Der Horror des Alltags – Kurdwin Ayubs wahre Geschichten

Gerade erst hat Kurdwin Ayub in Berlin für ihren ersten Langspielfilm einen Preis gewonnen, nun darf die Regisseurin mit »Sonne« die Diagonale eröffnen. Beim Gespräch in Wien erzählt Ayub, wie sie mit ihren Filmen immer wieder das Grauen der migrantischen Identitätsprobleme der zweiten Generation, kulturelle Aneignung und mediale Selbstdarstellung vor die Linse holt.

© Teresa Wagenhofer

Im ehemaligen Luftschutzbunker, in dem das Wiener Folter­museum untergebracht ist, ist an diesem Tag die Heizung ausgefallen. Deshalb frösteln die Fotografin und ich bereits ein wenig, als wir zwischen Totenkopf-Brief­beschwerern, Schoko­riegeln und gravierten Namens­armbändern im Museums­shop auf Kurdwin Ayub warten. Doch der Jung­regisseurin, die mit »Sonne« gerade erst bei der Berlinale mit dem GWFF Preis für den besten Erstlingsfilm ausge­zeichnet wurde, läge nichts ferner, als hier einen absichtlich verspäteten Promi­auftritt hinzulegen: »Entschuldigung, aber ich kann nicht einparken«, über­schlägt sich ihre Stimme, als sie sich schließlich hastig durch die Tür zwängt.

Eine gewitzte Verspielt­heit blitzt in ihren braunen Augen auf, die kunst­voll mit einem dicken schwarzen Lid­strich umrandet sind. Die Kombination von schwarzer Leder­hose mit hell­violettem Pullover, den eingestickte blut­ähnliche Tropfen säumen, wirkt sowohl stylish als auch provokant und passt perfekt ins Foto­shooting, für das Ayub gleich mit Eiserner Jungfrau und Guillotine auf Tuch­fühlung gehen wird.

Doch provozieren will Ayub in diesem Moment eigentlich gar nicht. Für sie hat der Ort einen nostalgischen Wert. »In 80er- und 90er-Filmen wie ›Terminator‹, ›Gremlins‹ oder ›Robocop‹ wurde mit Stop-Motion-Effekten gearbeitet. Ich habe das in der Malerei- und Animations­film-Klasse an der Universität für angewandte Kunst studiert, und die Puppen erinnern mich daran.« Diese Verbunden­heit zeigt sich, als Ayub sich beinahe zärtlich an die Frau am Scheiter­haufen schmiegt. Ein bisschen weniger Einsatz, so die Anweisung von unserer Seite. Wir haben schließlich keine Idee davon, wie desolat die Puppen nach all den Jahren bereits sind. Warum dann keine Karriere als Genre- und Horrorfilm­regisseurin? »Keine Ahnung«, sagt Ayub und zuckt mit den Schultern, »ich meine, ich zeige den Horror des Alltags. Das ist auch okay. Es ist Realismus.«

Schwieriger Begriff Heimat

Dieser Horror des Alltags nährt sich für die junge Filme­macherin immer wieder aus der eigenen Biografie. Als Tochter zweier irakischer Kurd*innen 1990 im Nordirak geboren, flüchtete ihre Familie 1991 im zweiten Golf­krieg nach Österreich. Ayub wuchs gemein­sam mit ihren zwei Geschwistern in einer Siedlung im Bezirk Simmering im Süden Wiens auf. Den Eltern, die vor der Flucht als Ärzt*innen gearbeitet hatten, gelang es, diesen Beruf in Österreich wieder aufzunehmen.

Der Horror, den Ayub in ihren Filmen ausdrückt, spiegelt aber nicht nur die Flucht­erfahrung der Eltern wider. Ihre Protago­nist*innen kommen aus der zweiten Generation. »Das wird super unter­schätzt«, erklärt sie. »Wenn die Eltern kriegs­traumatisiert sind, dann nehmen das die Kinder ja auch mit aus der Erziehung.« Dass sie das auch selber betrifft, erkannte sie erst, als sie älter wurde: »Ich habe als Kind immer geglaubt, ich lebe ein Leben wie alle anderen. Aber das stimmt nicht.« Heimat sei für sie nach wie vor ein schwieriger Begriff: »Ich sage immer, ich komme aus der Wohnung meiner Familie in Simmering.« Diese gebrochene Familien­dynamik zu verarbeiten, dabei half Therapie. Und letztlich auch der Film.

»Ich packe Erinnerungen, die ich gemacht habe, und die irgendwie schmerz­haft sind, nicht in eine mentale Box, sondern in einen Kamera­rahmen, und schmücke sie mit ein bisschen Humor.« Diesen lernte sie in Wien: »Ich mag, dass die Leute hier so grauslich sind, dass sie so sudern, und dass sie so lustig sind. Dieser Wiener Humor spiegelt sich auch in den Filmen wider.«

Kurdwin Ayub © Teresa Wagenhofer

Eine Melange aus Tragik und Komik zog sich schon durch Ayubs frühe Performance-Arbeiten wie »Abscission (Vaginale VI)«, »Katzenjammer«, »Sexy« oder »Video 1«, als sie die Kamera noch nicht auf andere richtete, sondern auf sich selbst. »Ich wollte kleine Kurz­filme machen mit diesen Geschichten. Dafür habe ich aber keine Schau­spielerin gefunden. Daher habe ich mich benutzt.« Ayub spielt in all diesen Shorts eine junge Frau, die sowohl für einen nie gezeigten Freund als auch für ihre Online-Follower eine Show abzieht, während im Lauf der Handlung hinter dem Zwang, attraktiv und sexy zu wirken, eine Gebrochenheit, eine Einsam­keit zutage tritt.

Persönliche Erfahrungen

Der Bruch zwischen Lebens­realität und Online-Selbst­darstellung ist auch Thema ihrer späteren Dokumentar- und Spielfilme. Fiktion und persönliche Erfahrung liegen hier oft nahe beieinander. »Diese Erlebnisse hatte ich auch.« Ayub schaut nach­denklich, ihre Gedanken kreisen irgendwo über der Vergangenheit. Wir sind inzwischen den kalten Gängen des Folter­museums entkommen und haben uns im Kaffee­haus nebenan nieder­gelassen. Der kleine Raum, zunächst nur von den Geräuschen unserer Konversation und vom gelegent­lichen Dampfen der Kaffee­maschine erfüllt, ist bald voll vom Stimmen­gewirr an den umliegenden Tischen.

Unser intensives Gespräch vermischt sich mit dieser lebendigen Nachmittags­geselligkeit. Nicht dass ein Heraus­stechen für Ayub relevant wäre. Inzwischen sei es ihr nicht mehr wichtig, wie sie auf andere wirke. Aber sie habe sich früher bei derartigen Gedanken ertappt. »Bin ich hübsch genug für den Freund? Oder: Will man genau so sein, wie er es will?« Indem sie diese Gedanken auf Film bannt, kann sie sie später betrachten und sagen: »So will ich nicht sein!«

2012 wendete sich ihr filmischer Blick mit »Familien­urlaub« erstmals der autonomen kurdischen Region im Nordirak zu. 2016 fuhr sie mit ihrem Vater für ihren ersten Lang­dokumentar­film »Paradies! Paradies!« nach Erbil, um ihn bei der Wohnungs­suche zu begleiten. Was auf den ersten Blick wie eine dramatische Inszenierung des kriegerischen und desolaten Zustands der Region anmutet, geht viel tiefer. Der Film deckt zerrüttete Dynamiken und Konflikte auf, die die Abwärts­spirale der familiären Traumata immer weiter befeuern. Und doch findet sich auch hier der für Ayub so typische Humor. Meist speist er sich aus der Interaktion mit ihrem Vater Omar. »Ich habe für den Film an der amerikanischen Privatuni (in Erbil; Anm.) recherchiert und mein Vater ist immer wieder vor der Kamera aufge­taucht und hat Blödsinn gemacht. Da fiel schnell die Entscheidung, dass der Film über ihn sein wird.«

Richtig erzählt

Bei ihrem kürzlich prämierten Werk »Sonne« steht eine junge öster­reichische Kurdin im Mittel­punkt, die mit ihren zwei nicht aus diesem Kulturkreis stammenden Freundinnen zur Internet­sensation wird, als ein Video, im dem sie im Hijab zu »Losing My Religion« von R.E.M. twerken, auf Youtube landet. Hier treffen erneut Familien­dynamiken, die Frage nach Religion, kultureller Aneignung sowie problematischem Patriotismus aufeinander.

Die Idee zum Film sei ihr gekommen, als sie online eine schiitische Girlband in England entdeckte, die muslimische Lieder auf Englisch sang. Das war 2018. In ihren Antrag auf Filmförderung schrieb Ayub, dass dies eine migrantische Geschichte sein sollte, die richtig erzählt wird. »Andere arbeiten so viel mit Klischees«, umreißt sie das Problem. »Man will bei den Leuten Mitleid erzeugen. Das mag ich nicht.« Ayub spielt viel lieber mit den Erwartungen des Publikums, sie lässt die Figuren anders agieren, als man vermuten würde.

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