Wir sind jetzt Post-Graffiti

Street-Art in Wien findet sich eher im siebten Bezirk als in Kagran und eher auf freigegebenen Flächen als auf U-Bahnen und Werbemitteln. Die Tendenz geht klar weg vom Graffiti und hin zur Kunst im öffentlichen Raum.

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Auf Nychos Arbeiten wurde erstmals 2010 ein Galerist in London aufmerksam. Nur eine Woche war Wiens Street-Art-Aushängeschild an der Themse aktiv gewesen, schon kam es dort zu seiner ersten Ausstellung. Zahlreichen Galeriebesucher fanden seine Arbeiten interessant, wenige haben gekauft. Darauf war Nychos vorbereitet. Die Londoner Sammler kaufen in der Regel kaum bei Künstlern, die sie noch nicht kennen. Das war damals der Unterschied zwischen Wien und London. Während Arbeiten von Street-Artists in Österreich oft noch zur Wohnzimmerdekoration gekauft wurden, unterlag Street-Art in London bereits den ganz gewöhnlichen Gesetzen des Kunstmarktes. Eine Reihe von Blogs und Magazinen haben damals auf Anhieb über die Ausstellung berichtet. Heute halten den Steirer Nychos daher viele für einen Londoner Street-Artist.

Mittlerweile geht Street-Art auch in Wien in Galerien. Dabei wollte Street-Art ursprünglich genau da nicht hin. Der Begriff ist dabei ein bisschen schmierig geworden. Vielleicht, weil er in den letzten Jahren ein paar Mal zu oft von Energiedrinks oder Sportartikelherstellern eingespannt wurde. Sicher ist die Kommerzialisierung für die Szene ein Grund, sich immer öfter Urban Art oder Urban Hacktivism zu nennen. Das Feld hat sich aber konsolidiert. Street-Art bewegt sich weg vom "Graffiti with Benefits" hin zur "Kunst im öffentlichen Raum" und vom öffentlichen Raum immer öfter auch in die Galerien.

Die Kunsthalle im Museumsquartier war einer der ersten großen Institutionen, die sich der Street-Art annäherten. Vor ein paar Jahren gab es dort die erste große Street-Art-Ausstellung. Und: sie verkauft sich! Projekte wie die Inoperable Galerie in der Burggasse, das "Blk River Festival" und später "Escape The Golden Cage" haben dazu beigetragen, internationale Artists nach Wien zu holen und Street-Art als Kunstform zu festigen. Die Inoperable kooperiert dafür mit ganz klassischen Institutionen wie dem KÖR, oder auch ganz klassischen Galerien wie der Hilger Contemporary. Im Quartier21 werden Räume und Möglichkeiten geschaffen (siehe Interview). In der aktuellen Amose & Erone-Ausstellung der Inoperable gibt es einige gar nicht allzu große Arbeiten, die mit ein paar tausend Euro die gleichen Preise erzielen, wie ähnliche Werke junger bildender Künstler. Auch in der Hilger Contemporary wird man im Rahmen des Festivals "Cash, Cans & Candy" kaufen können. Vom Preis und Charakter nähert man sich also an.

Same same but different?

Die Street-Art-Werke, die in Galerien hängen, unterscheiden sich zumindest zum Teil nicht mehr von Grafiken oder Malereien, wie man sie auch in jeder Galerie finden könnte. In der Inoperable kümmert sich Nathalie Halgand als eine von zwei Betreibern um die Texte, genau wie es in jeder anderen Galerie auch passieren würde. Für Nathalie ist der nächste logische Schritt für die Inoperable, auf Kunstmessen mit eigenen Ständen vertreten zu sein, wie das Kunstgalerien eben tun: "Es geht in der Galerie nur noch um die Wurzeln, darum, wo ein Künstler herkommt. Viele Arbeiten bei uns könnte man zum Beispiel genauso gut als Pop-Surrealismus bezeichnen." Was Street-Art jedenfalls schafft, ist leicht zugänglich zu sein. Manchmal ein bisschen kitschig, oft mit Grafiken für Plattencover, Skateboards oder Shops, tragen viele Street-Artists nicht die schwere Last eines alten Kunstbegriffs. Das öffnet neue Käuferschichten. "Der klassische Street-Art-Sammler ist um die 30, selbstständig, oft Unternehmer, häufig aus einer Design-Agentur", erklärt Nicholas Platzer, Gründer der Inoperable.

Wien, offene Stadt?

In Wien hat es Street-Art also in die Galerie geschafft. Aber wie sieht es auf der Straße aus? Das Wiener Stadtbild ist musealer als die New Yorker oder Berliner Betonwüsten. In Wien ist das Blickfeld in den Gassen eng, die Sandsteinfassaden sind technisch eine schlechte Fläche und architektonisch kaum eine Provokation. Aber auch in Wien gibt es soziale Brennpunkte und böse städteplanerische Fehler, vor allem abseits des Zentrums. Dennoch, die Mauer im Westjordanland oder Favelas in Südamerika provozieren Street-Artists zu sozialkritischen Arbeiten. Die pinken Puffstraßen und grauen Autobahntrassen in Vösendorf und Kagran schaffen das offensichtlich nicht. Auch im ersten Bezirk sind kaum Arbeiten, in den inneren Bezirken 4, 6 oder 7 ist mehr los. "Wien ist grundsätzlich sehr konservativ, aber wir haben hier den Vorteil, dass es in den 90ern nicht den gleichen Overkill gab wie in Barcelona, New York oder Berlin. Darum ist die Stadt heute immer noch grundsätzlich offen für neue Projekte", meint Nicholas Platzer. "Anders als zum Beispiel in Barcelona, wo es jetzt für die Ladenbesitzer verboten ist, ihre Rollläden bemalen zu lassen." In Barcelona wird mittlerweile eine Null-Toleranz-Strategie gegenüber Street-Art und Graffiti gefahren. Praktisch ist das der Todesstoß, denn die bemalten Rollläden haben die Szene dort ausgemacht und finanziert. In Wien gibt es dagegen immer mehr private und öffentliche Aufträge zur Raumintervention. Wien kommt, wie in so vielem, erst nach dem Hype und kann davon profitieren.

Bild(er) © 1: Hannes Friesenegger 2-5: Yannick Gotthardt
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