Das Märchen von der Subkultur

Liebe Punks, Hippies, Raver und HipHopper; Liebe Anarchisten, Hausbesetzer, Antifas und Aussteiger; Liebe Mods, Popper und Angehörige sämtlicher Subkulturen, die in den Annalen des Pops vor sich hin schlummern – ihr müsst jetzt ganz stark sein: Rein wissenschaftlich gesehen gibt euch überhaupt nicht.

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Keine Angst, niemand will euch etwas nehmen. Aber die Vorstellung einer authentischen Subkultur, die sich klar vom Mainstream abgrenzt, ist so schön wie unhaltbar. Das war vielleicht einmal vor langer Zeit. Im Grunde war es früher einfach: Der Sohn eines Industriearbeiters aus Manchester wird ein Phänomen oder Ereignis völlig anders sehen und bewerten als eine Schweizer Bankierstochter: Sag mir, was deine Eltern beruflich machen und ich sage dir, was dir gefällt und nicht gefällt. So stellen sich zumindest die Subcultural Studies das mit der Kultur vor. Ihre akademische Auseinandersetzung mit dem Begriff »Kultur« begann im Birmingham der 60er Jahre. Die damals entstandenen Cultural Studies sahen Kultur als eine Praxis, durch die Menschen ihre soziale und materielle Existenz ausdrücken. Heraus kommt dabei eine ganz bestimmte Lebensweise von sozialen Gruppen und Klassen, mit jeweils eigenen »Bedeutungskartografien«. Ihre Kultur macht es ihnen möglich, ihre Umwelt sinnvoll zu begreifen. Dass diese kulturellen Muster dabei nicht statisch sind und ständig weiterentwickelt werden, versteht sich.

These: Der Irokese als Kulturkampf

Die frühen Theoretiker wie Stuart Hall oder Raymond Williams waren allesamt Marxisten, und demensprechend argumentieren sie auch. Für sie gibt es damals nicht nur eine herrschende Klasse, sondern damit auch eine herrschende Kultur. Und auch in einer modernen Gesellschaft gebe es noch immer eine solche Dominanzkultur, die versucht, allen „Subkulturen“ ihre Sicht der Welt aufzuzwingen. Währenddessen warten die Subkulturen auf ihre Chancen, die gerade herrschende Dominanzkultur abzulösen. Es geht um Macht. Die Kultur, ein Schlachtfeld. Die Subkulturen attackieren ihren Feind vor allem auf der Ebene der Kleidung, Musik und mit ihrem Habitus. Ihr einheitlicher und provokanter Stil entgegen der Norm ärgert die Vertreter der Dominanzkultur. Sie wehren sich gegen diese Emporkömmlinge, indem sie deren Zeichen in den Mainstream aufnimmt und dort entschärft. Jede Subkultur kennt den Punkt, an dem ihr Baby plötzlich »Pop« ist. Früher hätte man an dieser Stelle wohl »Anarchy In The UK« oder die Sugarhill Gang angeführt. Heute ist es vor allen der Indie in den Telekom- und Vodafone-Werbungen, der die Vertreter der reinen Lehre aufregt. Richtig erkannt: Da ist er, der kulturelle Ausverkauf. Die Kulturindustrie lässt grüßen. Dick Hebdige hat das Phänomen »Stil als Abgrenzung« treffend beschrieben. Sein Buch »Subculture. The Meaning of Style« von 1979 ist bis heute die konsequenteste Anwendung der These, dass ein Irokese bereits Widerstand gegen das herrschende System ist.

Antithese: Authentizität ist ein Mythos

Diese Theorien waren knackig: Hier der böse, dominante Mainstream, dort die innovativen und spannenden Subkulturen. Doch die Autoren begingen den Kardinalsfehler der Soziologie: Sie glauben, was Menschen über sich selbst behaupten, sei schon wahr. Aber nur weil die Ablehnung des »Systems« zu Jugendkulturen gehört, muss das noch lange nicht wirklich so sein. An diesem Punkt traten die Post-Subcultural Studies auf. Mit dem Widerstand von Subkulturen ist es bei ihnen nicht so weit her. 1993 erschien in dem Sammelband »Rave Off« ein Aufsatz des britischen Soziologen Steve Redhead. Redhead hatte den Acid House im Manchester der 80er Jahren studiert, hatte die Szene beobachtet und widersprach: Eine authentische Jugendkultur existiert genauso wenig wie ihre Mainstream-Variante. Nicht die »Bewegung« macht durch ihre Handlungen eine Subkultur aus, sondern erst die nachträgliche mediale und wissenschaftliche Beschäftigung. Oder: »Subkulturen« erschaffen sich nicht selbst, sondern bekommen von außen ein Label aufgedrückt. Und wenn es ohnehin keinen authentischen Kern gibt, kann es logischerweise auch keinen Sell-Out mehr geben.


In eine ähnliche Kerbe schlägt der Soziologe und Musikkritiker Simon Frith, für den die Cultural Studies etwas verdreht hatten. Musik ist nicht der authentische Ausdruck einer Subkultur – sondern umgekehrt. Es gibt in ihnen keine Werte vorab, die sich dann durch ihren Stil nach außen stülpen, sondern die Werte werden erst durch ästhetische Urteile gebildet. Dies heißt auch, dass Identität nicht mehr aus den Menschen selber kommt, sondern dass Musik, Kleidung, Filme oder Serien diese erst herstellt. Identität entsteht von außen, nicht von innen.

Synthese: Mainstream sind immer die Anderen

Und damit gibt es auch keine authentische Subkultur mehr. Doch andere gingen noch einen Schritt weiter. Die Kanadierin Sarah Thornton attackierte den Mainstream. Sie entwickelte 1996 das Konzept des »Subkulturellen Kapitals«, das bis heute als State of the Art gilt. Auch der Mainstream als klar definierte und dominante Kultur existiert ja gar nicht. »Mainstream« hilft aber einzelnen Szenen, sich durch Widerstand gegen eine fiktive »Massenkultur« abgrenzen. Typisch dafür sind Gegensatzpaare wie Alternative/ Mainstream, Independent/ Commercial, Specialist Genres/ Pop. Ein »Ausverkauf« findet dann auch nicht mehr wirklich statt, sondern dient nur dazu, seine eigene Position zu stärken: Denn Mainstream sind immer die anderen. Aus diesem Grund eignet sich der Begriff »Partikularkultur« auch besser als die alte Oma-Opa-Kombo »Mainstream/ Subkultur«. Es werden weder grundlegend alternative Konzepte gepflegt, noch sind diese irgendwie untergeordnet. Partikularkulturen haben ihre eigenen Hierarchien, ihre eigenen Machtverhältnisse und ihre eigenen Reichen und Armen. Es wird einfach nur in anderen Währungen bezahlt. Die Währung ist das Subkulturelle Kapital. Es bestimmt, wie »cool« jemand ist. Es ist das Gefühl dafür, was gerade »richtig« ist: Der richtige Haarschnitt, die richtige Plattensammlung, die richtige Wortwahl. Dieses Bewußtsein äußert sich im Stil und wird von Thornton als »Hipness« bezeichnet. Diese Hipness ist das Subkulturelle Kapital eines Menschen. Thornton griff damit dem Hipster-Phänomen der Nullerjahre bereits vor, aber man sollte sich von dem Begriff nicht täuschen lassen: Hipness ist nichts Einzigartiges, es existieren so viele Arten der Hipness wie es Partikularkulturen gibt. Ob ein Nietengürtel oder eine Fliege hip ist, hängt nur davon ab, in welcher Szene ich mich bewege.

Apropos Hipness: Ironischerweise war das Hipstertum mit all seiner postmodernen und kulturellen Beliebigkeit die einzige Partikularkultur, die das Ende der Subkulturen wirklich verstanden hat, ohne aber ihren Folgen zu entkommen. Der Hipster bediente sich fröhlich an den Insignien des White Trash, der Schwulenkultur und jeder Mode des vergangenen Jahrhunderts; hört gestern Rap, heute Techno und morgen Metal. Revolution in Permanenz, wie es im Sammelband »What Was The Hipster« heißt. Er war überall, um sich gleichzeitig auch von allen abzugrenzen. Er klaute respektlos von den Codes sämtlicher Partikularkulturen und nahm sie zu keinem Zeitpunkt ernst.

Distinktion von allem und jedem. Irgendwie ist das dann doch wieder Subkultur.

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