Auf der Suche nach der verlorenen Funky Time – Dorian Concept im Interview anlässlich seines neuen Albums »The Nature Of Imitation«

Dorian Concept erforscht jetzt Erinnerungen. Er hat ein Album für die Indoor-Generation gemacht. Und er will sie mit genau gesetzten Brüchen hinaus in die Welt locken.

© Jakob Gsöllpointner

Vor zehn Jahren sind Planeten explodiert und ebenso die Familie des Affine-Labels. Dorian Concept wurde dabei besonders hoch gehandelt. Nach vielen furiosen Konzerten hat er mit »Joined Ends« ein Album veröffentlicht, das künstlerisch sehr wertvoll die meisten Erwartungen unterlief. Jetzt macht er das auf »The Nature Of Imitation« erneut, dieses Mal aber subtiler. Im neuen Werk knüpft Dorian Concept an seine alte Liebe zum Club an, er forscht Erinnerungen aus, erweckt sie zu neuem Leben und formuliert sie dabei zwangsläufig neu. Er programmiert nicht mehr im herkömmlichen Sinn, sondern nimmt seine HörerInnen auf eine Reise aus Tönen mit, um am Ende an einem anderen Ort anzukommen. Man könnte nun davon sprechen, dass es darauf ankommt, die eigene Filterblase zu verlassen – aber vielleicht sollen diese Erinnerungen vielmehr überschrieben werden, mit besseren Mythen und wahreren Melodien.

Warst du in der Akademie des Verlernens?

Der Name ist super. Das Verlernen als Ambition ist mir extrem wichtig. Das passiert einerseits mit einem schlechten Kurzzeitgedächtnis automatisch, andererseits habe ich mir Dinge fast nie nach einem Buch angeeignet.

Du hast früher als Wunderkind gegolten. Was konntest du damals besser?

Als das habe ich mich nie gesehen. Ich habe in einem Interview einmal erzählt, dass ich Klavier spiele seit ich sechs Jahre bin und das wurde umgedichtet. Ich war eigentlich das relative Gegenteil, habe nie Noten lesen können und mir nur über die Hände meiner Lehrerin gemerkt, was ich nachzuspielen habe. Das ging gut, bis die Stücke nach einigen Jahren zu schwierig wurden. Das Wort »Wunderkind« liest sich halt im Pressetext gut.

»J Buyers« … wie?

Kann man als eine der Kern-Nummern am Album sehen. Es baut sich über eine Minute ein Streicherthema auf, das mit der restlichen Nummer wenig zu tun hat. Und dann passiert viel Unerwartetes. Das ist generell eines der wichtigen Themen am Album: mit den Erwartungen des Zuhörers zu spielen – Sachen an ungewöhnlichen Zeitpunkten abzubrechen oder anzufangen. Außerdem war es auch die erste Nummer, die fertig war, bei der sich eine klare Richtung für das restliche Album herauskristallisiert hat.

Sie geht nach vorne. Du hast beim letzten Album gemeint, dass dich das nicht mehr interessiert.

Stimmt, beim letzten Album war es mir wichtig, Distanz zu finden, weil ich mich damit überassoziiert fühlte, der Typ zu sein, der mit dem Micro Korg ein Clubset spielt. Aber ich habe im Verlauf der letzten Tour gemerkt, dass es ein Teil von mir ist. Ich fühle mich als Keyboarder mit dem Lauten und Druckvollen einfach wohl. Vielleicht ist »J Buyers« eine Art Outing, dass ich davon nie ganz wegkomme.

Der Track ist auch sonisch unerwartet, es gibt eine Soundscape und Harfen.

Ja, ich hab mich bei der Nummer an vielen unterschiedlichen Klangquellen bedient und mich Sachen getraut, die man sonst vielleicht so nicht von mir kennt. Es war mir wichtig, einen überladenen und verzerrten Sound einer ekstatischen und aufbauenden Ästhetik gegenüberzustellen, wie eine Art Metal-Song, der auf eine K-Pop-Nummer trifft. Ich glaub diesen Mut zu haben, Sachen einander gegenüberzustellen, die vielleicht auf den ersten Blick nicht zusammenpassen, war mir wichtig.

Wird das die Single?

Das hast du gut erhört. Es ist bei diesem Album zwar schwer, im klassischen Single-Format zu denken, aber ich denke, dass diese Nummer am ehesten helfen kann zu verstehen, was am restlichen Album noch vor sich geht.

»Beim letzten Album war es mir wichtig, Distanz zu finden, weil ich mich damit überassoziiert fühlte, der Typ zu sein, der mit dem Micro Korg ein Clubset spielt.« — Dorian Concept © Jakob Gsöllpointner

Das Album ist in Wien entstanden, oder?

Ja, fast ausschließlich. Ich war zwei Monate in Los Angeles und habe Ideen gesammelt. Der größte Teil ist hier im Studio entstanden. Ich finde es spannend, wenn sich ein erschöpfender Alltag aufbaut, den man durchbrechen muss, wenn man das Gerüst möglichst gut kennt, um es abzumontieren. Das Album ist vielleicht ein Statement für die Indoor-Generation, eine Aufforderung zum inneren Reisen.

Ist das Cover eine visuelle Umsetzung des Albumtitels? Linien, die sich variieren und die nächste Linie imitieren, aber nie genau so sind, wie die anderen Linien?

Das ist schon eine sehr gute Interpretation. Es ist von einem Designer namens Manuel Radde. Mir war es wichtig, Themen vom Album ins Cover zu arbeiten. Du hast in einer Kette von Imitationen ja auch immer Veränderung, wie bei einem Spiel von »stiller Post«. Ich will aber noch nicht verraten, woher die Inspiration und die Symbolik genau kommen.

Man könnte behaupten, das letzte Album war fraktal, das hier ist seriell. Aber spiegelt das die Musik wider?

Ich habe nie eine so klare Agenda gehabt. Je simpler etwas visuell ist, desto stärker löst es Assoziationen aus. Der Psychologe Frederick Charles Bartlett hat in einem Versuch Leuten eine ägyptische Eule gezeigt – die man auch von Drakes Label kennt – und hat sie sie nachzeichnen lassen. In serieller Reproduktion hat sie sich langsam zu einer Katze entwickelt. Das zeigt auch wie kulturelle Transmission und sogar unser Gedächtnis funktionieren.

Könntest du »Mother’s Lament« jetzt spielen oder ist die Nummer am Laptop editiert worden?

Das ganze Album ist eigentlich ohne jegliches Programmieren im klassischen Sinn entstanden. Das meiste ist über meine Keyboards eingespielt und dann Schicht für Schicht zu dem gemacht worden, was es ist. Clemens Wenger meinte, wenn das letzte Album mein Kammermusikalbum war, dann ist das jetzt mein orchestrales.

»Mother’s Lament« kommt am Ende an einem ganz anderen Punkt an, das Tonmaterial entwickelt sich linear weiter – das gibt es selten. 

Es ist interessant, dass du die Nummer hervorhebst, mein kommendes Material ist von diesem Prozess beeinflusst. Wir haben viele der reinen Klavierstücke dieses Mal großteils rausgenommen. Auch bei »Dream Works«, das ich im Rahmen einer Performance mit dem Cinematic Orchestra fürs Barbican Center geschrieben habe, gibt es diese Veränderung, bei dem der Anfang und das Ende nichts mehr miteinander zu tun haben.

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