Der alljährliche Frequency-Verriss im Standard gehört zum Festival wie flauschige Hasenkostüme und Tequilajause. Wir wissen deshalb jetzt schon, was Karl Fluch und Christian Schachinger schreiben werden.
Liebeshungrige Mädchen, illuminierte Jungmänner. Kirtag und Halligalli mit Absolution des Radiosenders FM4. In St. Pölten findet das Frequency-Festival statt. Es gilt immer mehr als Festival auf das sein Publikum nicht wegen, sondern trotz der Musik hinfährt. Ein Lokalaugenschein bei einem Volksfest der Beliebigkeit.
So ein Kirtag ist lustig, ob man will oder nicht. Und wenn es gerade nicht lustig war, weil einem zum Beispiel der Typ aus dem Nachbarzelt in den Schlafsack gekotzt und in die Schuhe gebrunzt hat (was ja eigentlich eh total lustig ist), dann hat man bloß zu wenig getrunken. Doch, das stimmt. Man kann sich so ein Festival schöntrinken. Man muss nur wollen.
Schließlich gilt, dass von den rund 40.000 Gästen, die sich bereits am ersten Tag einfanden, gut die Hälfte an den gerade auftretenden Bands nicht interessiert ist und sich die Zeit anderwärtig vertreibt. Sie wandern verhaltensoriginell zwischen den Bühnen herum, gustieren mit den Ablenkungsangeboten von der Ablenkung. Ihre ständigen Begleiter heißen Hunger und Durst, Betonung auf Durst. Zu der auf dem ganzen Gelände dauerpräsenten Musik, dem Viagra der Welt- und Dorfjugend, wird demnach satt Unfug getrieben.
„Bring mich nach Hause“
Verortet ist das Festival im Alternative-Music-Bereich. Unter dem Branding des Radiosenders FM4, der sich zwar alljährlich schon Monate im Vorhinein mit dem Festival schmückt, mit der Programmgestaltung aber nichts zu tun haben will, wird auch heuer wieder so gut wie alles in das Line-up gepackt, was Tag für Tag in den Äther und ins Netz gejagt wird. Für FM4 ist das klass, weil es das Festival mit seiner geilen Credibility branden darf. Damit und mit seiner begleitender Hofberichterstattung – alles immer voll super! – setzt es sich einerseits auf rund 150.000 Besucher drauf, wenn es aber Kritik am Festival gibt, putzt sich der Sender ab. Denn er hat ja nichts damit zu tun, programmatisch und von der Ehre her betrachtet.
Drei Tage lang vorglühen ...
Die Hauptaustragungsorte des Festivals sind zwei nur wenige Gehminuten voneinander entfernt liegende Großbühnen. Am späten Nachmittag sind die kein schöner Anblick. Da spielen manche Bands vor Publikumshäufchen, die kleine Clubs gerade einmal zur Hälfte füllen würden. An Neuentdeckungen scheint der Durchschnittsbesucher nicht brennend interessiert zu sein. Auf dem Gelände wird nicht mehr so viel gekifft wie früher, dafür ziehen sich die Burschen gern flauschige Hasenkostüme oder diese neumodischen Ganzkörperkondome an.
Das eigentliche Geschehen spielt sich zu diesem Zeitpunkt und später zwischen den Bühnen ab. Hier erfreut sich eine Ausschank namens Desperado regen Andrangs zur Tequilajause, etwas weiter kann man sich um zwo Euro fuffzich das Handy aufladen lassen. Für den analogen Shitstorm stehen reihenweise Mobilklos in der Landschaft herum, um die Vermüllung derselben halbwegs im Zaum zu halten, gibt es hunderte Müll- und Miststationen. Viele Besucher sehen wahrscheinlich sogar die doppelte Menge davon, was die Treffsicherheit leider nicht erhöht. Die Anrainer werden also wieder klagen, denn es bleibt jedes Jahr Dreck liegen.
Ein Quell der Erheiterung
Man schlendert weiter. Neben einem T-Shirt-Verkaufsstand sitzt ein Hamburger- und Pommes-Friedhof im Schneidersitz im Gras. Neben ihm türmen sich Pfandbecher mit Henkeln. Damit sieht er aus wie Obelix mit seiner Helmsammlung nach einer Schlacht mit den Römern – zufrieden. Auf seinem T-Shirt steht „Sex Teacher“, auf dem seines neben ihm im Gras einen Rausch ausschwitzenden Freundes steht „Attitude“, Haltung. Das FM4 Frequency ist ein Laufsteg der Eitelkeiten. Und nirgendwo steht geschrieben, dass Eitelkeit geschmackvoll zu sein hat. Girls mit dick bemalten Schenkeln im Schlampenlook cruisen. Eine paar Jungs mit vorzivilisatorischen Slogans bezüglich des Umgangs mit Frauen auf ihren T-Shirts frohlocken. Die Mädchen kichern, ein Höhlenbewohner balzt unbeholfen, seine Absicht und den Rausch allzu deutlich ins Gesicht geschrieben. Sein nackter Oberkörper tendiert farblich in Richtung Tomatenrot. Sodbrand und Sonnenbrand, das ist Rock ’n’ Roll!
Die eigentlich stimmungsvollen Konzertstunden am Abend bleiben den Quotenbringern vorbehalten. Man kennt das aus dem Fernsehen. Das Diktat, kommerziell erfolgreich zu veranstalten, verhindert einmal mehr die adäquate Präsentation der raren Qualität. Diese verkommt so zum Feigenblatt, hinter dem das scheinbar Integrität versprechende Fähnchen mit der Aufschrift „Alternative“ hochgehalten wird. Für den denkenden Menschen eigentlich ein Hohn.
Hasen, Hände, Hip-Hip-Shows
Zur Hauptabendzeit rappt am ersten Tag der deutsche Hip-Hopper Casper mit Band das übliche deutsche Durchhalteparolen-, Ich-habe-überlebt-, Ich-habe-einmal-die-Sonntagszeitung-gestohlen-Zeug herunter. Casper trägt definitiv keine Temporary Tattoos, sondern den echten harten Stoff. Aber bei ihm gehört das zum beruflichen Anforderungsprofil. Er hat eine Stimme, die darauf schließen lässt, dass er zum Frühstück Semmeln mit Stahlwolle isst – oder nicht so viel rauchen und zu kalt trinken sollte. Man versteht wegen der verzerrten, aber nicht zu lauten Tonanlage kein Wort. Das Publikum ist restlos begeistert und wirft die Hände in die Höhe.
[Zu Chemical Brothers] hingehen ist mutig, zumal live bei dem letzten Konzert der einst als The Dust Brothers begonnen habenden Produzenten nicht mehr bedeutete, als zwei Nerds hinter einer riesigen Konsole beim Knöpferldrehen zuzusehen, wobei eine dann und wann wild entschlossen gen Himmel gestreckte Faust zu den dramaturgischen Höhepunkten zählte. Muss man mögen.
Die Rave-Veteranen Prodigy machen 2015 Dienst nach Vorschrift und parodieren sich selbst.
Bei der Heimfahrt sieht man, dass in einer Halle gegenüber des Festivals noch Licht brennt. Hier legen angeblich bis morgens in der Früh berühmte nicht mehr ganz junge Männer Discomusik-Vinylplatten auf. Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf. Selten so einen dummen Spruch gehört.
Schön war’s nicht, lustig allemal.
Die Collage der Texte aus den vergangenen Jahren hat Yasmin Vihaus angefertigt. Auf den richtigen Artikel freuen wir uns auch heuer wieder ganz enorm. Das Frequency Festival findet von 20. bis 22. August in St. Pölten statt.