Auf dem neuen Album »Hope Chess« zerdehnt Kenji Araki die Tracks, bis die Fäden sichtbar werden, aus denen ihr musikalisches Netz gewoben ist.
Rhythmus und Ton sind eigentlich dasselbe – nur auf unterschiedlichen Skalen. Das ist soundtechnisch für mich einer der faszinierendsten Fakten. Wenn bei kontinuierlichen Beats die Abstände dazwischen immer kleiner und kleiner werden, ergibt das höhere und höhere Töne. Denn ein Ton ist nichts anderes als eine Schwingung, ein regelmäßiger Schlag – halt statt 120 Mal in der Minute bis zu 20.000 Mal in der Sekunde. Das funktioniert auch umgekehrt. Ziehst du die Wellenlinie von einem Ton lang genug auseinander, wird daraus wieder ein Beat.
Kenji Araki wagt auf dem neuesten Album »Hope Chess« ein ähnliches Experiment. Statt einzelne Töne auseinanderzuziehen, dehnt Kenji jedoch ganze Tracks, bis die Fäden sichtbar werden, aus denen das musikalische Netz gewoben ist. Stimmen, Synths, vereinzelte Drums, Sounds aller Art bekommen ungeahnten Platz sich auszubreiten, Raum einzunehmen. Indem einzelne Layer dadurch klar hervortreten und für sich allein stehen können, wird auch deutlich, wie dieses Gewebe geknüpft ist. Wo Kenji am Vorgänger »Leidenzwang« noch die Grundelemente von Elektronik zerpflückt, verdreht, verzerrt und neu zusammengesetzt hat, wird die Musik diesmal dekonstruiert, indem sie durchscheinend wird, transparent.
In die Tiefe
Am offensichtlichsten wird dies beim Track »Glitter«, der als einer der wenigen einen klaren, durchgehenden Beat enthält. Ruhepuls knapp über 50, an der Grenze zur Bradykardie. Wie eine Uhr, die eine Spur zu langsam tickt. Gerade noch schnell genug, um Rhythmus und nicht rhythmisches Element zu sein, trotzdem irritierend in seiner Langsamkeit. Stampfend, fast drohend zieht dich das Ticken in die Tiefe, sodass der Hall von Antheas Vocals eher nach einem unterirdischen Höhlensystem klingt.
Überhaupt mutet »Hope Chess« durch den vielen Raum insgesamt sphärisch an, aber gleichzeitig düster und schwer. Das Cover des Albums trifft wortwörtlich ins Schwarze. Mitten in der Nacht auf einer verlassenen Straße, nur die Scheinwerfer erleuchten die Finsternis und das Reh, das vor dir läuft. In Schrittgeschwindigkeit fährst du hinterher. Nur du, das Reh und rundherum die unendliche, umarmende Dunkelheit.
Das Album »Hope Chess« von Kenji Araki erscheint am 10. November 2023 bei Affine Records.