Der Musikmarkt weist eine starke Verzerrung auf, die Geschäftsmodelle großer Unternehmen lassen kleinen Labels und Veranstalter*innen ebenso wie jungen oder randständigen Künstler*innen kaum Luft zum Atmen. Wer von Fair Pay für professionelles Musikschaffen spricht, muss daher auch über entsprechende Fördermaßnahmen sprechen. Ein Gastbeitrag von Sabine Reiter.
Im Kunst- und Kulturbereich wird aktuell unter dem Schlagwort »Fair Pay« die faire Bezahlung im Kontext der Fördermaßnahmen durch die öffentliche Hand diskutiert. Mit an Bord sind das zuständige Ministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, die Kulturlandesräte und -abteilungen der Bundesländer und die Interessengemeinschaften des Kunst- und Kulturlebens. Begonnen mitten in der Coronakrise ist die Diskussion mittlerweile so weit gediehen, dass es eine Ausschreibung von Fair-Pay-Zuschüssen durch das Ministerium gibt. Nun fragt man sich zurecht, was im Kunst- und Kulturbereich bisher Förderziel war, wenn nicht die Ermöglichung der adäquaten Bezahlung professionellen Schaffens. Die Ausübung als Hobby ist ja ohnehin möglich.
Die öffentliche Hand fördert oder finanziert grundsätzlich dann, wenn der Markt nicht von selbst volkswirtschaftlich oder gesellschaftlich erwünschte Ergebnisse hervorbringt. Diese Situation nennt sich Marktversagen. Gründe dafür können unter anderem marktverzerrende Strukturen sein. Fördergeber*innen stellen sich also grundsätzlich die Frage, an welchen Stellen einer Welt, in der mit den diversen Spielarten der populären, aber auch mit klassischer Musik sehr viel Geld verdient werden kann, eigentlich Marktversagen zu konstatieren ist. Das ist keine leichte Übung, denn dazu muss zunächst ein Verständnis darüber hergestellt werden, was volkswirtschaftlich und gesellschaftlich erwünscht ist.
Grundsätzlich ist das Fördersystem im Kunst- und Kulturbereich nicht verkehrt strukturiert. Die Kunst- und Kulturförderung setzt in Österreich ohnehin bei jenen Strukturen und Erscheinungen an, die der Markt nicht von selbst hervorbringt, die einen Anschub brauchen oder die eben als gesellschaftlich erwünscht betrachtet werden: Randständiges, Unangepasstes, Experimentelles, Innovatives, Risikoabfederung und der Nachwuchs stehen im Mittelpunkt. (Gemeint ist hier nicht die Finanzierung jener Institutionen, deren Träger die öffentliche Hand ist, wie die Bundesmuseen.)
Umkämpfter Markt
Nun ist die Musik ein weites Feld mit einigen Besonderheiten, insbesondere einer starken Marktverzerrung. Ihre Träger sind auf der einen Seite global tätige Konzerne, die große Marktanteile halten. Auf der anderen Seite des Spektrums finden sich das Entdecker-Label und der Musikclub mit der hippen Programmierung in der Peripherie. Diese Schlagseite des Marktes in Richtung gewinnorientierter, teilweise börsennotierter Unternehmen sorgt für eine Konzentration der Vermarktung auf wenig Repertoire, das dafür umso häufiger gespielt wird. Unangepasstes, Innovatives oder Risikoreiches hat in dieser Welt wenig Platz. Diese Entwicklungen der Musikwelt verheißen nichts Gutes für den Nachwuchs, auch in der Popularmusik. Noch nie war die Dominanz alter Musik – also von Musiktiteln, die älter als eine Saison sind – so groß wie heutzutage. Früher waren die neuen Titel die Gewinnbringer, nun rangieren sie unter »ferner liefen«.
Umso wichtiger die Ermutigung der kleinteiligen und randständigen Szenen, der Grassroots-Musikveranstalter*innen und des Nachwuchses. Die ersten Schritte ins Feld der Popularmusik haben häufig Wettcharakter. Der Wetteinsatz kommt von den jungen Musiker*innen selbst. Die Marktmacht der Konzerne erschwert sowohl den kleineren Vermarkter*innen als auch den Künstler*innen das Leben. Albumproduktionen erfolgen anfangs fast immer auf eigene Kosten; wenn man als Vorband spielen will, muss man sich häufig einkaufen. Auf Showcase-Festivals spielt man meist gratis und muss zusätzlich Reise und Aufenthalt finanzieren. Ohne Fanbase gibt es keinen Plattenvertrag und keinen Vertrag mit einer Agentur. Manche Veranstalter*innen lassen Bands für ihre eigenen Auftritte bezahlen. Alles, was ein Geschäftsmodell sein kann, ist ein Geschäftsmodell.
Alle reden vom hohen wirtschaftlichen Risiko, aber außer den Künstler*innen selbst und jenen Nerds und Aficionadas, die Clubs, Festivals und Labels abseits des Mainstreams betreiben, geht kaum mehr jemand eines ein. Das internationale Musikbusiness hat sich jedenfalls Geschäftsmodelle rund um Backkataloge und jene etablierten Artists gebaut, die sichere Renditen garantieren. Dass es außerdem ein Gefälle vom angloamerikanischen Bereich (nicht nur) hin zu Kontinentaleuropa gibt, darf auch nicht unerwähnt bleiben.
Permanenter Prozess
Diese Entwicklungen erzeugen im Rest der Musikwelt große Hürden. Unter solchen Umständen ist Vermarktung für kleine Player extrem schwierig. Umso wichtiger ist es, diese Marktgegebenheiten zu entzerren und Chancen zu eröffnen. Durch finanzielle Unterstützung Risiken abzufedern, internationale Netzwerke zu bilden und Zugang zu Informationen über die Funktionsweise der Musikindustrie zur Verfügung zu stellen, steht ganz oben bei den Empfehlungen der European Music Business Task Force. Sie hat untersucht, wie junge music entrepreneurs gefördert werden können. Dieselben Schwerpunkte sind auch für die Künstler*innen und Bands essenziell, denn sich auf eine Musikkarriere einzulassen, ist risikoreich und braucht entsprechende Freiräume. Städte hingegen – aber durchaus auch Bundesländer – können sich mit Unterstützungsmaßnahmen beispielsweise am Londoner Rettungsplan für Grassroot-Musikvenues orientieren. Der Bericht streicht die Bedeutung von Clubs als Entwicklungsorte für neue Talente hervor. An vorderster Stelle steht dort die Einbeziehung der Clubs in die Stadtplanung und das Prinzip, bei neuen Wohnbauten durch den Einbau von Schallschutz auf bestehende Clubs und ihre Musikemissionen Rücksicht zu nehmen.
Auf welche Weise aber hehre Ziele wie Fair Pay in der Förderung im Bereich der Popularmusik – mit ihren ausfransenden Rändern in andere Genres – interpretiert werden sollen, wird noch intensiv zu diskutieren sein. Fair Pay wäre ein Eingriff in den Markt, ist als Kritik häufig zu hören. Ein Argument das natürlich vor allem deswegen keinen Sinn macht, weil der Eingriff in den Markt ja die grundsätzliche Intention jeder Förderung ist. Der Fokus sollte also darauf liegen, in einem intensiven Stakeholder-Diskurs klare Ziele für diese Markteingriffe zu formulieren.
Sabine Reiter leitet das österreichische Musikinformationszentrum Mica – Music Austria. Sie ist Vorstandsmitglied der IG Freie Theater und Mitglied im Stiftungsbeirat des Arnold Schönberg Center.
Anlässlich unseres 25-Jahr-Jubiläums haben wir uns in The Gap 192 »25 Fragen zur Gegenwart« gestellt. Dieser Beitrag beantwortet eine davon.