In »protect. there is no wind in geometrical worlds« setzt sich die Choreografin und Tänzerin Inge Gappmaier mit Themen wie der digitalen Selbstbeobachtung und der Differenz zwischen Spiegelbild, Virtualität und körperlicher Realität auseinander. Das Stück feiert am Sonntag Uraufführung in Form eines Online-Screenings. Das Theaterhaus brut lädt zum Binge-Watching.
Im Stück »protect. there is no wind in geometrical worlds« inszenierst du ein Duett mit dir selbst. Wie viele Ichs stecken in einem Menschen?
Inge Gappmaier: Ich denke, dass der Mensch unendlich facettenreich ist. Je nach Blickwinkel, Gegenüber, Umwelt, Situation oder Intention wird eine andere Facette dieses Ichs sichtbar. In »protect.« stelle ich die Frage nach der Wechselwirkung zwischen mir und etwas anderem bzw. im Duett: zwischen mir und mir. Aus dieser Dualität entspannt sich für mich eine unendliche Feedbackschleife. Und in dieser Feedbackschleife ist es entweder windstill oder es bildet sich ein Orkan.
Es werden dabei Themen wie Selbstbeobachtung, Selbstinszenierung und Selbstoptimierung aufgegriffen – insbesondere in Hinblick auf Social Media. Spitzt die Aufführung des Stücks in der digitalen Welt das, was du ausdrücken möchtest, weiter zu?
Ich sehe die sogenannten sozialen Medien als digitale Spiegel, die auf verzerrte Art und Weise zurückwerfen, was wir hineingeben. Algorithmen und Filter kreieren Wohlfühluniversen und vermeiden, dass wir mit Dingen konfrontiert werden, die wir nicht sehen wollen. Durch das Auftreten der Pandemie und die nötigen Maßnahmen wurde das Thema des Stücks plötzlich unerwartet potenziert aktuell, ja. Die »Aufführung ohne Publikum« macht den Selbsteinschluss real und ist – wenn man so will – die logische dramaturgische Konsequenz des künstlerischen Konzepts. Durch die Aufführung im digitalen Raum und die (aktuell notwendige) Isolation der Zuschauer*innen, wird das Motiv des Stücks jedoch auch auf die Zuschauer*innen übertragen. Diese Folgerichtigkeit wollte ich im Theatererlebnis eigentlich bewusst brechen und den physischen Selbsteinschluss kontrastieren, nicht reproduzieren. Umso mehr hoffe ich, dass der virtuelle Theaterbesuch ein Gefühl von physischer Kopräsenz – verteilt auf ganz großem Raum – hervorrufen wird.
Denkst du, die langen Phasen des pandemiebedingten Lockdowns, der erzwungenen Einschränkung unserer sozialen Kontakte beschleunigen das Auseinanderdriften von digitalem und körperlichem Ich?
Die massiven körperlichen Einschränkungen haben, meiner Ansicht nach, den Blick vom digitalen auf das haptische Ich verlagert. Physische Nähe und Kopräsenz als auch Ortswechsel und Bewegung erfahren eine ungeahnte neue Wertschätzung. Ich denke, dass wir den Unterschied zwischen digitaler und körperlicher Kommunikation nun sehr deutlich spüren und merken, dass Technik vor allem ein Mittel zum Zweck ist.
Wie reiht sich das Stück in inhaltlicher und formaler Hinsicht in deine Arbeit ein?
»protect.« ist mein erstes abendfüllendes Bühnenstück in Wien. Darin artikuliert sich einerseits meine jahrelange Recherche und Auseinandersetzung damit, wie digitale Strukturen und mathematische Logik unser zeitgenössisches Selbstverständnis, Denkstrukturen als auch den Blick auf den Körper prägen. Andererseits bedeutet das Stück für mich eine Reduktion auf ein Minimum sowie den Versuch, daraus das meiste herauszuholen: ein einzelner Körper auf einer leeren Bühne, frontale Zuschauer*innensituation. Davon abgesehen, habe ich im Entstehungsprozess gelernt, wohin mich meine Faszination für Logik und Geometrie führt: Wind und die Poesie habe ich sehr lieb gewonnen. Das nächste Stück beispielsweise ist von Staub inspiriert.
Zum Abschluss: Was tust du dir Gutes an einem Tag, an dem du einen Auftritt hast? Was geht gar nicht?
Es kommt leider gar nicht so oft vor, dass ich einen Auftritt habe. Daher ist jeder Auftrittstag ein besonderer, den ich mit viel Ruhe, einem guten Frühstück, einem langen Spaziergang und gutem Aufwärmen begehe. So kann ich meine Energie und Aufmerksamkeit gut für die Aufführung bündeln. Herausfordernd wird es, wenn viele Treffen und Termine an den Tagen sind oder man noch letzte Vorbereitungen treffen muss.
»protect. there is no wind in geometrical worlds« von und mit Inge Gappmaier wird am Sonntag, den 17. Jänner 2021, um 19 Uhr bei freiem Eintritt auf brut-wien.at uraufgeführt.
Dieser Beitrag ist in Kooperation mit brut Koproduktionshaus Wien entstanden.