Beim Social Design ist verantwortliches Handeln gefragt. Von der Architektur bis zum nachhaltig hergestellten Produkt betrifft das beinahe unseren gesamten Alltag. Der Weg dorthin ist manchmal allerdings mühsam und verschlungen.
Dem Begriff »Social Design« droht das gleiche Schicksal wie dem Begriff »Design«: Er verschwimmt in alle Richtungen, zugleich können die wenigsten damit überhaupt etwas anfangen. Außerdem ist er eine Verdoppelung – denn welche Art von Gestaltung gibt es, die nicht in irgendeiner Form soziale Auswirkungen hätte? Entstanden ist die Disziplin »Social Design«, weil Design – nicht immer zu unrecht – einen schalen Beigeschmack hat. Man stellt sich darunter etwa unbequeme Bauhaus-Möbel vor, unpraktische Häuser von sich selbst verwirklichenden Architekten oder unlesbare Schriften. Im besten Fall traut man Gestaltern zu, die Umwelt zu verschönern. Aber sie zu verbessern? Social Design meint aber genau das: verantwortungsvolles Gestalten mit Rücksicht auf menschliche Bedürfnisse und die Natur. Das betrifft Produkte, Serviceleistungen, das Internet, Leitsysteme, den öffentlichen Raum, Architektur – mit einem Wort: alles.
Bereits vor 40 Jahren trat ein Austro-Amerikaner an, den Designern die Leviten zu lesen. Der gebürtige Wiener Victor Papanek, der 1939 vor den Nazis mit seiner Mutter in die USA geflüchtet war, rechnete in seinem Buch »Design for the Real World: Human Ecology and Social Change« (1971) mit den Oberflächen-Verschönerern ab. Er proklamierte lautstark, es gebe nur einen noch verkommeneren Beruf als denjenigen des Designers, nämlich den des Werbers, und führte zugleich vor Augen, was echtes Design alles bewirken könnte. Sein Bestseller, der in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt wurde, strotzt nur so vor Weltverbesserungsideen, vom idealen Schwimmgerät für körperlich beeinträchtigte Kinder bis zum künstlichen Samenträger-»Fallschirm« für Gegenden in der »Dritten Welt«, in denen kein Gras wächst. Ein zentrales Thema ist der behutsame Umgang mit Ressourcen, womit Papanek auch gleich zum grünen Guru avancierte.
Ganz abgesehen davon, dass er so hochaktuelle Phänomene wie Open Source vorwegnahm, indem er forderte, Gestalter müssten auf Patente verzichten und gemeinsam an Lösungen arbeiten. Es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass Papanek gerade in einer Zeit, die von Klimaerwärmung, Ressourcenknappheit, Börsencrash und sozialen Spannungen geprägt ist, wieder ausgegraben wurde. Und mittlerweile hat man sich auch in seiner Heimatstadt des großen Sohnes erinnert: Die Angewandte ruft demnächst die Victor Papanek-Foundation ins Leben, nachdem der Nachlass des Designers nach Wien geholt wurde.
Eigene Produkte für Pensionisten? Bitte nicht!
Es gibt aber noch andere Gründe für die aktuelle Konjunktur des sozialen Designs. So etwa das Unbehagen der Konsumenten mit Produkten, die ganze Gruppen ausschließen. Und damit sind nicht nur Randgruppen wie zum Beispiel Menschen mit Behinderungen gemeint, sondern auch einfach ältere Personen, denen etwa der Umgang mit elektronischen Geräten möglichst schwer gemacht wird. Soll man also Produkte nur für Pensionisten gestalten? Eher nicht. Denn »Inclusive Design« heißt das Zauberwort, womit gemeint ist, dass Gestaltung von vornherein alle potenziellen Adressaten berücksichtigen sollte und nicht nur eine abstrakte Norm.
Das hat unter anderem den positiven Effekt, dass einzelne Gruppen nicht durch spezielle Produkte für spezielle Bedürfnisse stigmatisiert werden. Wobei speziell auch bedeuten kann, dass jemand »nur« Linkshänder ist. Aber selbst eine derartig geringe Abweichung von der Norm kann bei manchem Haushaltsprodukt zu gehörigen Nutzungsproblemen führen (Klassiker: Kartoffelschäler). Die Bereitschaft der Unternehmen, sich darauf einzulassen, ist allerdings derzeit gering. Inclusive Design ist eben nicht so sexy wie Öko-Design.
Noch ist es ein Nischenthema, doch Vorreiter können damit ordentlich Geld verdienen: Oxo International etwa, ein Hersteller von Küchenutensilien mit dem sinnigen Namen »Good Grips«, freut sich über jährlich zweistellige Umsatzzuwächse. Der Schritt zum Mainstream, der im Bereich Bio-Lebensmittel oder »grüner« Kleidung (siehe H&M’s Linie mit Organic Cotton) bereits getan wurde, steht bei der Benutzerfreundlichkeit etwa von Haushaltsgeräten noch aus. Zugleich ist das Thema in der Öffentlichkeit kaum präsent, weshalb es wenig Zugkraft in der Werbung hat. Ist dieser Teufelskreis mal durchbrochen, kann man sich auf eine neue Generation von »sozialeren« Produkten freuen.
Zumindest grüner geworden ist die Warenwelt in manchen Segmenten schon jetzt, wenn auch nicht immer freiwillig. Die Wirtschaftskrise hat zum Beispiel der Möbelbranche ordentliche Einbußen beschert. Da traf es sich gut, dass ressourcenschonende Produktion für die Unternehmen kostengünstiger ist und ökologisch intelligentes Design zugleich ein wunderbares Verkaufsargument darstellt. Eine Edel-Marke wie Walter Knoll wirbt nun damit, dass ein 1.000-Euro-Stuhl am Ende der Lebensdauer problemlos zerleg- und recyclebar sei. Auch erste Schritte in Richtung Massenmarkt sind zu beobachten: So propagiert Ikea Möbel aus wiederverwertetem Kunststoff. Ein Öko-Schmäh, meinen Skeptiker. Das Beste, was passieren kann, meinen andere, denn das Thema sei damit im Mainstream angekommen.
Was bitte kann ein Grafiker ändern?
Bei Social Design darf man allerdings nicht nur an Produktdesign denken. Die junge Wienerin Angie Rattay hat vorgezeigt, wie man auch als Grafikerin gesellschaftliche Verantwortung leben kann. Nach der Lektüre von Papaneks »Design for the Real World« entschloss sie sich zu einem Diplomprojekt, das die Beipackzettel von Arzneimittel zum Vorbild nahm: Angelehnt an die »Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde« des Papanek-Freundes und Öko-Visionärs Richard Buckminster Fuller entwickelte sie 2005 eine grafisch lustvoll aufbereitete, inhaltlich brisante »Gebrauchsanweisung« für den richtigen Umgang mit unserem Planeten.
Zunächst schien sich dafür kaum jemand zu interessieren, doch als Der Standard darüber berichtete, war die Reaktion überwältigend: »Ich habe über 350 E-Mails bekommen, darunter eines von Alexander van der Bellen, aber auch eines von einem Punk, der die Gebrauchsanweisung bei Konzerten verteilen wollte«, erinnert sich Rattay. Innerhalb eines Monats war die Startauflage von 10.000 Stück vergriffen, heute vertreibt sie das kompakte Weltverbesserungswerk über den eigens gegründeten Verein Neongreen Network kostenlos bzw. gegen eine Spende. Dass sie das Ding nicht verkauft, gehört für sie zum Berufsethos frei nach Papanek: »Der schreibt ja auch, dass es doch nicht sein kann, dass jemand einen innovativen Rollstuhl entwirft und dann mit einem Patent verhindert, dass bedürftige Leute ihn sich leisten können«.
Was aber nicht heißt, dass Rattay als Grafik-Designerin nicht Geld verdienen würde. Das gestiegene Interesse an Social Design bringt ihr mehr Aufträge, allerdings auch ein Mehr an Konkurrenz, die im schlechtesten Fall »nur auf grün tut«. »Der entscheidende Punkt für mich ist, dass man sich als Grafikerin bewusst wird, welche Einflussmöglichkeiten man hat. Es stellen sich ja unglaublich viel Fragen: Ist das Papier, auf dem man druckt, klimaneutral? Wird bei der Druckfarbe Mineralöl als Bindemittel verwendet oder Pflanzenöl? Brauche ich unbedingt einen UV-Lack und super-glossy Papier? Wie viel Auflage braucht man tatsächlich? Wie viel Verschnitt gibt es aufgrund des Formates? Man hat viel mehr Einfluss, als man denkt.« Besonders stört Rattay, dass ökosoziales Agieren oft als Einschränkung betrachtet werde: »Dabei sind die anderen eingeschränkt, nicht ich.« Was auch an der Power liegen mag, mit der Rattay ihre Ziele verfolgt. So hat sie 2008 erstmals die Erdgespräche ins Leben gerufen, die mittlerweile zur größten grünen Vortragsveranstaltung Österreichs geworden sind und bei der internationale Öko-Pioniere wie Michael Braungart auftreten. Letzterer propagiert seit vielen Jahren sein »Cradle-to-Cradle-Prinzip«, bei dem ein Produktzyklus – vereinfach gesagt – von vornherein festgelegt wird: Entweder man produziert so, dass das Produkt später biologisch abbaubar entsorgt werden kann. Oder man sorgt dafür, dass das verwendete Material am Ende der Lebensdauer wieder recycelt wird. Mit seinem Zugang konnte Braungart auch so manchen designaffinen Unternehmer überzeugen, etwa das österreichische Textil-Unternehmen Backhausen, das Cradle-to-Cradle-zertifizierte Stoffe anbietet.
Wärmedämmung, die nicht nachhaltig ist
In besonders großem Maß betrifft Social Design die Architekten. Der Bausektor verbrauche schließlich rund 40 Prozent der Materialressourcen und sei für etwa 30 Prozent der Treibhausgase verantwortlich, so Françoise-Hélène Jourda, eine international renommierte Expertin, die seit 1999 die Abteilung Raumgestaltung und nachhaltiges Entwerfen an der TU Wien leitet. 2009 hat sie den vielbeachteten Blue Award initiiert, um Studierende und Lehrende auszuzeichnen, die sich auf das Thema eingeschworen haben. »Und seit zehn Jahren gibt es das Unterrichtsmodul BIOS«, erklärt Günter Pichler, Lehrbeauftragter am Department. »Am Anfang hatten wir 10 Leute pro Semester, heute sind es über 100.« Sein Kollege Anton Kottbauer, ebenfalls Lehrbeauftragter, ergänzt: »Nachhaltigkeit ist in der Architektur ein weites Feld, das von Energieeffizienz bis zum Masterplan für städtische Räume reicht. Wir wollen die Studierenden dafür sensibilisieren, dass es bei Architektur immer um eine lebenswerte Umwelt geht.«
Was genau nachhaltig und sozial sei, darüber gibt es klarerweise gehörige Auffassungsunterschiede. »Nehmen wir zum Beispiel die thermische Sanierung, die von der Stadt Wien vorangetrieben wird«, so Günter Pichler. »Dabei wird das Material EPS verwendet, das in einigen Jahrzehnten zur Altlast werden wird.« Auch andere Mythen gelte es zu hinterfragen, so den ökologischen Neubau. „Es ist immer viel effizienter, vorhandene Bausubstanz, etwa die wenig geliebte Architektur aus den 60er Jahren, zu verwenden statt einfach abzureißen. Das Problem ist aber, dass die Architekturwelt auf den Neubau fixiert ist.« Nicht zuletzt sei Verdichtung im städtischen Kernbereich immer nachhaltiger und sozialer als das berühmte Bauen auf der grünen Wiese und die Zersiedelung ganzer Landstriche. Die Diskussion darüber, wie man unter dem Aspekt des Social Design eine Stadt sinnvoll planen kann, ist wieder einmal voll entbrannt. Nicht weniger brisant ist die Frage, wie verantwortungsvolles Agieren im globalen Kontext aussehen kann. Nützliches Design und Architektur in unterentwickelten Ländern ist längst Thema geworden, ähnlich wie Corporate Social Responsibility. Der Grat zwischen neokolonialem Agieren und sinnvoller Hilfe ist schmal.
Vielleicht war noch nie die Bereitschaft so groß wie heute, verantwortliche Gestaltung tatsächlich großflächig in die Tat umzusetzen. Doch wie lange das Thema zieht, kann niemand abschätzen. Ein Blick zurück macht skeptisch: Nach Papaneks »Design-Hippies« und dem Öl-Schock kamen die hedonistischen 80er Jahre. Berufsoptimisten lassen sich davon trotzdem nicht abschrecken.
Ad: Seed Bombing
Victor Papanek begann in den 60ern mit seinen Studenten an der Purdue University Pflanzenstrukturen zu untersuchen und entwickelte daraus künstliche Samenträger, um entlegene und verödete Landstriche wieder fruchtbar zu machen. Der »Samen-Fallschirm« ähnelte von der Gestalt her Kletten und war also einer natürlichen und bewährten Form nachempfunden. Ein Paket ist mit 144 kleineren Päckchen und einer Nährlösung ausgestattet, das Plastik dafür hatte eine Abbauzeit von sechs bis acht Jahren. Aus all dem sollten kleine, zusammenhängende Vegetationsdämme wachsen können, um eine weitere Erosion zu verhindern oder sogar umzukehren.
Auf demselben Prinzip baut auch die Seed Bomb der Südkoreaner Hwang Jin Wook, Kim Ji Myoung, Jeon Yoo Ho und Han Kuk Il auf, die 2009 entwickelt wurde. Der Sprengkopf wird dabei durch eine Kapsel ersetzt, die neues Leben in sich trägt. Sowohl die Samen selbst wie auch der Nährboden für das erste Wachstum sind darin erhalten. Die Trägerkapsel verrottet einfach. Ein Flächenbombardement schafft so die Grundlage für neue Fruchtbarmachung von Land. Mit der Umdeutung von Symbolen der Zerstörung sind die Seed Bombs aber auch ein treffendes Symbol von Social Design überhaupt: Egal, ob man es will oder nicht, sie tragen eine Ideologie in die Welt hinaus – statt Kontrolle der Staatsmacht sind Seed Bombs Waffen der Nachhaltigkeit.