Der Hamburger Gregor Samsa, der auch in Wien analoge Duftmarken setzt, produziert die aufwendigsten Plattencover der Welt. Mit Message. Seine Kunstwerke erscheinen auf seinem Label Sounds Of Subterrania, das 2018 seinen 20. Geburtstag feiert und Künstler wie Gewalt, Lubomyr Melnyk und Listener beheimatet. Mehr als Grund genug, sich mit dem Mann zu beschäftigen.
Schön langsam wird’s eng. Die großen Elektronikhändler vergrößern schon fast in monatlichem Rhythmus ihre Vinylregale und kapitalisieren noch mehr schwarzes Gold. Mehr Platz könnte trotzdem sein, auch in den kleinen Plattenläden. Die Regale werden vollgestopft, mit zahlreichen, sich im Grunde immer ähnelnden Special Editions. Auch die Online-Tandler reihen die Vinylpakete vor. Die, die mit billigem Merchandise-Schund hausieren, Unfair-Trade-T-Shirts in Boxen klatschen und – das ist fast das Schlimmste – buntes Vinyl verkaufen. Es ist Gesetz der Szene und eine für Fans überteuerte, aber für KünstlerInnen konzeptionell und kreativ billige Eintrittskarte in die Charts. Der oftmals zitierte Vinylhype hat die Majorlabels zu den weitaus größten Profiteuren gemacht und so zahlen sie es einem zurück.
Wie bei jeder turbokapitalistischen Entwicklung braucht es Menschen, die da nicht mitmachen wollen, nicht mitmachen können, weil ihnen das Produkt zu nah am Herzen liegt. Ein besonderer Vertreter ist Gregor Samsa, »der Mann, der die aufwendigsten Plattencover der Welt macht«. Diese Selbstbezeichnung ist weit mehr als bloße Koketterie mit Superlativen. Sie ist der unsäglichen Inhaltslosigkeit einer gesamten Branche geschuldet, aber vor allem Ausdruck einer großen kreativen Leistung eines Einzelnen.
»Punk, Punk, Punk!«
Gregor Samsa ist naturgemäß nicht sein echter Name: »Ich finde es gut, wenn sich jeder mit 18 einen Namen aussucht, besser als würden die Eltern darüber entscheiden.« Er hat sein Alias – Kafka, eh schon wissen – studiert und sieht es implizit als Selbstkritik an seinem eigenen Handeln, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Der heute 43-Jährige wächst in der DDR auf und sozialisiert sich dort bereits im Punk. »Als ich ein Kind war, gab es ein Punktreffen, wo Punks einen Kassettenrekorder und einen Song ›Punk, Punk, Punk‹ dabei hatten. Alle hatten Angst davor, alle waren irritiert, ich war fasziniert.« Auf seinem ersten Tape war nichts, was heute noch unter Punk fallen würde: Markus Oehlen, Frieder Butzmann, Der Plan. Avantgarde. In Kassel gründet Samsa sein Label Sounds Of Subterrania, das 2018 20 Jahre alt wird. »Ich habe vorher ein Fanzine gemacht und gemerkt, dass viele Bands immer die gleichen Antworten gaben. Es war alles ein bisschen unterkomplex. Ich habe damals schon Konzerte organisiert, es hat sich entwickelt, Bands zu unterstützen, die sonst keinen finden, der sie unterstützt.« Samsa studiert Politik, Philosophie und Soziologie in Kassel, zieht 2008 nach Hamburg, wo er heute lebt.
Bei Gregor Samsa stecken Vinylplatten nicht nur in einer Verpackung, damit sie nicht zerkratzt werden oder das Grading für den Weiterverkauf abgewertet wird, sondern das Packaging selbst ist ein Kunstwerk, das oftmals den künstlerischen Wert des Inhalts – wenn man vergleichend sein möchte – übersteigt. Sein Erweckungserlebnis war dabei der digitale Siegeszug. »Dass man etwas auf 2 × 2 Zentimeter am Bildschirm erkennen konnte, war das Einzige, was zählt. Die eigentliche Gestaltung, die wichtig ist, um Informationen weiterzugeben, ist weggefallen.« Samsa bezieht sich dabei auf den Subtext, den viele Schallplatten mit Aussagen gestalterisch bis in die 1970er Jahre immer dabei hatten, als durch die Gestaltung noch Inhalte kommuniziert wurden. Vor allem für politische Bands war dies ein wichtiges Stil- und Ausdrucksmittel. Frühe Punk- und Hardcore-Platten machten das auch inhaltlich bis Mitte
der 1990er.
Die Abwertung des Kunstwerks Musik war es, die Samsa dann dazu bewog, Platten selbst zu gestalten. »Ich habe gesehen, dass sich keiner mehr Mühe gibt. Alle haben die Platte nur noch als Produkt begriffen, nicht mehr als Medium für Informationsweitergabe. Als etwas, was keinen Wert als Kunst an sich hat, sondern als das, was es für Majors immer schon war: ein Produkt, um Geld zu verdienen.«
Samsa redet ausschweifend, als wir uns im Wiener Analoggeschäft Supersense treffen, in dem er als musikalischer Leiter arbeitet und das Programm kuratiert. Und: Er hält sich nicht mit Kritik zurück. »Bei den meisten zählt nur, ob es online funktioniert. Das ist ein falscher Kulturansatz, der mich stört. Das wollte ich einfach nicht haben.« Selbstverständlich fällt da auch Streaming hinein, ein weiterer Weg der Vermeidung, Kontext mitzutransportieren.
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