»Das Nachtasyl ist mehr soziale Einrichtung als Lokal« – Nachtasyl-Gründer Jiri Chmel im Interview

Das Nachtasyl am Ende der inneren Mariahilfer Straße feiert im Oktober 30-jähriges Jubiläum. 30 Jahre, in denen Protest, Politik und Kunst an alten Holztischen zusammenfanden. Im Interview rekapituliert Besitzer Jiri Chmel den Werdegang des Lokals.

© Theresa Ziegler — Jiri Chmel, Betreiber des Lokals Nachtasyl

Wer in den Gewölbekeller des Nachtasyls stolpert, kriegt erst einmal eine Watschen: Der Charakter des Nachtasyls ist offensiv. Es riecht nach kaltem Rauch, nach feuchten, alten Steinen, nach Bier und Geschichten. Wer sich Fenster oder einen netten Blick über die Stadt wünscht, wer Wert auf saubere Tische oder guten Wein legt, ist hier falsch. Tschechisches Bier ist bodenständig. Das Nachtasyl auch. Gegründet wurde das Lokal 1987 von Jiri Chmel, der als Geophysiker und Aktivist aus der damaligen Tschechoslowakei fliehen musste, weil er dort vom Regime verfolgt wurde. In Österreich gründete er dann ein Lokal, das als Zufluchtsort für Exilanten fungieren sollte. Aber auch einige bekannte Persönlichkeiten fanden nach Auftritten in Wien ihren Weg ins Nachtasyl, tschechische Bands spielten hier legendäre Konzerte. Mittlerweile ist es etwas ruhiger um das Lokal geworden, das in diesem Herbst sein 30-jähriges Jubiläum feiert. Wir haben mit Jiri Chmel über die Umbruchszeit und die Entwicklung bis heute gesprochen.

Wie würdest du einem Unwissendem beschreiben, was das Nachtasyl ist?

Jiri Chmel: Das Nachtasyl ist kein Lokal, in das jeder hereinspaziert. Wenn man in dieses Lokal hineingeht, wird man entweder Stammgast oder man kommt nie wieder.

Foto: Theresa Ziegler

Inwiefern wird das Nachtasyl seinem Ruf gerecht?

Die Anfänge des Lokals waren natürlich beeinflusst durch die damaligen politischen Umstände in Tschechien. Wir waren alle Exilanten und Emigranten und haben uns hier getroffen. Aber das war nur bis 1989, also bis zum Umbruch. Dann habe ich jahrelang versucht, der alternativen Szene aus Tschechien hier eine Bühne zu bieten, vor allem der dortigen Underground- und Musikszene. Später haben wir dann das Tagasyl eröffnet, dort mache ich seit 1992 auch viele Ausstellungen. Nach dem Umbruch waren viele gespannt, was das Nachtasyl eigentlich ist, da haben viele vorbeigeschaut. Heutzutage kommen Studenten, die hier leben, Slowaken und Tschechen, mit Politik hat das nur noch recht wenig zu tun.

Welche Menschen flüchten heutzutage hauptsächlich ins Nachtasyl?

Ich glaube, es ist Gott sei Dank noch nicht notwendig zu flüchten. Auch wenn die Situation im Ostblock nicht rosig ist. Es sickern verschiedene, nationalistische Tendenzen durch und Tschechien ist anders, als wir uns das vor 25 Jahren vorgestellt haben. Aber es ist jetzt noch nicht nötig, ein Asyl aufzumachen. Das Lokal ist aber noch immer sehr »free«, man darf hier fast alles und dadurch ist es für verschiedene Freaks und Leute, die kein ganz gewöhnliches Leben führen, immer einen Besuch wert.

Nach welchen Kriterien wird die Veranstaltungsauswahl getroffen?

Wir haben zwei bis drei Konzerte im Monat und die Vernissage oben. Bei unserer 30-Jahres-Feier im Oktober wird jeweils eine tschechische, eine slowakische und eine österreichische Band auftreten. Die Zeiten, in denen in Österreich alle gespannt waren, was in der damaligen Tschechoslowakei oder eben in Tschechien passiert, sind vorbei. Wir haben deshalb auch weniger tschechische Acts, ab und zu aber doch. Dann spielt zum Beispiel Iva Bittova. Aber es ist schwierig, das zu vermarkten. Es gibt jetzt dafür aber viele junge österreichische Bands, die sich für Auftritte im Nachtasyl interessieren. Das sind dann Bands, die am Anfang stehen und unbekannt sind und viele davon dürfen bei uns spielen. Mir wird bei der Programmierung von einem guten Freund geholfen, weil ich wirklich nicht mehr alles beobachten kann. Man hat mit 63 Jahren auch nicht mehr so viel Kraft, alle Konzerte zu besuchen. Früher habe ich mir wirklich viel angesehen und wir hatten auch viele gute Konzerte. Aber mein Freund Alfred macht das schon ganz gut und es funktioniert nach wie vor. Mit DJs geht es nicht mehr so gut.

Was hat dich dazu bewogen, in Wien zu bleiben?

Hätte ich das Nachtasyl nicht gehabt, wäre ich früher nach Tschechien zurück. Jetzt bin ich aber froh, dass ich nicht zurück bin. Denn, wie gesagt, die politische Lage in Tschechien ist nicht so rosig. Den Leuten geht es gut, aber es gibt politische Trends, die wirklich sehr schwer zu verstehen sind. Außerdem war das Nachtasyl damals zwei Jahre alt und ich war hier in Österreich verschuldet. Das war nicht einfach, es hat zwei Jahre gedauert, bis wir überhaupt eröffnen konnten. Dann habe ich mich dazu entschieden, das, was mich in Tschechien und der Slowakei interessiert, hier zu zeigen, und das funktionierte jahrelang recht gut. Deshalb bin ich auch hier geblieben. Mittlerweile habe ich eine Freundin, die in Tschechien lebt, deswegen bin ich mittlerweile oft in Tschechien.

Kann das Nachtasyl unpolitisch sein?

Nein, es ist sicher nie ganz unpolitisch. Hier trifft sich ja wirklich – man kann es so sagen – die linke Szene. Wir sind kein rechtes Lokal.

Weiter auf der nächsten Seite, zu den schwersten und schönsten Zeiten …

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