Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Nelio – »Neiche Wege«
Ein österreichisches Debütalbum, gesungen in Mundart, veröffentlicht bei einem der renommiertesten heimischen Labels: Da muss man automatisch umso genauer hinhören. Bereits seit über anderthalb Jahren bespielt die in Wien ansässige, aus Linz, Irland und Kolumbien stammende Gruppe die digitalen und üblichen Bühnen mit ihrer Mischung aus Softpop, Funkpop und elektronischen Einsprenkeln und scharrt ein kontinuierlich wachsendes Fanpublikum um sich. Keine Sorge, alle bereits veröffentlichten Hits – wie etwa »Sommerregen«, »Fuat Foan« oder »Zeit für Auszeit« – finden sich auf dem bei Problembär Records erscheinenden Debüt wieder. Der Titel »Neiche Wege« kommt natürlich nicht von ungefähr, die Texte von Sänger Manuel Goditsch handeln im Großen und Ganzen vom Fernweh, vom Weggehen, vom Ausbruch aus gewohnten Manierlichkeiten und Strukturen. Gemeinsam mit dem weitgehend äußerst sanften Intonation erzeugen Nelio so teilweise eine Gratwanderung zwischen anspruchsvoller Popmusik und Regionalsender-Schlager. Klingt nach Guilty Pleasure.
»Neiche Wege« von Nelio erscheint am 9.3.2018 via Problembär Records. Termine: 15.4.: Wien, Friedensbim. 10.7.: Wien, Theater am Spittelberg.
Felix Kramer – EP
Dass man den Namen Felix Kramer schon des Öfteren gehört hat und ihn eigentlich auf seit längerem auf dem Zettel haben musste, ist kein Zufall. Ebenso wie die durchaus durchstartende Gruppe Buntspecht steht hinter Felix Kramer das nicht gerade aus unbekannten Fädenziehern bestehende Label Phat Penguin. Der Kramer Felix ist dabei noch nicht so weit wie seine Kollegen, sitzt gerade an seinem Debüt-Album. Die erste EP mit teilweise schon bekanntem Songmaterial ist aber schon da und positioniert den Wiener – absichtlich oder nicht – in einer Nische. Ruhige Gitarrenstücke im Wiener Dialekt, ohne wie auch immer konstruiertes Image, mit geübter Melancholie, die dem Genre auch innewohnt, kennt man so gar nicht. Die Selbstbeschreibung – »zwischen Cohen und Kreisler« – erfüllt die Vier-Song-EP derweil nur zur Hälfte, für die Großartig des Letzteren fehlt noch der Beweis. Ersteren ist Kramer zumindest von der transportierten Stimmung schon nahe. Beim Album gilt’s dann zu beweisen, was in einem steckt. Die Ansätze sind schon einmal gut.
Die EP von Felix Kramer erscheint am 9.3. via Phat Penguin. Termin: Am 15.3. mit Buntspecht im ORF RadioKulturhaus in Wien.
Timo Blunck – »Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?«
Der ehemaligen Bassisten von Palais Schaumburg sowie Sänger von Die Zimmermänner Timo Blunck müsste man eigentlich nicht mehr groß vorstellen – ups –, sein wohl ironisch-machoides Multi-Plattform–Kunstwerk »Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?« benötigt wohl ein paar Worte. Hier sind Sie: Bluck hat nämlich nicht nur eine neue LP im Stile des wunderbaren Eighties-Noir-Wave-Pop aufgenommen, sondern auch gleich ein ganzes Buch geschrieben. Für Größen der der Alternativgeschichte ist das nichts neues, Distelmeyer und Spilker haben das auch gemacht. Das weitgehend autobiografische Buch mit dem selben Titel – so waren halt die Achtziger –, ist äußerst lesenswert. Passt auch zum Album, das der Ergänzung dient, auch wenn das ursprünglich umgekehrt intendiert war. Denn jenes ist herrlich selbstironisch – eine Disziplin, die Blunck auch schon bei Die Zimmermänner an den Tag legte – und teilweise enorm opulent-cheesy instrumentiert. Erstaunlich, was aus dem 8-Spur-Rekorder, auf dem das Album aufgenommen wurde, so herauskommt. Geil.
»Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?« von Timo Blunck erscheint als Album sowie als Buch am 2.3.2018 via Tapete bzw. Heyne. Keine Termine.
Hannes Wader – »Macht’s gut!«
Kurzer persönlicher Einwurf: Es gibt nur wenige Alben, die den Autor mehr prägten als »Hannes Wader singt Arbeiterlieder«. Dass Hannes Wader mit dem Berliner Konzert vom November 2017 die Bühne endgültig verließ ist ein großer Verlust für Hörerinnen und Hörer. Denn Wader, stets ein Fels einer linken Liedermachertums, war immerzu ein dringlicher Warner vor den althergebrachten, menschlich vergifteten Verführungen der Deutschdümmelei. Es ist eine Schande, dass die »Sozial«-Gemeinschaften Deutschlands und Österreichs dem Wirken Waders peinlichst dumme Wahlentscheidungen entgegensetzen und ihn dann, wann er aufhört, doch am meisten braucht. Ein schwacher Trost ist das Live-Album und gleichzeitig auch das Best-Of »Macht’s gut!«, das bei ebenjenem letzten Konzert aufgenommen wurde und einen Bogen spannt, von unpolitischen Liedern über wohlbekannte Coverversionen – etwa »Sag mir, wo die Blumen sind« – bis hin zum bis zuletzt von Wader und Publikum beherzt intoniertem »Bella Ciao«, von dem Waders Version zurecht zu den weltweit besten zählt. Natürlich ist das Album absolut hörenswert, schade bleibt es aber trotzdem zu jederzeit, dass man ihn nicht mehr live erleben werden darf.
»Macht’s gut!« von Hannes Wader erscheint am 16.3.2017 via Mercury. Logischerweise keine Live-Termine.
KMPFSPRT – »Gaijin«
Weißt eh, man ist fast überall nicht von da. Auch die Kölner KMPFSPRT, die es mit ihren ersten beiden Alben, auf denen sie beherzten geradlinigen Punkrock durchexerzierten, durchaus zu okayer Reichweite gebracht haben, fühlen sich auf ihrem dritten Werk als Außenseiter. Sie beziehen sich im Titel auf das eigentlich verpönte, aber durchaus noch verwendete Wort »Gaijin«, das im Japanischen meist westliche Ausländer verspottend meint. KMPFSPRT definieren ihr Außenseitertum im ansonsten so rasant schwindenden Anspruch an Anstand und Solidargemeinschaft. Als die Guten eben. KMPFSPRTs großes Geschick liegt in der Selbstreflexion und der stets transportierten Meta-Ebene, die auch auf dem neuen Album spürbar wird. Textlich mag das dann durchaus für die Kapuzenpolizei befremdlich wirken, die sollte dann aber spätestens bei der Musik besänftigt sein. Geradliniger, an sämtlichen Schnörkeln armer, 1-2-3-Punkrock der amerikanischen Schule, da gibt es wenig falsch zu machen. Machen sie auch nicht.
»Gaijin« von KMPFSPRT erscheint am 30.3.2018 via People Like You. Keine Österreich-Termine.
AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:
Musser & Schwamberger – »Musser & Schwamberger« (VÖ: 23. Februar 2018)
Nachtrag vom Februar. Musser & Schwamberger, bekannt von Tanz Baby! und der Laokoongruppe, veröffentlichen auf ihrem gemeinsamen Debüt-Album schrammeligen, wienerischen Gitarrenpop, der mit spitzen und spitzfindigen Ecken und Kanten überrascht und direkt auf die großen Lebensfragen des In-Wien-Seins losstürmt. Sollte man haben. Zahlt sich aus.
Inkasso Moskau – »Die Sünde« (VÖ: 23. Februar 2018)
Zweiter Nachtrag. »Härter werd’n!«, eine nicht gerade seltene Handlungsanleitung für Adoleszente nimmt sich auch das Trio Inkasso Moskau – Tipp: die Wortkombination genau googeln – aus Osnabrück zu Herzen und knüppelt auch auf dem zweiten Album auf ihre Instrumente ohne Rücksicht auf Verluste. Anti-klerikale Themen und Doom. Das passt.
Station 17 – »Blick« (VÖ: 9. März 2018)
Das bereits neunte Album der Hamburger Experimental-Krautrocker mit sozialem Hintergrund ergötzt sich in gewohntem Maße in Soundlandschaften und bringt eine illustren Runde an Partizipierenden wie Andreas Dorau, Andreas Spechtl oder Schneider TM zu Platte.