Ein wirklich tolles Debütalbum: »Jolly« von Das schottische Prinzip ist Musik zum Nachdenken – und strotzt vor unbedingtem Charme.
Der Mensch als solches ist ja nicht gerade maulfaul; er sagt ja im Allgemeinen so mehrere Dinge. Etwa: Manchmal geht alles ganz schnell. Oder: Kunst muss zum Nachdenken anregen. Oder auch: Die Donau, das ist ein Bewusstseinsstrom. Dass die recht neue Gruppe Das schottische Prinzip darüber Lieder singen kann, das darf geglaubt werden – ihr Debütalbum ist gleich Zeuge aller drei Phraseologismen; es heißt »Jolly«. Wer oder was auch immer das sein mag. Es gibt da viele Lesarten: Ich glaube an Buntstifte, andere an den Jokerman; ist aber unklar.
Wichtiger, die Schnelligkeit: Die Gruppe (Julia Reißner, Jana Mitrovic, Petra Fraißl und Viktoria Mezovsky) lernt sich 2020 im Internet – wo auch sonst damals? – kennen und gern zu haben. Schon beim zweiten Konzert winkt der Plattenvertrag. Auftritte auf Festivals, Ernst Molden, Kantine Pronai, weitere Namen, Songs schreiben, wackelige Youtube-Videos, Aufnahme Ende des Vorjahres in Oslip. Das Album-Release-Konzert ist erst das sechste der Bandgeschichte. Hast du einmal den Fuß in der Tür, stößt du sie auf, bis die Scharniere nachgeben. Oder, um die Metapher auszureizen: Connections öffnen dir die Tür, durchgehen musst aber mit deiner Musik natürlich selbst – beziehungsweise im Falle dieser Vier: vor allem mit den Lyrics, denn der folkloristische Pop-Rock ist eher »form follows function«. Aber das ist ohnehin das höchste Prinzip der musikalischen Kunst, sollte es zumindest sein.
Textliche Übermacht
Wo wir dann auch bei der Nachdenklichkeit wären, die Kunst provozieren sollte, und – da machen wir gleich mit – beim Bewusstseinsstrom. Dieser ist nämlich der Ausgangspunkt für die textliche Übermacht, die auf den zehn Stücken auf die Hörenden hereinprasselt und dabei auch an den jungen Nino aus Wien erinnert. Etwa im besten Song – und Hit! – »Hoffnung«: »Wenn schnelle Lügen brechen / Wenn Beschwichtigung nicht wirkt / Mag die Wahrheit dich erschrecken / Die die Seele dann verdirbt.«
Aber auch jede weitere Zeile des Albums will zerlegt, diskutiert, auf Einfluss und Bedeutung analysiert werden, zum Nachdenken und Schlauerwerden bringen. Ja, »Jolly« ist teilweise überfordernd, dass macht aber auch den unbedingten Charme aus, an dem mangelt es nie. Ein wirklich tolles Debüt!
Das Album »Jolly« von Das schottische Prinzip ist am 10. Juni 2022 bei Bader Molden Recordings erschienen. Die Band ist demnächst auch live zu sehen: 14. Juni, Wien, Chelsea — 25. Juni, Hall in Tirol, Burgsommer — 23. Juli, Wien, Musik am Fluss.