Willkommen in »Questionology«! Cordula Daus und Charlotta Ruth haben eine Forschungsumgebung entwickelt, oder besser: ein begehbares Programm, das die vielleicht letzte, wirklich menschliche Eigenschaft trainieren soll: zu fragen und in Frage zu stellen.
»Questionology« wird als begehbares Forschungsprogramm für angewandtes Fragen beschrieben. Was darf man sich darunter im Detail vorstellen?
Cordula Daus und Charlotta Ruth: Wir haben »Questionology« gerade erst erfunden, daher ist es schwierig einen Vergleich zu finden. Man kann sich einen Spaziergang durch einen Fragebogen vorstellen, in dem sich Multiple-Choice-Felder auftun. Man kann die eine oder andere Richtung einschlagen oder auch eine Weile in einer Frage abhängen. »Questionology« ist ein Entergame für Ideen. Und eine sehr entspannte Forschungsumgebung. Es gibt Schnitzeljagden und Kurse über Handtuchhaltung. Einen Vorgeschmack bekommt man hier: brick.questionology.net.
Warum sind das Fragen und das In-Frage-Stellen für euch von besonderem Interesse?
Charlotta: Ich interessiere mich für den Körper als Resonanzort. Was geschieht, wenn eine Frage im Raum steht? Wohin gehen wir, wenn wir gefragt werden? An einen Ort in der Erinnerung, in einen bestimmten Zustand der Aufmerksamkeit oder in die Lücke zwischen Wissen und Nichtwissen? Unser Kollege, der Programmierer und Soundkünstler Simon Repp, hat darauf hingewiesen, dass das deutsche Sprichwort »Fragen kostet nichts« in unserer digitalen Zeit eigentlich neu definiert werden müsste. Denn es stimmt eben nicht: Daten sind Kapital. Und daraus ergibt sich eine unheimliche Konsequenz: Wenn unsere Fragen also Kapital generieren, wann und wie zahlen wir dann?
Cordula: Mich interessiert die Frage als lebendiges, sprachliches Material. Während einer Recherche bin ich auf den von Sokrates geprägten Begriff der Mäeutik gestoßen, der eine dialektische Methode des leitenden Fragens beschreibt. Mich fasziniert, wie wir uns beim gegenseitigen Fragen dazu bewegen können, Neues zu denken, uns zu verändern. Doch ich verstehe auch, dass man sich davon abgestoßen fühlen kann. Wir werden ja ständig befragt, abgefragt, ausgefragt. In der Schule, im Beruf, on- und offline. Es gibt einen allgegenwärtigen Frage-Terror, der auf schnelle Antworten, Ergebnisse und Produkte zielt – es gibt aber auch die Lust am Fragen. Im Zuge von »Questionology« wurde Charlotta und mir bald klar, dass uns das In-/Fragestellen als eine poetische Fähigkeit und Tätigkeit interessiert. Wir glauben, dass es eine völlig unterschätzte menschliche Eigenschaft ist. Daraus entstand die Idee, diese zu trainieren.
Der vor Kurzem verstorbene Philosoph und Religionswissenschaftler Klaus Heinrich hat in seiner Dissertation sehr schön beschrieben, wie tief das Fragen uns berühren kann, ja, dass ihm eine ontologische Bedeutung zukommt: »Redewendungen wie ›etwas‹ oder ›jemanden in Frage stellen‹ bringen tatsächlich die ganze Existenz des Betroffenen in die Schwebe. (…) ›Etwas kommt in Frage … steht in Frage … wird in Frage gestellt …‹ – alle diese Bilder betonen die Selbstständigkeit dessen, was in ihnen ›Frage‹ heißt. Sie deuten so auf ein Phänomen, das vielleicht doch mehr zu sein scheint als der bloße ›Ausdruck eines Verlangens nach Wissen, in dem das Bewusstsein des eigenen Nichtwissens als Antrieb … wirksam wird‹ oder gar nur ein geeignetes Verfahren, störende Wissensmängel zu beseitigen. Schließlich wird es kein Zufall sein, dass das Antworten, das so eng mit den Fragen zusammenhängt, auf einen oder vielleicht den zentralen Begriff der Ethik – die ›Ver-antwortung‹ – verweist.« In »Questionology« geht es uns auch darum, diese Verant-wort-ung oder response-ability als eine körperliche Kompetenz spürbar zu machen bzw. sie ins Spiel zu bringen.
Das Projekt ist in Zusammenarbeit mit einem Team von »Quasi-Doktor*innen« entstanden, es kommen Techniken aus den Bereichen Sprachkunst, Choreografie, Hebammenkunde, Neurowissenschaft, Witchcraft und Software-Engineering zum Einsatz. Wie (un-)wissenschaftlich ist »Questionology«?
Cordula und Charlotta: Die schnelle Antwort ist: Die Forschung, die wir in »Questionology« betreiben, bedient sich wissenschaftlicher Methoden und lässt sich dennoch nicht allein auf diese beschränken. Die oben genannten Praktiken sind Teil eines Wissens, einer Expertise und Recherche, die unsere Kolleg*innen eingebracht haben. Witchcraft ist nur ein Beispiel von vielen verschiedenen Wissensformen. Die etwas umständlichere Antwort ist: »Questionology« ist Teil einer künstlerischen Forschung, die wir im Rahmen unserer PhD-Projekte an der Universität für angewandte Kunst betreiben. Wir sind fast Doktor*innen – und einer von uns (ebenjener mit den Kenntnissen in Witchcraft) ist schon Doktor.
»Questionology« basiert auf eurer gemeinsamen Faszination für autopoietische Systeme, heißt es auf der Brut-Website. Was beschreibt dieser Begriff und was interessiert euch daran besonders?
Cordula und Charlotta: Der Begriff umreißt die Vorstellung eines poetischen Universums, das sich selbst generiert und verändert. Wir sind daran interessiert, Situationen zu erschaffen, in denen es kein Richtig oder Falsch gibt. Eine Logik zu etablieren, die durch Anleitungen, sprachliche oder rhythmische Setzungen das Vorhandene verändert. »Questionology« lebt mit und durch die Teilnahme anderer. Man kann sich einlassen oder nicht. Im besten Fall wird man immer wieder auf die »Systemfrage« zurückgeworfen, auf die Frage, wer oder was unser Handeln bestimmt und inwieweit wir selbst eingreifen können.
Wie reiht sich »Questionology« in inhaltlicher und formaler Hinsicht in eure bisherige Arbeit ein?
Charlotta: Ich arbeite seit Langem mit choreografischen Systemen, Wahrnehmung und flexiblen, partizipativen Erzählformen. Vor ein paar Jahren habe ich eine Arbeit im WUK »Treasure Hunting« genannt. »Questionology« ist definitiv ein goldenes Upgrade von vielen Dingen, die bereits in dieser Arbeit angelegt waren. Ich liebe es, Räume zu schaffen, in denen die Dinge ihren Lauf nehmen können. Aber es ist mir nicht immer so wichtig zu definieren, welche Inhalte in diesen Räumen Platz finden sollen. Die Form ist mein Inhalt. Gerade schwärme ich meinen Freunden von der Zusammenarbeit mit Cordula vor. Wie gut sich unser Wissen ergänzt, wie wir gemeinsam Dinge erfinden können, wie zwischen uns Worte kommen und gehen und sich, ähnlich wie Steine, Code oder andere Materialien, mit denen wir arbeiten, zu etwas Neuem verbinden. Unsere Forschung über das Fragen hat im Sommer 2019 mit einer Einladung zum Research Pavilion #3 in Venedig ihren Anfang genommen. Dort haben wir eine erste Installation entwickelt, die Teil einer »research cell« war, die von dem Philosophen und Soundkünstler Alex Arteaga geleitet wurde.
Cordula: In den letzten Jahren habe ich eine Publikationsreihe herausgegeben, die wissenschaftliche Recherche mit semifiktionalen Texten und Artefakten verbindet. Mein Schreiben ist meist situations- und ortsgebunden. Oft gehe ich von einem Namen, einem Begriff oder einer Behauptung aus. Ich habe eine Reihe von eigenen Institutionen und Disziplinen erfunden (wie z. B. die Seismolologie, Erschütterungskunde oder Piktopsychologie), die gleichzeitig als Rahmen für die Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen funktionierten. In formaler Hinsicht erinnert mich »Questionology« manchmal an »BCNova«, eine fiktionale Corporate Identity, die ich vor Jahren in Barcelona entwickelt habe. Auch wenn beide Arbeiten sehr verschieden sind, basiert »Questionology« auf einem ähnlichen Größenwahnsinn. Ohne Charlotta und ein so tolles Team wäre es nicht möglich gewesen, diese Welt zu erfinden.
Für »Questionology« von Cordula Daus und Charlotta Ruth werden folgende Termine angeboten: 19., 20., 25., 26. und 27. Juni 2021. Beginn zu jeder vollen Stunde zwischen 15 und 18 Uhr. Empfohlene Dauer der Teilnahme: 1,5 bis vier Stunden. »Questionology« findet (hauptsächlich) im Garten des Zentrum Fokus Forschung der Universität für angewandte Kunst Wien statt.
Dieser Beitrag ist in Kooperation mit brut Koproduktionshaus Wien entstanden.