler*innen gemeinsam in Konstellationen angesehen, die einer Klassenzusammensetzung ähneln. Schließlich haben wir auch den Dreh um die Klassenzimmeraufnahmen herum gebaut. Ich wollte die Szenen, die in der Gefängnisschule spielen, chronologisch drehen, damit die Laien sich besser zurechtfinden. Am Ende bleibt zu sagen, dass es sehr wichtig ist, nicht zu viel zu proben. Sehr viel passiert beim Drehen, durch Spontanität, durch Einfälle grandioser Schauspieler*innen wie Aleksandar, die Figuren Leben einhauchen.

Gedreht wurde größtenteils in einem ehemaligen Bezirksgericht in Stockerau und in dem daran anschließenden ehemaligen Gefängnis. Wie hat das eure Arbeit beeinflusst und welche Herausforderungen gab es beim Dreh?

Es war essenziell, dass wir in einem echten Gefängnis drehen durften. Vor den Dreharbeiten habe ich die jungen Schauspieler*innen in die Zellen gesperrt, damit sie zumindest eine klitzekleine Ahnung davon bekommen, was es heißt, inhaftiert zu sein. Das klingt jetzt schlimmer, als es war, aber die Aura des Gefängnisses hat viel in ihnen bewirkt. Auch drehtechnisch war es übersichtlicher, ein leerstehendes Gebäude zu haben, in dem wir uns austoben konnten, als alles im Studio nachzubauen. Ein Studiodreh wäre viel teurer gewesen. So haben wir die Zellentrakte, die Gitter und Gänge und Dienstzimmer des Gerichtsgebäudes umgestrichen, die Gefängnisschule gestaltet – und hatten unseren Häfn. Wir mussten nur Entscheidungen treffen: Soll das Gefängnis aussehen wie ein modernes Gefängnis – also hell, weiß, steril? Oder wie das graue Haus? Alt, mit Patina, verwinkelt? Woher kommt das Licht? Und wie müssen die Gänge aussehen, damit die Gefängnisschule einen Kontrapunkt setzt? Das ehemalige Bezirksgericht in Stockerau hat viele unserer Fragen beantwortet. Es war eine tolle Grundlage für die weiteren Schichten, die wir drauflegen mussten und auf die es eigentlich ankam. Denn »Fuchs im Bau« ist ja in seinem Kern ein Kammerspiel. Und aus diesem Kammerspiel versuchen meine Figuren ständig auszubrechen.

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