»›Muschi‹ und ›Arschficken‹ würde ich auf der Bühne nicht sagen« – Stand-up-Comedian Erika Ratcliff im Interview

Das Wiener Traditionscafé Hegelhof ist für Erika Ratcliffe ein vertrauter Ort. Hier kehrte die 25-Jährige während ihrer Schulzeit regelmäßig ein. »Zum Schwänzen natürlich«, wie sie erzählt. Mittlerweile lebt Ratcliffe seit zwei Jahren in Berlin und hat sich in der kurzen Zeit in der deutschen Comedy-Szene einen Namen gemacht.

© Jana Sabo

Mit staubtrockenem Witz setzt Erika Ratcliff Pointen, zeigt Haltung und lässt Situationen immer wieder auf die absurde Seite des Alltags kippen. In einer entschleunigten Performance übrigens, denn: »Wenn man langsamer redet, hören die Menschen besser zu. Wenn man zu schnell plappert, hört keiner mehr zu.« Auch in Österreich blieb ihr Schmäh nicht unbemerkt. 2017 erhielt die Stand-up-Comedian, die auf der Bühne gerne über ihre japanische Mutter spricht, den Jurypreis des Grazer Kleinkunstvogels.

Nach Wien kommt sie mit dementsprechend häufiger Regelmäßigkeit. Denn auch hier wollen Kleinkunst- und Kellerbühnen humoristisch erobert werden. Zudem blüht die heimische Comedy-Szene seit geraumer Zeit kräftig auf. Ziemlich sicher auch wegen ihr. »Ich bin eigentlich eh alle zwei Wochen in Wien«, erklärt Erika Ratcliffe lapidar und bestellt beim Ober Kaffee – einen Verlängerten ohne Zucker und schwarz.

Erika, du trinkst deinen Kaffee ohne Milch. Bist du eigentlich laktoseintolerant? 

Nein, bin ich nicht. War das jetzt gerade rassistisch? 

Es ist auf jeden Fall ein stümperhafter Versuch mit einem Klischee zu spielen. Das kannst du besser. Was macht für dich einen guten Witz aus? 

Wenn man die Punchlines nicht voraussieht, dann ist ein Witz gut. Wenn er dann auch noch ein wichtiges Thema streift, gibt das Bonuspunkte. 

Was sind für dich die wichtigen Themen, an denen du dich satirisch abarbeitest? 

Da gibt es einige. Die Palette reicht von sexueller Belästigung, Vergewaltigungen, Terrorismus bis zu Rassismus natürlich. 

Wie politisch bist du eigentlich? Du hast ja auch Politikwissenschaft studiert.

Früher war mir dieser Aspekt sehr wichtig. Heute ist er ein wenig in den Hintergrund getreten. Ich habe natürlich schon eine sehr klare politische Meinung zu allem, aber ich denke, dass meine Meinung nicht die wichtigste ist. Ich lese sehr selten Zeitung und ich bin auch nicht sehr gut informiert, aber … 

… du hast eine klare politische Meinung zu allem. 

Genau. Momentan rede ich lieber über den Tod. Nur kommt dabei nichts Lustiges heraus. 

Woran hapert es? 

An mir, leider. Der Tod ist ein universelles Thema – wenn man darüber schreibt, sollen die Leute in 20 Jahren auch noch darüber lachen und nachdenken können. Das ist nicht einfach. 

Bist du eigentlich depressiv? 

Ja, ich habe Depressionen. Aber ich mag es nicht, wenn man einen Menschen als depressiv bezeichnet, so als wäre das ein ganz normales Adjektiv. Der ist groß, der ist klein, der ist depressiv …

Wie gehst du mit deinen Depressionen um?

Wenn man Schattenseiten hat, dann wertschätzt man die glücklichen und guten Seiten. Aber ich würde Depressionen nicht romantisieren. In der heutigen Kultur neigen wir leider ein wenig dazu, so zu tun, als wären Depressionen was Schönes und Bewundernswertes, aber es ist im Endeffekt eine Krankheit. Allerdings bin ich auch davon überzeugt, dass unzählige Menschen, die im Kunst- und Kulturbereich arbeiten, irgendwelche gröberen Probleme haben – Drogen, Alkohol, Depressionen.

Im Kulturbereich bist du ja sehr gut verankert. In Wien genauso wie in Berlin, wo du seit zwei Jahren lebst. Was macht für dich den Charme von Berlin aus? 

Berlin ist so eine offene, liberale Stadt mit unzähligen Subkulturen. Drag-Shows, Burlesque-Shows, Klein- und Improtheater – das gibt es in dieser Vielfalt in Wien nicht. 

Wie auch die Comedy-Szene, in der du dich bewegst. War es schwer für dich, dort Fuß zu fassen? 

Am Anfang ist es immer schwer, wenn man in eine neue Stadt zieht. Man muss erst einmal ankommen und ernst genommen werden. Diese Phase hat gut ein Jahr lang gedauert. Und zwar durchaus berechtigt. Denn ich hatte zwar schon einiges an Material für die Bühne gesammelt, aber das war nicht gut. Ich hatte keine Punchlines, die man als Stand-up-Comedian braucht, sonst erzählt man nur Geschichten.

Wie hast du die Pointen für deine Auftritte dann gefunden? 

Ich mache vier Mal in der Woche Comedy in den unterschiedlichsten Locations. Wenn man das so häufig macht, bekommt man automatisch einen Blick dafür, wo Lustiges verborgen sein kann. Man beobachtet eben den Alltag und viele Punchlines entstehen auch aus persönlichen Geschichten heraus.

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