Rhye zelebrieren auf ihrem Debütalbum die Endlichkeit der Dinge. Das Duo zeigt keine Angst vor großen Gesten. Seine Musik ist melancholisch, zerbrechlich und sinnlich zugleich.
Man muss keineswegs dem Kulturpessimismus eines Simon Reynolds teilen, um festzustellen, dass Popmusik im Jahr 2013 nicht ohne Bezug auf ihre Vergangenheit existieren kann. Man wirft schnell mit Worten wie »Retro« herum. Doch oft ist die Sache mit den Referenzpunkten komplizierter als man denkt. Beispiel gefällig? Da sich Modewellen wiederholen, bezieht sich der neueste Aufwasch oft nicht mehr auf das Original, sondern auf seinen Vorgänger. Die Kulturwissenschaft kennt dafür den Begriff der »Nostalgia Layering«: Die 50er Jahre mit den Augen der 70er Jahre sehen.
Fest steht: Je größer Moden sind, und je weiter ihre Entstehung zurückliegt, desto mehr verblassen sie. Sie sind dann kein abgeschlossener Kodex mehr, sondern werden zu verschwommenen Bezugspunkten. Sie leben weiter als »Influence«, als Widerhall, sind mehr Baukasten als Manifest. Der (Wieder-)Aufstieg des R’n’B in den letzten Jahren hat ihn zu solch einem Bezugspunkt gemacht. Es gibt sie weiterhin, die klassischen Alben wie Brandys mehr als respektables »Two Eleven«. Aber diverse andere Musiker – sei es Giraffage oder Purity Ring – nutzen R’n’B nur noch als Leuchtfeuer oder Wegkarte. Und nehmen sich von ihm, was sie gerade brauchen. Seine Beats. Oder seinen Sex, sein Gefühl, seine Intensität.
Die letzten Sommertage
Das in Los Angeles ansässige Duo Rhye nähert sich dem Phänomen R’n’B jetzt von der Pop-Seite. Es raubt ihm den Beat, um ihn in Songs zu überführen. Falsett-Gesang, Streicher, Pianos und Prince-Gitarren strecken große Gefühle über die gesamte Breite des Sounds. Eine universelle, wunderschöne Mixtur aus R’n’B, Pop und Soul. An einigen Stellen wird der Begriff Sophisti Pop hervorgekramt. Und auch wenn Rhye tatsächlich an einigen Stellen die Kühle der 80er transportieren, ist es oft eine vorgetäuschte Kühle. Weniger die Kühle, mit der man sein Gegenüber wirklich verletzen will. Sondern mehr der künstliche Panzer, den man sich zulegt, um sich selbst zu schützen. Denn bei Rhye geht es, genauso wie bei Autre Ne Veu, um Liebe. Und Angst. Und um die kleinen großen Lügen, die einem dabei helfen, mit dem Unvermeidlichen umzugehen: Die Liebe wird enden, das Glück vorüberziehen, der Moment vergehen. Aber warum heute schon an das Morgen denken, solange es noch einen Funken Hoffnung gibt? »Woman« schwankt zwischen Melancholie, Fatalismus und Verklärung. Es klingt wie die letzten Tage einer großen Liebe. Wenn beiden schon bewusst ist, dass es zu Ende geht, aber die verzweifelte Hoffnung die Leidenschaft noch einmal antreibt. »Make love to me. One more time, before you go away«, heißt es in »The Fall«. Auch »Open«, der vielleicht zarteste Song des jungen Jahres 2013 (Update: Wir wurden mittlerweile darauf aufmerksam gemacht, dass der Song 2012 schon einmal auf einer wenig beachten EP erschien), endet mit der zerbrechlichen Bitte »I know you’re faded. But stay, dont close your eyes«. Auf Rhyes Debütalbum ist jeder Tanz ein letzter. Und der Sommertag im wunderbaren »One Of Those Summerdays« ist kein heißer Juli-, sondern eher ein später Septembertag, am dem die Sonne schon wieder früh niedrig steht.
Den unbedingten Willen zum Song teilen sich Rhye mit Vondelpark, deren Debüt »Seabed« ebenso den Mut zur großen Geste zeigt. Das blutjunge Londoner Trio überzeugt mit einer Melange aus Pop, UK Bass und R’n’B. Und schafft damit ein analoges, wärmeres Gegengewicht zum kühlen Sound vieler US-Acts. Auch wenn sich die Alben streckenweise den Soundentwurf teilen, ist der Ton auf »Seabed« insgesamt deutlich positiver als auf »Woman«. Auch bei Vondelpark geht es um Liebe. Sie ist aber jünger. Man möchte ihr wünschen, dass sie nicht endet wie bei Rhye.
Hier geht’s thematisch weiter zu unserem Text über Autre Ne Veuts »Anxiety«
»Woman« von Rhye ist bereits via Polydor / Universal erschienen. Vondelparks »Seabed« erscheit am 1. April via R&S Records.