Am 27. Mai hatte das Projekt »Für:Sorge« im Wiener Kosmos Theater Uraufführung. Dem Publikum wurde dabei ein kurzweiliger, informativer, wie berührender Abend geboten. Insbesondere die sogenannten Expert*innen und ihre sehr persönlichen Erzählungen stachen dabei hervor.
Bei diesem Thema hatte ich mir schon gedacht, dass es mich nicht kalt lassen wird. Aber ich war dann doch überrascht, wie sehr ich eigene Erfahrungen, Gedanken und Reaktionen auf der Bühne gespiegelt gesehen habe. »Für:Sorge« beschäftigt sich mit der Realität der 24-Stunden-Betreuung. Dabei nimmt dieser mehrsprachige Theaterabend besonders die Erfahrungen von Care-Migrant*innen aus Osteuropa bzw. Rumänien in den Fokus. In einer Koproduktion des Kosmos Theaters mit dem Baldanders, unter der Regie von Constance Cauers und Alexandru Weinberger-Bara sowie mit einem Text von Thomas Perle bringt »Für:Sorge« die gesellschaftlichen, institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen der professionellen und informellen Betreuungsarbeit auf die Bühne. Dabei mischen sich informative Sequenzen mit dramatischen auf einer eher simpel – aber effektiv – gehaltenen Bühne.
Für Fürsorge sorgen
Besonders die Begriffe »Verantwortung« und »Pflicht« sind in der Produktion zentral. Wer steht in der Verantwortung? Wer kann es sich leisten, Verantwortung abzugeben, von sich abzuweisen? Wo liegen die Pflichten eines Kindes gegenüber den Eltern, wenn diese nicht mehr selbstständig leben können? Mehrmals im Laufe des Abends scheint das Stück das Publikum direkt anzusprechen, in die Verantwortung zu ziehen. »Ruft eure Eltern an«, heißt es da einmal von Ana-Lucia Bozovan. Ein anderes Mal treten Julia Schranz und Suse Lichtenberger neben dem Publikum auf und rufen: »Applaus!« Was als Kritik am bloßen Klatschen für Pflegekräfte während der Covid-19-Pandemie intendiert war, wird von Teilen des Publikums als Aufforderung verstanden. Nach etwas Zögern steigt der Rest von uns mit ein – wenn auch mit der Vorahnung, was nun kommen wird.
Plötzlich geht es nicht mehr
Während ein guter Teil des Abends mit der Präsentation von Zahlen und dem direkten Ansprechen des Publikums verbracht wird, wird in den Dynamiken zwischen den Personen auf der Bühne noch etwas anderes erzählt: die verschiedenen Arten und Weisen, wie Personen mit einer solchen Situation umgehen und wie das ihre zwischenmenschlichen Beziehungen prägt.
Die Schauspielerin Julia Schranz präsentiert eine sympathische, entgegenkommende Seite, während ihre Kollegin Suse Lichtenberger die unangenehmen Kehrseite zeigt: Empörung, Wut, Verzweiflung, Unverständnis, warum ausgerechnet sie sich jetzt um ihre Eltern kümmern sollte, wo diese ihr nie das gegeben hatten, was sie als Kind gebraucht hätte, und sich auch im Erwachsenenalter nie um eine Beziehung bemüht hätten. Und dann folgt noch die Schuldzuweisung an die Pflegekraft, wenn die Mutter in deren Obhut stirbt. Diese zwei Perspektiven werden von den beiden Schauspieler*innen dargestellt, drei weitere Perspektiven gelten den Expert*innen Ana-Lucia Bozovan, Ileana Indru und Helma Steinböck: Personen, die selbst als Pflegekraft oder als Patient*in Erfahrungen gesammelt haben und ihre mutmaßlich autobiografischen Geschichten auf die Bühne bringen.
Trotz des bedrückenden Themas bleibt der Abend aber sehr humorvoll. Hierzu trägt Helma Steinböck den Großteil bei, die mit ihren gut platzierten Einwürfen aus ihrem Sessel vorm Fernseher für viele Lacher sorgt.
Hörbare Gedankenstriche
Sehr spannend ist der Umgang mit der Zweisprachigkeit gelöst. So liefert Schranz mehr oder weniger eine Übersetzung der Rumänischen Texte, wodurch die Nähe und Sympathie dieser Person zu den Pflegekräften deutlich wird. Zumindest in den deutschsprachigen Passagen ist mir der abgehackte Sprachstil aufgefallen. Womöglich soll dieser das Stocken, Zaudern, aber auch die Panik verdeutlichen, die einen überkommen, wenn man ein älteres Familienmitglied regungslos am Boden liegen sieht. Jedoch scheint mir, dass über diese Sprechweise eher gestolpert wird. Die so dargestellten Gedanken sind stockend, ja – die Gedankenstriche sind allerdings förmlich zu hören.
Mit unterschiedlichen Mitteln – dem stummen Spiel von Ileana Indru, einer kurzen satirischen Werbeschaltung, direkter Publikumsansprache und mehr – thematisiert dieses Projekt ein hochaktuelles und allgegenwärtiges Thema, das mich auch persönlich sehr mitgenommen hat. Die eine Stunde war um, ehe ich zum ersten Mal auf die Uhr sehen konnte. Obwohl das Ende etwas abrupt gekommen ist war es passend und der – diesmal unaufgeforderte – Applaus tosend.
»Für:Sorge« wird noch am 28. und 29. Mai sowie von 3. bis 6. Juni, jeweils um 20:00 im Kosmos Theater gespielt. Am 4. Juni gibt es ein Einführungsgespräch und am 5. Juni im Anschluss ein Publikumsgespräch. Hierbei gibt es Möglichkeiten für Fragen und weiteren Austausch mit den Expert*innen und dem Team.