Left Boy könnte ein Großer werden. An Voraussetzungen dazu mangelt es nicht. Wir haben ihn getroffen kurz bevor er sich entscheiden muss, ob er vom Fünf- oder Zehn-Meter-Brett springen soll.
Das Interview hat er dann nur in seiner gebügelten Version freigegeben. Left Boy ist seine Präzision wichtig. Einmal wechselt er im Gespräch versehentlich ins Englische. Es ist die Sprache, in der er lebt, in der er textet. Mit einer Reihe von genau überlegten Videos, einem Mixtape und Gratis-Tracks hat sich Left Boy so viele Facebook-Fans wie Soap & Skin oder Christina Stürmer gezüchtet. Er funktioniert als seine eigene Hype-Maschine, baut im Netz an seinen Meilensteinen zum Erfolg. Eine Million Youtube-Klicks, 1500 auf Twitter, ein maximal ausverkauftes Konzert im WUK. Woman hat ihn interviewt, das Mica, FM4, News wollte es machen – klingt beeindruckend, dabei ist Österreich nicht sein Fokus. Er wohnt halb in New York. Denn hier fragt man zu oft nach dem Papa.
Der ist zwar nicht ganz egal, aber um den näselnden Weißbrot-Flow von Left Boy sehr besonders zu finden, muss man keinen Umweg über die Biografie nehmen. In seinen Songs rechnet er stilvoll mit einer Ex ab, schickt die Neider heim, auf dass sie sich ficken mögen, erzählt von guten Momenten und den schlechten, seinem Swag und seinen Selbstzweifeln. Leute wie Drake, Casper oder Kanye haben spätestens 2011 einen Typus Rapper populär gemacht, der mehr mit seinen eigenen Schwächen beschäftigt ist, als mit dem Knarren, Games und heftigen Aufschneidereien. Die Themen von Left Boy sind dabei noch nicht ungewöhnlich, er erzählt keine erdrückenden Geschichten von der Straße, aus dem Leben in der Unterschicht auf dem Weg nach oben, und seinen Sprachbildern fehlen noch Schärfe und jene Slogans, die man sich im sozialen Netz dann zuwirft. Aber seine Art zu rappen, diese grelle Art die Wörter zu drehen, sie herauszupressen und Silben hinauszuzögern bekommt man schwer aus dem Kopf. Dass er noch dazu in seinen Videos die richtigen Bilder liefert, in denen er mal mit Luftballons, Messern oder Rauchbomben hantiert, aber irgendwie immer cool verloren wirkt, macht die Sache noch eindrucksvoller. In „Outro“ entwickelt er über fast vier Minuten einen Synth in immer anderen Beat-Mustern weiter, klassischer Songaufbau ade. Für seine weltbekannten Samples von Daft Punk, Lana Del Rey oder Radiohead bekommt er allerdings kein grünes Licht solange die grünen Scheine nicht stimmen.
À propos: Der Vater heißt André Heller. Wie Julian Casablancas und Albert Hammond Jr. (The Strokes), Steve Aoki, Mark Ronson, Sam Spiegel (N.A.S.A.) oder auch sein Vater früher hat er dadurch Voraussetzungen, die es ihm ermöglichen international zu denken und seine Tracks, Videos und Postings so lange zu schärfen, bis der letzte Zweifel verschwunden ist. Nun sind diese Herren nicht unbedingt bekannt dafür uninteressante Musik zu machen. Nur wenn man sie ohnehin diffus schlecht findet, ist ein Elternhaus eine allzu einfache Ausrede um nicht genauer hinzuhören.
Noch gibt es keinen offiziellen Left Boy-Release. Und kaum Interviews. Bei seinem Perfektionismus kann das eventuell noch bis 2013 dauern. Aber wenn dann wirklich ein Album kommt, dann mach dich auf eine Beats- und Bilderflut gefasst, die Swag, Kunst, Flow und Gefühle hat.
Machst du gerade viele Interviews?
Ja ich freue mich über das große Medieninteresse. Ich versuche die Interviews vorsichtig anzugehen.
Cirka seit Sommer 2011 veröffentlichst du verstärkt Videos und Tracks.
Ich hab meine Fanpage vor vier Jahren gestartet und bis ich 700 Likes hatte, habe ich eigentlich gar keine Promo gemacht. Damals gab es schon Songs von mir, die man heute nicht mehr so leicht im Netz findet. Bei 700 Fans hab ich eine Aktion gestartet, dass ich bei tausend, 1.500 und 2.000 Fans die nächsten Tracks veröffentlichen werde – und über Nacht waren es tausend und eine Woche später schon 3.000. Ich hatte damals um die 20 unveröffentlichte Songs für ein Album und sah mich ein Jahr lang nach einem Label um. In der Zeit, 2009 cirka, hatte ich zwei Musikvideos gedreht, die nie rausgekommen sind, weil sie nicht meinen Vorstellungen entsprochen haben. Seit damals gibt es auch meinen Manager Gonzalo in Berlin und London, der mich mit seinem Enthusiasmus und seiner Einsatzfreude überzeugt hat.
Da ich in dem Jahr wenig veröffentlicht habe, verlor ich an Hype und entschied als Reaktion meine erste Mixtape gratis ins Netz zu stellen. Seit dem versuche ich so oft wie möglich ein Musikvideo zu drehen und den Fans zu bieten. Letzten Jänner habe ich wieder eine Aktion gestartet, um für eine Veröffentlichung Likes auf Hypem.com zu bekommen. Damit habe ich es dort gleich dreimal in einer Woche in die Charts geschafft. Es ist ein gutes Gefühl wenn eine Idee aufgeht.
War das Material stärker?
Vielleicht auch, aber mit Sicherheit war die Unterstützung massiver. Ich hab mittlerweile genügend fertige Tracks und warte noch darauf, dass der Hype groß genug wird. Ich bin in einer Phase, in der es darum geht, mehr Fans und Aufmerksamkeit zu generieren und das geht eben am besten durch Gratis-Tracks.
Ab wann ist der Hype groß genug?
Nie. Aber ein gutes Zeichen ist es wenn man das richtige Angebot vom richtigen Label bekommt.
In welchen Territories?
Ich hab bereits Meetings mit mehreren Major-Labels in Deutschland und New York gehabt. Als Dimmak mir auf Twitter zu folgen begonnen hat, bin ich halb ausgeflippt, aber das es ein Angebot gibt, ist ein Gerücht. Es gibt auch Interesse von mehreren Verlagen – wo ich genau landen werde wird sich in den nächsten drei, vier Monaten klären.
Hast du schon konkrete Angebote? Auch gute?
Ja, die gibt es. Ich hab noch Ideen für ein paar Videos, die ich vorher gern machen würde. Die Offers klingen zwar verlockend, ich habe aber das Glück, dass ich das Geld derzeit nicht unbedingt zum Überleben brauche, dass es also nicht um den Vorschuss geht, sondern um die richtigen Generalumstände. Ich suche derzeit nach dem idealen Song. Bei „Jack Sparrow“ wusste ich dass ich nie die Rechte von Disney bekomme, obwohl ein Freund sogar mit dem Komponisten geredet hat. Mit „I Want To“ wollte ich zeigen dass ich auch ernstere Lieder schreiben kann – allein an dem Video haben wir ein Jahr lang gearbeitet.
Bekommst du bei „I Want To“ oder „Video Games“ die Rechte?
Radiohead hat leider nein gesagt. Meine Hoffnung ist, dass solche Probleme mit einem Major-Label gelöst werden können.
Ist das so? Jemand wie Kanye West kann sich Sample-Rechte leisten.
Wenn es mich inspiriert, wenn ich was Cooles höre, sample ich das. Und wenn es nicht mit den Clearances klappt, veröffentliche ich es eben Gratis.
Das Spektrum an gesammelten Stilen ist sehr breit: Soul, ein Cover von „I Will Survive“, Lana Del Rey. Wie viel deines Materials beruht auf Samples?
Ich habe in letzter Zeit immer öfter komplett original produziert. Das Spektrum ist aber eigentlich immer so gewesen. Mein ganzer Katalog ist nicht draußen, aber es gibt das alles, akustische Liebeslieder mit Streichquartett, viel Elektronisches, klassischen Hip Hop oder Durchmischtes in Richtung Dubstep. In jedem Genre gibt es bestimmte Qualitäten, die mir imponieren.
Was beeinflusst dich?
Anfangs war einer meiner größten Einflusse mein Bruder Toni, der mir Wu Tang, Oxmo Puccino oder De La Soul vorgespielt hat. Atmosphere, Ugly Duckling und Daft Punk kamen dazu. Meine eltern hörten viel Weltmusik, aus der ich mir auch manchmal Samples geklaut habe – Edith Piaf, Nina Simone, Oumu Sangare, Gypsy Kings, Klassik, es gibt überall tolle Anregungen. In meiner Musik kann man viele meiner Vorlieben erkennen.
Wo ist das Verbindende? Ist ein Album mit diesem musikalischen Spektrum denkbar?
Ich hab mir das immer so gewünscht, die größeren Labels wollen, fürchte ich, Eindeutigkeit.
Am Ende des Videos von „Outro“ gibt es ja schon fast eine komplette, grafische CI für Left Boy. Wie fertig ist dein Album?
Es gibt aus einem großen Pool an Songs cirka zwölf, die die Basis bilden. Mit der müsste ich noch ins Studio zum Aufpolieren.
Wie sieht dein Studio denn aus? Vintage-Synths? Teure Kompressoren? Ein Laptop?
Ich hab über die Jahre viel Equipment aufgekauft und eine Sammlung aufgebaut um letztlich festzustellen, dass ich nur einen Laptop, zwei Lautsprecher, ein Mikrophon und ein Midi-Keyboard brauche. Damit reise ich auch. Obwohl auf „Outro“ auch unzählige Synths sind. Für den Mixdown hab ich seit neustem kompetente Verbündete. Wenn ich ein Album rausbringe müsste ich noch einige der Lieder tweaken aber das mach ich wenn es soweit ist.
Ist 2012 realistisch?
Es wäre schön. Am liebsten würde ich es ja in zwei Monaten veröffentlichen.
Machst du noch was nebenher?
In letzter Zeit hab ich mich auf die Live-Show konzentriert. Ich würde in der Zukunft auch gern ein Modelabel starten.
Hat das schon einen Namen? Logo?
(Zögerlich) Ja, beides. Aber der Name ist noch nicht patentiert. Vor zwei Jahren stand es bereits in den Startlöchern. Aber leider ist das nicht so leicht zu managen. Ich habe hohe Qualitätsvorstellungen bezüglich Schnitt und Material, Junkware kann ich nicht leiden. Diese Woche kommen mal tausend T-Shirts ins WUK.
Das klingt ja, als hättest du ein ganzes Team um dich herum?
Ich habe viele gute Verbündete. In Wien etwa Housemaedchen, die unter anderem mit mir mein Logo designt hat. In Brooklyn lebe ich mit fünf Freunden auf vier Stockwerken, in einer Art kreativen Factory, zwei sind Regisseure, die anderen Fotografen und Produzenten. Mit denen drehe ich auch all meine Videos.
In New York hast du eine ganz andere Welt kennen gelernt, oder?
Ich habe in Wien in der amerikanische Schule gelernt und bin in einem behüteten Umfeld aufgewachsen. In New York war es das komplette Gegenteil, viele meiner Freunde hatten echte Existenzsorgen, konnten es sich nicht leisten ins Kino oder in ein Restaurant zu gehen. Manche hatten Gefängnis hinter sich wegen Drogen oder Gewalt. Das hat mir die andere Seite des Lebens gezeigt. Die Einblicke dieses Jahres waren sehr wichtig für mich. Danach bin ich versuchsweise wieder nach Wien und hab mich, als die Wohnung frei wurde, endgültig für New York entschieden. Es ist die Höhle des Löwens und dort sollte man sein wenn man es ernst meint.
Woher kommt diese Art von dir zu singen, zu rappen, dieses hybride Englisch?
Das ändert sich bei mir immer wieder. Es macht mir Spaß zu experimentieren. Das Hauptaugenmerk liegt bei mir auf dem Flow und dann geh ich stundenlang im Kreis herum und füge einzelne Worte und Sätze hinzu. Ich versuche etwas stimmiges zu entwickeln das aus mehreren Komponenten besteht.
Und wie reagiert man denn in den USA auf diese Art von Reim-Flow?
In den Staaten werden die Leute erst jetzt auf mich aufmerksam. Die Reaktionen der verschieden amerikanischen Blogs sind sehr Unterschiedlich aber größtenteils positiv. Es gibt schon ein paar Schulen wo ich größere Fangemeinden hab.
Bei Mike Skinner und Lena Meyer-Landrut gab es Diskussionen, ob sie einen bestimmten Akzent nur vortäuschen. Bei dir auch?
Ich bin kein deutschsprachiger der Englisch singt, Englisch bzw. Amerikanisch war von Kindheit an meine Hauptsprache. Ich träume und denke auf Englisch. Das spielen mit Stimme gehört zum Handwerk. Solche Diskussionen interessieren mich nicht.
Musst du dein eigener Social Media Manager sein um ein Label zu überzeugen?
Selbstverständlich. Durch Facebook und Youtube bin ich dort wo ich bin.
Du singst in „Outro“ über all die Haters, ist es schon so schlimm?
Durch das Internet zieht man natürlich auch negative Kritik an. Wie ich das Lied schrieb wurde ich gerade von mehreren Leuten angegangen und musste meine diesbezügliche Genervtheit ablassen. Ich habe angefangen zu Musizieren um die Themen, die mich beschäftigen zu bannen, die Lieder sind wie mein Tagebuch.
Ein paar Textzeilen in „I Want To“ wie „Burning money like whatevah“ prägen sich ebenfalls leicht ein.
Das Lied ist sehr selbstkritisch und erzählt von einer Phase, in der ich Geld, meine Zeit und mein Leben nicht verantwortungsvoll genug genützt habe.
Und wo ist das gedreht?
In New York, Griechenland, und in unserer Wiener Wohnung wo ich mit meinem Vater lebe.
Gibt es für dich eine Deadline um jetzt deine aktuelle Hypewelle nicht zu verpassen?
Ich zerbreche mir ständig den Kopf darüber was das nächste Video sein soll. Jetzt habe ich drei Konzepte für Musikvideos und einen vorgegebenen Zeitraum um zu drehen. Die Ergebnisse müssen stimmen, sonst erlaub ich es mir nicht sie zu veröffentlichen. … Ach, so was, da drüben sitzt ja mein Vater.
Ah, ja, du solltest vielleicht rüber, gibt es etwas, das du noch loswerden möchtest?
Ne das war eh ziemlich ausführlich.
Dank dir.