In »Giotto’s Corridor. Tanz in der Flucht« überlagern sich räumliche Strukturen und Körper. Perspektivische Gesetzmäßigkeiten lösen sich auf. Das neue gemeinsame Projekt des Choreografen Georg Blaschke und des Medienkünstlers Jan Machacek verweist auf das bahnbrechende Werk Giottos, der als Wegbereiter der räumlichen Perspektive in der Malerei gilt. File under: Fluchtpunkt, Körper, Tiefenverzerrung.
Euer neues Stück ist vom Werk des italienischen Malers Giotto di Bondone inspiriert. Was macht dessen Faszination aus?
Georg Blaschke und Jan Machacek: Er gilt als ein Pionier der dreidimensionalen, perspektivischen Malerei und Körperdarstellung des gesamten sogenannten »westlichen« Kulturkreises. Seine Kunst hat Wissenschaft, Wirtschaft, Wahrnehmung im Voraus geprägt und ein Festmachen von »Realität«, »Natur« – damals »Gottesbeweis« – mittels der Geometrie in ein Bildungswesen implementiert, das bis heute als selbstverständlich angenommen wird. Im Vergleich/Gegensatz dazu: die fernöstliche Philosophie des »Fließenden«, des Nicht-Benennens als »Realität« oder das arabische Ornamentale, »Du sollst dir kein Bildnis machen«, …
Uns fasziniert die Verzerrung, die noch nicht korrekte Darstellung in den Fluchtlinien bei Giotto bzw. das Ausgesetztsein einer großen Raumbewegung Richtung Fluchtpunkt, wie auch immer wir diesen definieren/wahrnehmen. Und die Bilderflut, Malobsession, Darstellungssucht.
Für »Giotto’s Corridor« habt ihr unter anderem eine Projektionstechnik entwickelt, die das Motiv der »falschen« Raumperspektiven Giottos aufgreift. Was erwartet das Publikum bei diesem »Täuschungsmanöver« an der Schnittstelle von Körperperformance und videomedialer Intervention konkret?
Das verraten wir noch nicht. Prinzipiell versuchen die videomedialen Anordnungen, die speziell an die Halle von brut nordwest adaptiert sind, einerseits den Gesamtraum zu erfassen und zu »bespielen«, in Bewegung zu versetzen. Andererseits werden mit einer ausgetüftelten Mischung aus Live-Aufnahmen und vorgefertigtem Material die bewegten Körper der Performer*innen in einen Dialog mit dem realen Raum und seinen projizierten Bildern gesetzt.
Zielt ihr mit dieser Anordnung auf eine spezielle Wirkung ab oder ist es eher ein Experiment mit offenem Ausgang?
Es ist immer ein offener Ausgang, denn die Assoziationen dazu sind frei. Wenn es uns gelingt mit der Verwebung von körperlicher Präsenz und videomedialer Intervention an den Grundmustern »gewohnten« Sehens, Spürens und Berührens zu rütteln, ist ein Ziel erreicht. Die sowohl körperliche wie bildhafte Darstellung zielt auf nonverbale, archetypische Zustandsbeschreibungen ab. Ein mögliches »Narrativ« entsteht aus der Dialektik von somatischer und bildhafter Artikulation in einem vibrierenden Raumgefüge.
Wie reiht sich »Giotto’s Corridor« in inhaltlicher und formaler Hinsicht in eure bisherige Arbeit ein?
Inhaltlich ist es ein neues Thema. Technisch, und was die Kollaboration betrifft, ist »Giotto’s Corridor« eine Weiterentwicklung bisheriger Zusammenarbeiten, das betrifft den Einsatz von Video-Software, Film-Cams, grafischen Animationen, Raumprojektionen und einem »Capturing« von Körpern in Bewegung.
Zum Abschluss: Was tut ihr euch Gutes an einem Tag, an dem ihr einen Auftritt habt? Was geht gar nicht?
Gutes: ein Spaziergang, Musikhören. Geht gar nicht: Büroarbeit erledigen.
Das brut nordwest nimmt nach dem Ende des Lockdowns seinen Spielbetrieb wieder auf – und zwar mit der Uraufführung von »Giotto’s Corridor. Tanz in der Flucht« von Georg Blaschke, Jan Machacek und M.A.P. Vienna. Premiere feiert das Stück am Freitag, den 17. Dezember, um 20 Uhr. Weitere Aufführungstermine: 18., 19. und 20. Dezember. Es gilt die 2G-Regel und FFP2-Maskenpflicht.
Dieser Beitrag ist in Kooperation mit brut Koproduktionshaus Wien entstanden.