Machst du Geräusche, machst das mit Liebe, machst das mit Können, machst das über Wien, wo du herkommst. Wirst total gefeiert, halt nicht hier. Aber was für ein Album.
Als Christian Fennesz 2001 „Endless Summer“ veröffentlichte, hat es die elektronische Musikszene getroffen wie ein Tsunami. Das schrieb der britische Resident Advisor anlässlich des zehnten Geburtstags jenes Albums, das von den Meinungsmachern bei Pitchfork noch vor Bon Iver oder Kanyes „College Dropout“ auf Platz 26 der besten Alben des vergangenen Jahrzehnts gewählt wurde. Abstrakte, elektronische Musik war vorher kalt, kopflastig und unnahbar. Nach diesem Meilenstein von Album durfte sie auch sonnig sein, fühlbar, fast spätromantisch. Daran will „Bécs“ nun anknüpfen. Christian Fennesz ist heim gekommen, er wohnt wieder ganz hier, veröffentlicht sein erstes Album seit gut sechs Jahren so wie früher auf dem international wohl wichtigsten Wiener Label, Editions Mego, er hat es hier aufgenommen und es auch gleich entsprechend benannt, nach Wien, auf Ungarisch.
Großer Bahnhof
Bei der Interpretation von abstrakter Musik ist man ja auf relativ wenige Indizien angewiesen. Das ist auch gut so und gleichzeitig eine ihrer Stärken. Dadurch werden die wenigen Bedeutungsträger mitunter zu wichtig genommen, ein Cover, ein Albumtitel, eine beiläufige Äußerung. „Bécs“ ist nun kein zweites „Endless Summer“. Aber im Unterschied zum harschen, finsteren „Black Sea“ sucht es sozusagen das Licht, das magisch rauscht. Die Künstlerin Tina Frank hat das Artwork aus Fotografien vom neu entstehenden Wiener Hauptbahnhof gestaltet. Es zeigt Wien „als würde man vom Osten in die Stadt kommen, mit einer dunklen, cineastischen Note“. Covers in den späten Neunzigern haben oft so ausgesehen. Die Farben erinnern an „Hotel Paral.lel“ und „Endless Summer“ gleichermaßen, die Formen an Kunstuni Linz. Seine Hülle bietet weniger Projektionsfläche, deutlich weniger als etwa „Venice“ das tat, mit seinen kaum stilisierten, marineblauen Booten und dem Sehnsuchtsnamen. Dann gibt es aber ja noch diese Musik.
Abstract Pop – der zweite Track „The Liar“ hat diesen Namen nun wirklich verdient. Über einem schroffen Impuls, der sich wie ein Alarm durch das Stück zieht, schichten sich verschiedenste Noises quer durch das Frequenzspektrum. Der Bass ist anfangs deutlich zu hören, hält sich später bedeckt. Hier spielt Fennesz wie eigentlich auf dem gesamten Album für ihn typische Qualitäten aus. Er deutet an, moduliert und überlässt es dem Ohr, sich an immer neuen Feinheiten zu orientieren. Das zentrale und fast genau zehnminütige „Liminality“ kennt man von seinen Live-Performances. Es schließt direkt an den drei Jahre alten Killer „Liminal“ an. Dort trugen die schweren „Twin Peaks-artigen Synths die Trauer und den Wind der Platanen“ in sich, hier wird das Thema in äußerster Zartheit weitergedacht und verdichtet. Auf „Paroles“ hört man sie wieder, die Gitarre, die Fennesz ja gegenüber vielen anderen Abstrakten auszeichnet – dort sogar akustisch, in der ganzen Raffinesse, mit der Fennesz im Siebten Wiener Bezirk aufnimmt. Die Klarheit und Nähe des Klangs ist erstaunlich. Der große Jim O’Rourke hat vermutlich gerade nebenan bei einer Sachertorte gesessen, als Fennesz diese beinahe klassische Tondichtung komponierte.
Große Pallas Athene
Immer wieder hat sich Christian Fennesz mit Gustav Mahler beschäftigt, er spürt eine besondere Nähe zum Spätromantiker, der zugleich in die Moderne blickte. „Paroles“ kommt am Ende fast unbemerkt in einer ganz anderen Tonart an, Mahler tat das auch oft. Es gibt bei beiden eine Erdung und die experimentelle Seite. Es gibt bei beiden „das große Wuchtige und kleine Feine auf einer Linie“, wie das Fennesz in einem Interview nannte. Immer wieder kann man diese unterschiedlichen Dimensionen auf „Bécs“ erkennen, auf der Ebene der Sounds, der Harmonien oder im Grundriss seiner Tracks – sie brillieren sowohl auf einer mikroskopischen wie auch auf einer makroskopischen Ebene.
„Pallas Athene“ klingt dunkel, erhaben, wie ein schlingernder Stern. Der Tracktitel könnte die Statue vor dem Parlament meinen, die griechische Göttin der Weisheit, die da vor dem Zentrum der politischen Macht in Österreich mit einem Speer und eine Mini-Siegesgöttin herumsteht wie ein Kalenderspruch, den man gelegentlich ansieht. Der Track klingt nun gar nicht herrschaftlich, so ganz ohne rhythmische Impulse, eher wie ein Lied aus Sound. Er ist relativ gewöhnlich, sechs Minuten Ambient, die zu „Bécs“ hinüberleiten – das wiederum seine berührenden, harmonischen Kadenzen, die fast kammersymphonisch anmuten, schnell unter einer dichten Schicht Verzerrung begräbt. Fennesz hat bis hierhin im Grunde nur seine Stärken weiter ausgelotet. Man wird hier keine uralten, monströsen Analogsynths hören oder den Klang von rieselnden Kieselsteinen oder malträtierten Schweinebäuchen, keine Orgeln, keine Refrains oder Stimmen. Solche Späße macht Fennesz vielleicht abseits seiner Soloalben. Von allen Tracks erinnert nur „Sav“ mit seinen relativ beiläufigen Glocken nicht ausschließlich an Fennesz, sondern auch an das kolossale Geläut von Pantha du Prince.
Es werden nun wohl wieder alle die Ohren und die Federn spitzen, von Washington Post bis Uncut, von Fact Mag bis Pitchfork, von Spin bis Xlr8r. Christian Fennesz hat diesen Status. Sie werden nichts Neues hören. Dem Album fehlen die griffigen Ankerpunkte für richtig große Stories. Auch Wien wird ihn nicht plötzlich lieben und ein Denkmal schenken. Sie alle werden ein Album hören, das Fennesz lange perfektioniert hat, das mehr Dimensionen hat als „Endless Summer“, das wieder klingt wie nichts anderes in der Musik unsrer Zeit, das einen einzigartigen Ausdruck in Sounds gefunden hat. Man muss sich ja nicht gleich fragen, woran wir uns in dreißig Jahren erinnern werden aus dieser Liste spielbarer Ö3-Musik aus Österreich, um "Bécs" auch jetzt schon zu lieben. Aber es schadet auch nicht.
"Bécs" von Fennesz ist soeben via Editions Mego erschienen.