Wieso braucht Fair Pay am Musikmarkt adäquate Förderungen? – 25 Fragen zur Gegenwart (19/25)

Der Musikmarkt weist eine starke Verzerrung auf, die Geschäfts­modelle großer Unternehmen lassen kleinen Labels und Veranstalter*innen ebenso wie jungen oder rand­ständigen Künstler*innen kaum Luft zum Atmen. Wer von Fair Pay für professionelles Musik­schaffen spricht, muss daher auch über entsprechende Förder­maßnahmen sprechen. Ein Gastbeitrag von Sabine Reiter.

© Lukas Weidinger

Im Kunst- und Kulturbereich wird aktuell unter dem Schlag­wort »Fair Pay« die faire Bezahlung im Kontext der Förder­maßnahmen durch die öffentliche Hand diskutiert. Mit an Bord sind das zuständige Ministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, die Kultur­landesräte und -abteilungen der Bundes­länder und die Interessen­gemein­schaften des Kunst- und Kultur­lebens. Begonnen mitten in der Corona­krise ist die Diskussion mittlerweile so weit gediehen, dass es eine Ausschreibung von Fair-Pay-Zuschüssen durch das Ministerium gibt. Nun fragt man sich zurecht, was im Kunst- und Kultur­bereich bisher Förderziel war, wenn nicht die Ermöglichung der adäquaten Bezahlung professionellen Schaffens. Die Ausübung als Hobby ist ja ohnehin möglich.

Die öffentliche Hand fördert oder finanziert grund­sätzlich dann, wenn der Markt nicht von selbst volks­wirt­schaftlich oder gesellschaft­lich erwünschte Ergebnisse hervor­bringt. Diese Situation nennt sich Markt­versagen. Gründe dafür können unter anderem markt­verzerrende Strukturen sein. Förder­geber*innen stellen sich also grund­sätzlich die Frage, an welchen Stellen einer Welt, in der mit den diversen Spiel­arten der populären, aber auch mit klassischer Musik sehr viel Geld verdient werden kann, eigentlich Markt­versagen zu konstatieren ist. Das ist keine leichte Übung, denn dazu muss zunächst ein Verständnis darüber hergestellt werden, was volks­wirt­schaftlich und gesell­schaftlich erwünscht ist.

Grundsätzlich ist das Förder­system im Kunst- und Kultur­bereich nicht verkehrt strukturiert. Die Kunst- und Kultur­förderung setzt in Österreich ohnehin bei jenen Strukturen und Erscheinungen an, die der Markt nicht von selbst hervor­bringt, die einen Anschub brauchen oder die eben als gesell­schaftlich erwünscht betrachtet werden: Randständiges, Unangepasstes, Experimentelles, Innovatives, Risiko­abfederung und der Nachwuchs stehen im Mittelpunkt. (Gemeint ist hier nicht die Finanzierung jener Institutionen, deren Träger die öffentliche Hand ist, wie die Bundesmuseen.)

Umkämpfter Markt

Nun ist die Musik ein weites Feld mit einigen Besonder­heiten, insbesondere einer starken Markt­verzerrung. Ihre Träger sind auf der einen Seite global tätige Konzerne, die große Markt­anteile halten. Auf der anderen Seite des Spektrums finden sich das Entdecker-Label und der Musikclub mit der hippen Programmierung in der Peripherie. Diese Schlagseite des Marktes in Richtung gewinn­orientierter, teilweise börsen­notierter Unter­nehmen sorgt für eine Konzentration der Vermarktung auf wenig Repertoire, das dafür umso häufiger gespielt wird. Unange­passtes, Innovatives oder Risiko­reiches hat in dieser Welt wenig Platz. Diese Entwicklungen der Musikwelt verheißen nichts Gutes für den Nachwuchs, auch in der Popular­musik. Noch nie war die Dominanz alter Musik – also von Musiktiteln, die älter als eine Saison sind – so groß wie heutzutage. Früher waren die neuen Titel die Gewinn­bringer, nun rangieren sie unter »ferner liefen«.

Umso wichtiger die Ermutigung der klein­teiligen und rand­ständigen Szenen, der Grassroots-Musik­veranstalter*innen und des Nachwuchses. Die ersten Schritte ins Feld der Popular­musik haben häufig Wett­charakter. Der Wetteinsatz kommt von den jungen Musiker*innen selbst. Die Markt­macht der Konzerne erschwert sowohl den kleineren Vermarkter*innen als auch den Künstler*innen das Leben. Album­produktionen erfolgen anfangs fast immer auf eigene Kosten; wenn man als Vorband spielen will, muss man sich häufig einkaufen. Auf Showcase-Festivals spielt man meist gratis und muss zusätzlich Reise und Aufent­halt finanzieren. Ohne Fanbase gibt es keinen Platten­vertrag und keinen Vertrag mit einer Agentur. Manche Veran­stalter*innen lassen Bands für ihre eigenen Auftritte bezahlen. Alles, was ein Geschäfts­modell sein kann, ist ein Geschäfts­modell.

Sabine Reiter vom Mica – Music Austria © Klaus Ranger

Alle reden vom hohen wirtschaft­lichen Risiko, aber außer den Künstler*innen selbst und jenen Nerds und Aficionadas, die Clubs, Festivals und Labels abseits des Main­streams betreiben, geht kaum mehr jemand eines ein. Das inter­nationale Musik­business hat sich jedenfalls Geschäfts­modelle rund um Back­kataloge und jene etablierten Artists gebaut, die sichere Renditen garantieren. Dass es außerdem ein Gefälle vom anglo­amerikanischen Bereich (nicht nur) hin zu Kontinental­europa gibt, darf auch nicht uner­wähnt bleiben.

Permanenter Prozess

Diese Entwicklungen erzeugen im Rest der Musikwelt große Hürden. Unter solchen Umständen ist Vermarktung für kleine Player extrem schwierig. Umso wichtiger ist es, diese Markt­gegeben­heiten zu entzerren und Chancen zu eröffnen. Durch finanzielle Unter­stützung Risiken abzufedern, inter­nationale Netzwerke zu bilden und Zugang zu Informationen über die Funktions­weise der Musik­industrie zur Verfügung zu stellen, steht ganz oben bei den Empfehlungen der European Music Business Task Force. Sie hat untersucht, wie junge music entrepreneurs gefördert werden können. Dieselben Schwer­punkte sind auch für die Künstler*innen und Bands essenziell, denn sich auf eine Musik­karriere einzulassen, ist risikoreich und braucht entsprechende Frei­räume. Städte hingegen – aber durchaus auch Bundes­länder – können sich mit Unterstützungs­maßnahmen beispielsweise am Londoner Rettungs­plan für Grassroot-Musikvenues orientieren. Der Bericht streicht die Bedeutung von Clubs als Entwicklungs­orte für neue Talente hervor. An vorderster Stelle steht dort die Ein­beziehung der Clubs in die Stadt­planung und das Prinzip, bei neuen Wohn­bauten durch den Einbau von Schall­schutz auf bestehende Clubs und ihre Musik­emissionen Rück­sicht zu nehmen.

Auf welche Weise aber hehre Ziele wie Fair Pay in der Förderung im Bereich der Popular­musik – mit ihren aus­fransenden Rändern in andere Genres – inter­pretiert werden sollen, wird noch intensiv zu diskutieren sein. Fair Pay wäre ein Eingriff in den Markt, ist als Kritik häufig zu hören. Ein Argument das natürlich vor allem deswegen keinen Sinn macht, weil der Eingriff in den Markt ja die grund­sätzliche Intention jeder Förderung ist. Der Fokus sollte also darauf liegen, in einem intensiven Stakeholder-Diskurs klare Ziele für diese Markt­eingriffe zu formulieren.

Sabine Reiter leitet das österreichische Musik­informations­zentrum Mica – Music Austria. Sie ist Vorstands­mitglied der IG Freie Theater und Mitglied im Stiftungs­beirat des Arnold Schönberg Center.

Anlässlich unseres 25-Jahr-Jubiläums haben wir uns in The Gap 192 »25 Fragen zur Gegenwart« gestellt. Dieser Beitrag beantwortet eine davon.

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