600 Milliarden Legosteine soll es weltweit geben. Doch die Masse allein ist es nicht, die Lego so allgegenwärtig macht. Kreativität und Kapitalismus, Popkultur und Plastik, Steckverbindung und »Star Wars«: Lego ist das passende System für unsere Welt.
Internet, Communities und Schwarm
Den Umschwung brachte ein Youngster namens Jørgen Vig Knudstorp. Sein Ansatz – neben einer gründlichen Neustrukturierung –: zurück zum Kerngeschäft. Dazu gehörte die Reduktion der über 14.000 Teile auf weniger als die Hälfte (heute bestehen Lego Sets zu rund 70 Prozent aus Standardteilen), Wiedereinführung von Duplo und ein klassischeres Redesign der Sets. Doch nicht nur das, Knudstorp erkannte die Zeichen der Zeit. Im Internet trafen sich seit vielen Jahren erwachsene (!) Lego-Fans, um auf Sites wie brickshelf.com oder bricklink.com ihre Kreationen hochzuladen. Der kreative Austausch war genauso wichtig wie das Retro-Gefühl. Erstmals gingen Lego-Manager zu Events wie dem »Brick Fest«, bei dem Erwachsene (sogenannte AFOLS – Adult Fans of Lego) Riesenbauten und Skulpturen schufen. Man begann, an den Communities anzudocken und die Schwarmintelligenz zu nutzen. Besonders talentierte Hardcore-Fans wurden in die Designteams eingebunden, Kinder konnten direkt online Feedback auf neue Modelle geben. Auch der letzte Skeptiker im dänischen Billund begann zu verstehen, dass die digitale Revolution keinem anderen Spielsystem der Welt so entgegenkam wie Lego.
Schließlich gelang es Lego sogar, im boomenden Bereich der Action Heros und Fantasy-Figuren erfolgreich Fuß zu fassen: Mit der Produktreihe »Bionicle« für ältere Kinder verstand man, dass nicht die Figuren allein die Fantasie beflügeln, sondern dass es Geschichten sind, die erzählt werden müssen. Auch im digitalen Bereichen musste Lego über seinen Schatten springen: Als der Programmiercode der Roboter-Serie »Mindstorms« geknackt wurde, erkannte man nach einem anfänglichen Schock das Potenzial und ließ Hacker ran, um das Produkt zu verbessern. Im analogen Bereich verhielt sich Lego ebenso innovativ, etwa mit der »Lego Architecture«-Serie mit Modellen von berühmten Architektur-Ikonen, die eindeutig Erwachsene ansprechen. Und die nächste Herausforderung wartet bereits: der 3D-Druck. Wie ändert sich Legos Geschäftsmodell, wenn es billiger wird, virtuell Gebautes real auszudrucken, anstatt fertige Sets beim Händler zu kaufen?
The Lego Movie
Vorläufig gibt es ein Happy End für das Traditionsunternehmen. Lego hatte in den vergangenen Jahren wieder ein rasantes Wachstum zu verzeichnen, scheint moderner denn je. Der Film kommt also zur rechten Zeit. Die Marke strahlt geradezu jungfräulich. Und schafft es einmal mehr, Widersprüchliches zu vereinen: Die Kapitalismus-Kritik im Lego-Film kommt gut an, obwohl Lego selbst als weltweite Nummer 3 des Spielesektors ein mächtiger Teil des Systems ist. Dass man sich gegenüber »kriegerischen« Figuren und Settings geöffnet hat – so what? Das haben andere auch. Selbst die zunehmende Skepsis gegenüber Plastikspielzeug scheint Lego nicht zu tangieren – immerhin lässt Lego in Europa produzieren. Klischeehafte Produktserien wie »Lego Friends«, die speziell für Mädchen konzipiert sind, gehen problemlos durch (siehe auch den Artikel zu Gender Design). Dabei sollte man gerade bei einem skandinavischen Unternehmen diesbezüglich mehr Sensibilität erwarten, oder ist das ein naiver Wunsch?
»Legos Image ist unantastbar«, so Ernst Strouhal. »Es kommt nicht aus einem Schurkenstaat. Es ist politisch neutral, weil es dänisch ist. Von dort ist noch nie etwas Böses gekommen. Lego verkörpert die Sauberkeit der Moderne.« Alles ist clean, so wie die meisten »Kunstwerke«, die mit Lego gebaut und global abgefeiert werden. Meist handelt es sich dabei um riesige Bauwerke mit 150.000 Bausteinen oder sonstigen Rekorden. Da staunen Papa und der Sohnemann und vielleicht auch die Tochter und Mama. Umso empörter die Reaktionen, als der polnische Künstler Zbigniew Libera Ende der 90er Jahre aus Lego einen Bausatz für ein Konzentrationslager kreierte. Ein Tabubruch. Sowas darf man nicht tun, schon gar nicht mit Lego. Dabei hieß es doch immer, mit Lego könne und dürfe man alles machen. Außer: einzelne Bausteine auf dem Boden liegen lassen. Spätestens dann weiß man: Lego kann auch wehtun.
Buchtipp: »Das Imperium der Steine. Wie Lego den Kampf ums Kinderzimmer gewann« gibt einen ebenso umfassenden wie faszinierenden Einblick in die Welt von Lego. Das Buch des amerikanischen Innovationsexperten David C. Robertson setzt den Schwerpunkt auf den Turnaround des dänischen Konzerns, ist aber weit mehr als eine bloße Management-Studie. Gespickt mit Hintergrundinformationen, liefert es ein ebenso intimes wie spannendes Porträt des Lego-Universums. Erschienen im Campus Verlag.
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