Mit seinem neuesten Stück »Immortality Day« greift der in Wien lebende russische Performancekünstler und Choreograf Oleg Soulimenko die Ideen des Russisschen Kosmismus auf und lädt das Publikum ein, kosmische und transhumanistische Verbindungen einzugehen. Zu sehen und erleben am 12. und 13. November im brut nordwest.
Dein Stück »Immortality Day« beschäftigt sich mit Motiven des russischen Kosmismus. Worum geht es bei dieser philosophischen Bewegung? Und warum ist sie für dich von besonderem Interesse?
Oleg Soulimenko: Ich habe mich von einigen Autoren inspirieren lassen, die unter dem Begriff »Russischer Kosmismus« zusammengefasst werden. Die Performance, die ich im brut nordwest zeigen werde, ist meine spielerische Fantasie über die physischen Grenzen unserer Körper, eine sehr persönliche Sicht auf das Universum als Lebensraum und futuristische Gedanken über die Zukunft unseres Planeten aus einem Essay, den der russische Wissenschaftler Konstantin Ziolkowski vor 100 Jahren geschrieben hat.
Je mehr ich über den russischen Kosmismus lese, desto schwieriger wird es, darüber zu sprechen, es ist ein ziemlich umfangreiches und komplexes Thema. Vereinfacht gesagt, handelt es sich um eine Strömung unter Wissenschaftler*innen, Schriftsteller*innen und Philosoph*innen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die sich, als der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele verloren ging, auf den Glauben an den menschlichen Körper als einzige Wahrheit konzentrierten. Davor hat man den Körper als Käfig für die Seele betrachtet, von diesem Zeitpunkt an wurde der Körper für sie zum einzig Realen. Auf ihn richteten sie auch den Hauptfokus, was ihre Einstellung gegenüber Tieren, der Natur und dem Kosmos anbelangte. Und der Körper kann auch nach dem Tod eines Menschen weiterleben.
Zu dieser Zeit setzte man begeisterte Hoffnung in Technologie und wissenschaftlichen Fortschritt, und weil der Körper etwas Materielles ist, sah man ihn als etwas an, das wohl ewig leben würde. Der Arzt Alexander Bogdanow propagierte seine Theorie der Verjüngung durch Bluttransfusionen. Der Philosoph Nikolai Fjodorow setzte sich für die radikale Verlängerung des Lebens, die körperliche Unsterblichkeit und sogar die Auferstehung der Toten mithilfe wissenschaftlicher Methoden ein. Und der Raketentheoretiker Ziolkowski war sehr glücklich über den Tod, weil dadurch die Atome des Körpers frei würden und mit dem Universum kommunizieren könnten. Es gab da also viele, viele faszinierende, manchmal widersprüchliche Ideen, die meine eigenen poetischen Fantasien über Körper, Objekte, Sprache und Klang inspiriert haben.
Du nutzt die weitläufigen Hallen des brut nordwest für dein Stück, indem du überall »performative Inseln« einrichtist. Wurde dieses Konzept speziell für den neuen Veranstaltungsort entwickelt? Und was erwartet uns im Detail?
Als ich anfing, an diesem Konzept zu arbeiten, hatte ich bereits die Idee, dass die Performance an einem nicht-theatralen, unschuldigen Ort stattfinden sollte, vorzugsweise in einer großen Industriehalle, in der zuvor noch keine Kunstveranstaltung stattgefunden hat. Der Ort selbst sollte ein interessantes Objekt sein und es sollte nicht leicht zu unterscheiden sein zwischen den Kunstobjekten, die wir für dieses Projekt erschaffen, und dem ursprünglichen Ort, der diese Objekte enthält. Das ist natürlich keine einfach zu erfüllende Vorgabe.
Glücklicherweise hat das brut eine »neue Location« – man sagte mir, es sei wahrscheinlich genau das, was ich mir erhoffte. Also hab ich mir den Ort angesehen und festgestellt, dass er genau unserem Konzept entspricht. Soweit ich weiß, haben sie bisher nicht den gesamten Ort genutzt, sondern nur die Blackbox und einen Teil des Raums.
Gemeinsam mit meinem Team fiel der Entschluss, die Blackbox zu enthüllen und alle Vorhänge zu öffnen, sodass die Bühne zu einem leeren, schönen Ort wurde, einem Raum für Potenzial. Wir haben im Raum um die Blackbox herum drei Inseln installiert. Aber die Bühne ist immer noch ein starker Ort. Also haben wir unseren Musiker dort als sehr minimalistische, einsame Skulptur platziert, die jede Insel mit Klang versorgen sollte. Das Publikum kann um die Bühne herumgehen.
Es handelt sich um eine sogenannte »durational performance« die fünf Stunden andauert und bei der das Publikum eingeladen ist, die Schönheit des Raums entlang der und in Bezug zu den vier verschiedenen Aktionen, die stattfinden, zu erkunden. Es liegt an ihnen zu entscheiden, wie lange und aus welchem Blickwinkel sie etwas beobachten und wie nah sie dem Geschehen kommen möchten. Vielleicht verpassen sie etwas, vielleicht finden sie aber auch etwas, das niemand sonst sehen kann. Wir geben den Zuseher*innen in dieser Situation so viel Freiheit wie möglich, damit sie ihre eigene Dramaturgie entwickeln können. Es geht um ihre eigene Erkundung und ihr eigenes Handeln.
Du lädst das Publikum zu einer »utopischen Reise« ein, heißt es auf der Website von brut. Was kann das Publikum, was können wir als Gesellschaft von dieser Reise und den Motiven, die ihr aufgreift, mitnehmen? Kann dies über utopische Ideen hinausgehen?
Ein Teil dieser Utopie ist bereits Realität und ein anderer Teil wird bald Realität werden. Wir leben immer länger und länger – welche Probleme wird das bringen? Bald werden wir zum Mars fliegen und der Weltraum wird wieder unser Zuhause sein. Und was passiert mit der Erde? Es ist auch möglich, einige dieser Ideen als Teil eines Verschwörungsnetzwerks zu sehen, das heutzutage immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Ich verstehe sehr wenig, was das Universum betrifft, aber ich spekuliere viel. Wenn sich das Publikum von einer dieser Spekulationen inspirieren lässt, kann es selbst vielleicht neue Fantasien einbringen. Man weiß schließlich nie, welche Fantasien in der Zukunft Wirklichkeit werden und welche nicht.
Wie reiht sich »Immortality Day« in inhaltlicher und formaler Hinsicht in deine bisherige Arbeit ein?
Mit fast jedem neuen Stück, das ich kreiere, bewege ich mich auf ungewohntem Terrain und arbeite ich in ungewohnter Form, in einem anderen Performance-Stil. Das fordert mich heraus. Ich bin daran interessiert, ins Unbekannte einzutauchen und neue Dinge zu lernen. Es ist ein Risiko, das auch zum Scheitern führen kann, aber es wird nie langweilig. Natürlich gibt es Dinge, die mich begleiten und die ich in das neue Projekt mitbringe: meine Praxis, das Groteske, ein bisschen gesunde Ironie, eine besondere Einstellung zum Körper.
In dieser Dauer-Performance bringt die Erschöpfung der Performer eine bestimmte Qualität, eine Schönheit der Ökonomie und der Müdigkeit. In Kombination mit den vier verschiedenen, ausgedehnten Akten wird sie die Materialität des gesamten Raums vervollständigen.
Zum Abschluss: Was tust du dir Gutes an einem Tag, an dem du einen Auftritt hast? Was geht gar nicht?
Es wäre schön, vor dem Auftritt auszuschlafen, in Ruhe mit viel Obst zu frühstücken, die ganze Koordination mit der Abendvorstellung zu organisieren und sich dann kurz vor dem Auftritt für eine oder sogar anderthalb Stunden auf einen warmen und sauberen Boden zu legen, um einige einfache, minimale Körperübungen zu machen, damit der ganze Stress des Projekts in den Boden strömt. Vielleicht nimmt der Boden ihn auf. Aber das ist nicht immer realistisch.
Normalerweise »überlebe« ich den Tag der Aufführung einfach. Wenn man bei einer Veranstaltung für viele Dinge die Verantwortung trägt, ist es fast unmöglich, das zu tun, was man möchte – es kommt immer etwas Unvorhersehbares dazwischen. Aber der ideale Tag, an dem sich Organisation, künstlerische Ideen und körperliche Abstimmung ineinanderfügen, wird bald kommen.
Die Performance »Immortality Day« (in englischer Sprache) von Oleg Soulimenko ist am Freitag, den 12. November und am Samstag, den 13. November zwischen 17 und 22 Uhr im brut nordwest zu sehen. Der Eintritt ist jeweils zur vollen Stunde möglich – stay and go as you wish!
Dieser Beitrag ist in Kooperation mit brut Koproduktionshaus Wien entstanden.