Paradies: Wiener Neustadt

Die Stadt-gewordene Trostlosigkeit im Süden Wiens war in den Achtzigern noch trostloser. Genau das war der Nährboden für einige der aufregendsten Songs, die zu dieser Zeit in Österreich geschrieben wurden. Ein Doku rollt die Szene auf.

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Es ist Neujahr. Im besetzten Wiener Amerlinghaus fliegen Bierflaschen, Stühle, Messer, irgendwo brennt es. Ein paar blutjunge Bands aus Wiener Neustadt spielen, sind in den Augen des Publikums, das fast nur aus Hardcore Punks besteht, falsch adjustiert. Der Abend artet aus, wird legendär. 35 Jahre ist das her. Der 1. Jänner 1981 gilt als zündender Moment der Wiener Neustädter Szene. Die Bands tragen Namen wie Dämmerattacke, X-Beliebig, Zerbrechlich oder Westblock, singen zornige Songs über die bleierne Gegenwart. Gegeben hat es sie alle schon länger. Aber es brauchte diesen einen irren Abend, damit Wien und halb Mitteleuropa auf diese Bands aufmerksam wird. Martin Biro – alle nennen ihn nur Panza – hat den Abend organisiert. Er gilt als Entdecker dieser Szene. Auf seinem Label Panza Platte kommt später der Song „Leben ist Blut“ heraus. „Im U4 war das ein Gassenhauer“, meint Zoltán Dároczi von X-Beliebig. Sogar Major-Labels wollen mitmischen und bezahlen aberwitzige Vorschüsse. Ungefähr 50.000 Schilling für ein Album von Dämmerattacke, die bis dahin dachten, sie müssten dafür selbst bezahlen. Heute werden originale Vinyl-Singles für dreistellige Beträge gehandelt.

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Und es fängt von Neuem an

„Das hatte einen eigenen Sound“, erzählt Eberhard Forcher, später Ö3-Moderator, in der knapp einstündigen Doku „Und es fängt von Neuem an“. Die Musik und die Parolen entsprechen dem, wie man sich den Sound der Stunde vorstellt. Beton, Tristesse, Arbeitslosigkeit, Depression. Fast so wie in Manchester, wo die großen Vorbilder Joy Division herkamen. „Bei uns in Wiener Neustadt, da ist alles tot“, sagte der Sänger von X-Beliebig damals in einem Interview. Keine andere Stadt in Österreich war so von Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Als Eisenbahnknotenpunkt wurde die Stadt völlig zerbombt. Nur 18 Gebäude blieben unbeschädigt. Jahrzehnte später war das noch spürbar. Österreich war blockfrei und in Europa eine Insel. Der Eiserne Vorhang hieß nicht umsonst so. Aber es gab auch eine Art Aufbruchstimmung. Die Jahre unter Bruno Kreisky hatten das Land geöffnet. Wiener Neustadt war insofern der ideale Nährboden für diese Songs, die kalt und trostlos klangen, dürr und grau. Ja morgen, morgen, morgen, morgen sind alle tot, sangen sie. Diese Bands erzählten aber auch davon, dass es noch Leben in Europa gibt, dass womöglich ein „Neubeginn“ kommt.

Der höllische Lärm, die Präzision, das Tempo

Heimlicher Held war Bernd Bechtloff, Schlagzeuger von X-Beliebig. Viel ist über die Rhythmussektionen von Bands wie Joy Division, Gang Of Four oder Wire geschrieben worden. Und zu den schlimmsten Dingen, die man über österreichische Musik sagen kann, gehört, dass sie sich international nicht zu verstecken brauche. Hier wäre das arg untertrieben. Der höllische Lärm, die Präzision, das Tempo von Bechtloffs Drums ist atemberaubend. Songs wie „Fort“ oder „Verlogen“ wären ohne ihn nur sehr gut. Nach außen hin war allerdings Rene Adametz der Star. Was er gut gefunden hat und was Scheiße, das hat gegolten. Der Sänger von X-Beliebig hat wenig auf Konventionen gegeben. Schnauzer etwa. Eigentlich ging das gar nicht im New Wave. Er hatte trotzdem einen. Interviews zu geben war natürlich auch oasch. Die Bands verweigerten sich ganz oder waren schwierig. Und als sie dann verstanden hatten, was sie da auf ihren Instrumenten überhaupt tun, ein E Moll und ein A Moll spielen konnten, da war die Magie weg. Schnell ist die Szene in sich zusammen gefallen.

„Und es fängt von Neuem an“ fängt diese fast vergessene Episode österreichischer Popmusik gekonnt ein. Die Aufnahmequalität der Doku ist zwar durchwachsen, sonst aber ist das oft überraschende Archivmaterial mit Interviews aus der Gegenwart kurzweilig gegengeschnitten. Es ist sogar gelungen, eine peinliche Schwäche von Musikdokus zu vermeiden. Hier kommen auch zahlreiche Frauen zu Wort. Wie etwa Alexandra Wunderl. Sie sang später bei den United Love Affairs, einer Band, die – wenn man so will – zur zweiten Welle der Szene aus Wiener Neustadt gehörte. „Ich durfte bei den Bates ein bisschen Huhu singen und ein bisschen Go-Go machen“, erzählt sie. „Für eine emanzipierte Frau ist das natürlich total entwürdigend. Aber trotzdem war es ein bisschen lustig auch.“

Besagte Bates hatten einen harten Fanblock, der überall hin mitgereist ist, egal ob Budapest, Zürich oder München. In Wien spielten sie regelmäßig vor ausverkauften Häusern. Etwa im Stalingrad, einem kurzlebigen Club mit einem Fassungsvermögen für 2.000 Menschen in der Zentagasse, zu dem man im Netz heute absolut nichts mehr findet. In der Szene wurden Filme gedreht oder U-Modenschauen im U4 veranstaltet. Ihren Höhepunkt hatten die Bates wohl in Wiesen als Vorgruppe von Iggy Pop vor etwa zehntausend Menschen.

Bass spielte dort Hannes Eder. Bis April war er Chef von Universal Austria, früher Juror bei Starmania. Er hatte einen wesentlichen Anteil, dass diese Szene dokumentiert wurde. Das österreichische Poparchiv wird damit immer weiter aufgearbeitet. In Projekten wie „Schnitzelbeat“, „Es muss was geben“, „Ballgasse 6“ oder „Wienpop“ uvm. zeigt sich das hohe Interesse an dem, wie früher in den Kellern und Baracken dieses Landes Krach gemacht wurde – und daran, wie man dagegen war. Viele dieser Aufnahmen haben vor allem historischen Wert. Das ist hier anders. Durch die Doku und einen Sampler wird die Geschichte nicht nur nacherzählt, sie wird auch hörbar. Und sie klingt herausragend. Fundstück, Perle aus dem Archiv, das heißt es dann immer. Hier stimmt das.

Die CD „Und es fängt von Neuem an“ ist bereits via Monkey / Schallter erschienen. Die gleichnamige Doku wird am 30. Juli, 21 Uhr am Wiener Popfest gezeigt. Im Anschluss spielen die neu formierten Totgeglaubt live.

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