»Pensionopolis« auf Kosten der Jugendkultur? Ein Gastkommentar zum Skateverbot in Graz

Graz fährt die Radkrallen aus und zeigt – wieder einmal – keinerlei Verständnis und Feingefühl für Jugendliche und Jugendkultur. Und das während des Lockdowns und im sogenannten Grazer Sportjahr 2021. Ein Gastkommentar aus der Community.

© Grazer Rollbrett Ästheten Bund

Es klingt absurd und wie aus einer verstaubten Zeit, doch in Graz ticken nicht nur die Uhren anders: Die StVO wird seitens der Stadtregierung nun willkürlich ausgelegt und so interpretiert, dass zwar Skateboardfahren per se nicht verboten ist, doch Ollies und – in der Logik altbackener und Jugendlichen nicht gerade wohlgesonnenen Politiker*innen weitergedacht – weitere Tricks, bei denen die Bodenhaftung verloren geht und die Wheels den Boden nicht mehr berühren, sozusagen abheben, sind es ab sofort. Das gilt auf Gehsteigen, öffentlichen Plätzen (wie dem Lendplatz) und in Parkanlagen (wo Fahrradfahren bereits verboten ist), die keine Skateplätze sind (Letztere sind derzeit ohnehin geschlossen). Also überall dort, wo Streetskaten üblicherweise seinen Platz findet. Solche Tricks – und damit auch zum sinnvollen Fahren durch die Stadt notwendige und risikoarme Tricks wie Ollies – werden nun mit einer Geldstrafe belegt. Aber der Reihe nach …

Der offizielle Wortlaut auf oesterreich.gv.at:

Microscooter, Trittroller, Skateboards, Longboards, Kinderfahrräder und alle anderen vorwiegend zur Benützung außerhalb der Fahrbahn bestimmte Kleinfahrzeuge sowie fahrzeugähnliches Spielzeug dürfen auf folgenden Verkehrsflächen in Schrittgeschwindigkeit verwendet werden, wenn weder der Verkehr auf der Fahrbahn noch Fußgängerinnen/Fußgänger gefährdet oder behindert werden:

• Gehweg oder Gehsteig
• Wohn- oder Spielstraßen

oesterreich.gv.at

Die StVO verbietet also Trickfahren nicht eindeutig. Warum passiert das gerade jetzt? Weil sich wieder einmal jemand mitten in der Stadt lärmbelästigt fühlt. Jetzt, im Lockdown, wo weniger Autos fahren, die ansonsten den Lärmpegel der Stadt großteils definieren, sogar zum Teil dominieren. Also der allgemeine Stadtlärm wird da zum geringeren Übel degradiert, solange man den restlichen Lärm personifizieren kann anhand der Jugendlichen. Denn den Stadtverkehrslärm kann man ja nicht verbieten, handelt es sich ja bei diesem um ökonomische Wertschöpfung von Erwachsenen, die einer gesellschaftlich akzeptierten Tätigkeit nachgehen. Jugendliche werden so kriminalisiert und an den Pranger gestellt: Ihr dürft das nicht! Was Erwachsene – unter dem Vorwand, sie zu beschützen – Jüngeren alles verbieten: Betreten und Ballspielen verboten! Herumlungern und Abhängen verboten! Lautsein verboten!

Reaktionen aus Graz: Fotograf Ralph König alias Wild und Wunderbar auf Facebook (Screenshot)

Gut gemacht Graz, du Dorf der Menschenunrechte, Kinder haben wohl keine oder weniger Rechte, sind ja nur halbe Menschen. Einfach alles verbieten und abwarten, bis alle alt genug sind, dann verschwinden mit der Jugend auch die Lebensgeister und die Aufregung, der Sturm und Drang. Nicht aber der grölende erwachsene Fußball, um nur ein Beispiel zu nennen. So lernen Menschen leider nicht, mit Konflikten umzugehen, weil sie sich nur mehr auf das Gesetz oder ihr Recht berufen, ohne den Freiraum zu nutzen, um diesen selbst zu gestalten.

Teenage Angst, Methoden wie zu Zeiten des Aufkommens von Rock ’n’ Roll, in denen Jugendliche aus Unverständnis und Ignoranz als Delinquenten denunziert wurden. Dabei ist die willkürliche Auslegung der StVO das eigentliche politische Verbrechen und ein Armutszeugnis Erwachsener der Jugend gegenüber.

Foto: Konstantin Liseckey / Eye Em / Adobe Stock

Skaten ist nicht nur ein Sport, sondern auch identitätsstiftend, ein Akt der Selbstermächtigung und der Zurückeroberung des urbanen Raumes, wo konsumfreie Orte immer weiter verdrängt werden. Jede soziale Gruppe sollte am urbanen Leben teilhaben dürfen, Geld sollte dabei keine Rolle spielen. Anscheinend liegt der Politik mehr daran, eine weitere Gruppe zu stigmatisieren und zu kriminalisieren, als sie in das Stadtbild zu inkludieren. Es ist kein Akt des Vandalismus, aber das haben die Verantwortlichen schon bei Graffiti nicht verstanden. Graz, du Stadt der Pensionist*innen, brav und still vegetierst du dahin, nimmst lieber das Dahinscheiden deiner Lebensgeister in Kauf, anstatt Verantwortung zu übernehmen für Zeitgeist und gegenwärtige Alltagskultur. Von Fördern keine Spur, außer du kannst damit hausieren gehen im Namen des Tourismus. Elevate ja, Skaten nein?

Anstatt die Verantwortung, die Entscheidungs- und Gestaltungsmacht denen zu überlassen, die betroffen sind, schiebt man lieber ein blockierend ausgelegtes Gesetz dazwischen und verbietet eine schon oft genug stigmatisierte, aber immerhin seit heuer olympische, Disziplin. So wird mit Jugendlichen umgegangen, die im Lockdown Teil der hauptsächlich Leidtragenden sind und die bereits so vieles nicht mehr dürfen – Skateplätze sind zugesperrt, Sport und Musik sowieso. Obwohl gerade sie hinaus in die Welt gehen sollten, um zu (er)leben und Erfahrungen zu sammeln für den öden Erwachsenenkram, von dem immer geredet wird und der ihnen wohl oder übel bevorsteht. Lassen wir sie doch ausprobieren.

So gehen wir mit Randgruppen um, die keine wirtschaftlich ertragreiche und erträgliche Lobby haben. Kommen bald Radkrallen für dissidente Skater und Laufradfahrer*innen? Partizipation und Mitspracherecht gehen anders. Anstatt die Gesellschaft in Alt und Jung zu spalten, wäre ein gemeinsam gefundener Konsens auf Augenhöhe nachhaltiger und wertschätzender.

Protestaktion, dokumentiert vom Grazer Rollbrett Ästheten Bund auf Instagram (Screenshot)

Der urbane, ambivalente Raum als Ort der Teilhabe, der Begegnung, der diversen und pluralen Möglichkeiten, der Erprobung von Strategien der Konfliktaustragung und von eigenmächtigen Lösungsfindungen statt der Verbote, Bestrafung und Verdrängung. Wie viele Unfälle gab es bisher im statistischen Vergleich zum motorisierten Straßenverkehr? Ist der durch Skaten erzeugte Lärm nicht das geringere Übel und eines, das man der Bevölkerung durchaus zumuten kann?

Eine Gruppe auszuschließen und dadurch zu diskriminieren, ist eine allzu leichte, aber unfaire Vorgangsweise, sie einzuladen und zu inkludieren, wäre die gerechtere. Graz täte gut daran, Zweiteres zu forcieren. Allein schon, aber nicht nur deshalb, weil sie sich den Titel der Stadt der Menschenrechte auf eine ihrer Fahnen heftet oder weil heuer das Grazer Sportjahr ist. Aber auch, um nicht den letzten Funken ungestümer, unbändiger Jugendkultur und Jugendlichkeit zum Erlöschen zu bringen und somit die eigene Zukunftsfähigkeit zu verlieren – und um als nichts anderes als »Pensionopolis« gebrandmarkt zu bleiben. Das mag wohl einigen gefallen, die Street-Cred ist in diesem Fall dahin. YOLO!

Der Grazer Rollbrett Ästheten Club (GRÄB) hat eine Initiative zur Finanzierung ausgestellter Strafmandate durch Spenden gestartet.

Für Christoph Fellner, den Autor dieses Gastkommentars, war das Skateboard die Weapon of Choice, bis er seine Technik an den Plattenspielern verfeinern konnte und auf 1210er umstieg. Er setzt sich heute gerne zwischen Stühle und liegt – als seine Superkraft – faul herum.

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