Geschichten aus der Wienerstadt

Vor zwei Jahren gestartet, ist Vintage Vienna heute eine der erfolgreichsten nichtkommerziellen Facebook-Seiten Österreichs. Dabei muss der Blick in die Vergangenheit Wiens nicht nur nostalgisch sein.

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Am Anfang stand eine vage Idee und vor allem der Spaß an den alten, vergilbten Familienfotos. Michael Martinek, manchen vermutlich als Labelchef von Fabrique Records bekannt, und Daniela Horvath, ebenfalls Medienbranche, beschlossen im Frühsommer 2012, einige alte Fotos zu digitalisieren und diese auf Facebook unter dem Namen Vintage Vienna auszustellen. »Wir sind große Freunde und auch Sammler alter Wien-Fotos und wollten diese Leidenschaft mit unseren Freunden teilen. Ursprünglich sollte es einfach eine Art Zeitreise sein, die auf Bildmaterial beruht«, erklärt Martinek im Interview. Die Fotos, nur teilweise in Farbe, stammen aus Familienalben, die in Schuhschachteln gelagert waren.

Bei Vintage Vienna stehen nicht nur die Menschen, sondern auch die Stadt und ihre Entwicklung im Fokus. Martinek und Horvath erheben explizit keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sprechen von einem großen Fotopuzzle, das mit immer mehr Bildern ein engmaschiges Netzwerk über die Stadt zieht. Da tragen die Leute Hüte und Kopftücher, Neonschilder erleuchten die Stadt und Autos und Kutschen drängen sich um den Graben und die Pestsäule. Dort, wo in den 60er Jahren noch kilometerweit Ackerflächen zu sehen waren, rollen heute tagtäglich tausende Autos unten durch und wohnen hunderte Familien obendrauf: Die Rede ist von der Donauplatte. Es geht nicht nur um eine Zeitreise, die Bilder schaffen auch ein Bewusstsein dafür, wie schnell sich eine Stadt ändert, wie schnell sich die Oberflächen und Menschen in nur ein paar Jahrzehnten ändern können. Ganz überschätzen sollte man diesen Aspekt zwar nicht, aber in Vintage Vienna steckt so durchaus auch ein bisschen Aufklärung. Darüber, was der Mensch schafft und wie er selbst darüber hinwegwuchert.

Für die Macher wurde der Spaß mit der Facebook-Seite bald zu einer zunehmend ernsten Angelegenheit, denn die Likes stiegen rapide an. Nachdem sich sämtliche Tageszeitungen dem Thema mit Bildstrecken gewidmet hatten, gab es kein Halten mehr. »Wir waren mit einem Medienhype konfrontiert, ohne darauf wirklich vorbereitet zu sein. Das hat uns einerseits motiviert, tiefer in den Archiven zu graben, andererseits bekamen wir immer mehr Fotos zugeschickt«, fasst Martinek die ersten Monate zusammen.

Alte Erinnerungen und neue Erkenntnisse

»Wir haben zufällig bemerkt einfach, dass wir die Leute emotional abholen und das ist wirklich schön!« Aber warum genau funktioniert ein Projekt wie Vintage Vienna so gut? Schließlich kommen die beiden Idealisten ohne Werbe- und PR-Budget aus, Vintage Vienna ist durch Mundpropaganda und einen Algorithmus gewachsen, der Fotos auf Facebook deutlich bevorzugte. Martinek: »Es geht um die Community: Menschen, primär natürlich echte Wienerinnen und Wiener, die in dieser Stadt leben und gelebt haben. Das Faszinierende an diesem Projekt ist das Crowd-Wissen, das unglaubliche Geschichten und geschichtliche Details ans Tageslicht befördert. Außerdem fühlen sich viele Nutzer an ihre eigene Kindheit zurückerinnert.«

Offensichtlich haben Martinek und Horvath den Zeitgeist richtig erkannt und die Sehnsucht der Leute nach »der guten alten Zeit« mit dem neuen Medium Internet perfekt verbunden. Sie sprechen erstaunlicherweise sowohl junge als auch ältere Menschen an: Für die ab den 80er Jahren geborene Generation gibt es auf den Fotos viel Neues zu entdecken, wie die Stadt früher war. Für die Älteren geht es um Erinnerungen an ein früheres Leben, auch mit Blick durch die rosarote Brille. So entsteht bei vielen Leuten der Wunsch, eigenes Material zu sichten und dem Vienna Vintage-Team zu schicken. Jene, die tatsächlich Fotos einschicken, sind laut Martinek sehr aktiv: »Wer uns Fotomaterial schickt, begnügt sich nur selten mit einem einzelnen Bild. Einige senden 1-2 Fotos und manche Leute liefern über Monate immer wieder neue Fundstücke.« Martinek schätzt, dass rund 40 Prozent aller Nutzer aus Wien stammen.

Bild(er) © Franz Dokulil Gerhard Walter Privatarchiv Ingrid Kollmer Privatarchiv Philipp Schneider Walter Gmeinder
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