1 Monat 1.0: Erkenntnisse des Experiments

Pure Neugier brachten mich dazu, es ein Monat ohne Facebook und Twitter zu versuchen. Vom Leben als digitaler Höhlenmensch.

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Zigaretten sein zu lassen, ist leichter. Denn auch wenn Unbedarfte von Vereinsamung reden: Tatsächlich sind Facebook und Twitter natürlich soziale Drogen. Den Kick verschaffen einem Interaktion, Diskussion und Austausch. Am ersten Tag ist der Entzug am härtesten. Ich fühle mich von der Welt abgeschnitten. Irgendetwas fehlt. Vor dem Rechner sitzend logge ich mich einmal reflexartig, wie aus dem Rückenmark, auf Facebook ein; sofort bin ich über den Automatismus erschrocken. Die Nachricht meiner temporären Abstinenz beschert mir unerwartete Mails und Kurznachrichten. Theoretisch weiß man es klarerweise. Praktisch überrascht einen dann doch, wer aller von den eigenen Aktivitäten auf Facebook und Twitter Notiz nimmt. Auch Menschen, mit denen man wenig kommuniziert.

Tag zwei ist nicht viel besser. Man spricht mich auf der Straße, bei einer Jury-Sitzung, im Kaffeehaus und spätnachts auf der Party auf mein Experiment an. Wahrscheinlich redet man auch im Netz über mich und ich krieg‘ von all dem nichts mit. Ich vertraue auf die Vernunft meiner sozialen Kontakte. Als Teenager wäre dieser Druck womöglich unpackbar. Ich müsste mich einloggen.

Wozu das Ganze?

Ich möchte wissen wie es sich anfühlt ohne die Annehmlichkeiten meines hyperaktiven 2.0-Lebens. Ob mich meine Absenz zum Außenseiter macht oder entspannter. Wie ich denke, mich informiere. Wie sich meine Welt verändert hat, seitdem ich mich irgendwann 2008 auf Facebook und wenig später auf Twitter registriert habe. Es ist Neugier, kein Kulturpessimismus. Keine Sekunde zweifle ich daran, ob ich wiederkehren werde.

Schnell merke ich: Meine Welt ist kleiner geworden. Ein bisschen komme ich mir vor wie ein Höhlenmensch, kriege nichts mehr mit, fühle mich gestrandet. Als bestünde der Rest der Welt aus Esoterikern, die über einem selbst nicht zugängliches Geheimwissen verfügen.

Aber: Ich habe schon lange nicht mehr so konzentriert gearbeitet. Wenn der unaufhaltsame Nachrichtenstrom am Schirm abreißt, dann passiert Bewegung plötzlich nur mehr in der Inbox, wenn neue Mails eintrudeln. Ein statisches Leben im Schneckentempo, beschaulich wie die Idylle vom Dolce Vita in der italienischen Provinz.

Es ist wie mit den Zigaretten: Am dritten Tag hast du die Sache überstanden. Aber es wird nie wieder wie als Nichtraucher sein. Du bleibst ein Ex-Raucher. Auch entwöhnt weißt du, was dir abgeht. Vom Tod von Lou Reed erfahre ich nicht auf Twitter, sondern via FM4. Ich wäre gespannt, welche Links zu lesenswerten Nachrufen Kollegen posten. Welche Anekdoten alte Bekannte aus der Musikindustrie, die mit ihm zu tun hatten, auspacken. Welche Velvet Underground-Videos kursieren. Nichts davon bekomme ich mit. Auch der eine oder andere Viennale-Tipp käme mir gelegen.

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