Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im Dezember 2024. Mit Fritzi Ernst, Zweilaster, Thees Uhlmann und Casper.
Casper – »Live in Bielefeld«
Die Adventzeit ist ja eine der schlimmsten. Weihnachtsmärkte voller Besoffener, die sich überteuertes G’schloder über die Handschuhe schütten, Kramuri aus der Kitsch-Dynastie, vom ganzen Familienscheiß und -trauma ganz zu schweigen (»schweigen« passt da gut, wegen Tabus und so, verstehst?). Und, auch nicht ganz so nett: Vor Weihnachten gibt’s tendenziell weniger neue Releases, dafür mehr Compilations, Live-Alben und so weiter. Du kannst dem natürlich eine kommerzielle Absicht unterstellen, musst du auch, aber dem Casper kannst du das auch einmal durchgehen lassen, soll ja ein Guter sein. Dazu hat er sich ganz brav bei seinem Heimspiel in der Stadt, die es nicht geben soll (auch so Alman-Humor), ein paar Friends eingeladen – Thees Uhlmann und Drangsal, aber auch Provinz, Lena und Lea. Größtes Konzert bislang, in 24 Stunden ausverkauft – man kennt’s – und gibt dort viele seiner Hits zum Besten. So weit, so gewöhnlich. Natürlich ballert das auch ganz gut, der Mann hat ja auch genügend Hits. Passt schon.
Das Live-Album »Live in Bielefeld« von Casper erscheint am 13. Dezember 2024 via Casper & Eklat Tonträger. Keine Ö-Termine. Album hier erhältlich.
Thees Uhlmann – »Sincerely, Thees Uhlmann – Das Beste von Tomte bis heute«
Es gibt auch Gutes an Best-ofs, vor allem an ersten Best-ofs. Sie geben noch einmal Chancen, Karrieren von vorne kennenzulernen oder noch einmal zu hinterfragen, Entwicklungen wahrzunehmen und Wege mitzugehen. Und ja, dieser Thees Uhlmann, dessen Zusammenstellung natürlich im eigenen Label Grand Hotel van Cleef erscheint, dieser Mann, dem müsste eigentlich dieses ganze Indie-Pop-Ding in Deutschland noch viel mehr Rosen streuen: Von großartigen Anfängen in der Tomte-Ära (bitte die ersten beiden, unbekannteren Platten hören!) über »Hinter all diesen Fenstern« von 2003, dem Album einer Generation, das auf dem Best-of zumindest viermal vorkommt, bis hin zu den mehr oder weniger guten Solosachen (mehr Album eins, weniger Album zwei, mehr Album drei): Da ist schon viel dabei, das Wege für andere geebnet hat. Interessant ist so eine Auswahl natürlich auch immer, weil irgendwer sich schon was dabei gedacht hat, welcher Song da raufkommt. Was genau das war, fragt man etwa bei »Avicii« oder »Der letzte große Wal«. Aber das ist ja noch etwas Gutes an Best-ofs: Diskussionspotenzial. Denn jede*r hätte es anders gemacht. Vor allem bei einem, der einfach so viele so gute Songs hat. Und daher gehen wir einmal davon aus, dass ohnehin schon alle jedes Album haben. Also gehet raus und bekehrtet mit dieser Sammlung noch die zwei, die sie noch nicht haben.
»Sincerely, Thees Uhlmann – Das Beste von Tomte bis heute« von Thees Uhlmann erscheint am 6. Dezember 2024 via Grand Hotel van Cleef. Keine Ö-Termine. Album hier kaufen.
Fritzi Ernst – »Jo-Jo«
Selbst wenn noch keiner in Österreich dabei ist: Fritzi Ernst of Schnipo-Schranke-Fame hat wieder Bock auf Termine und veröffentlicht passend dazu ihr zweites Soloalbum nach dem ja doch recht lauten Ende des legendären Duos im Jahr 2019. Und während mancherorts ja palavert wird, das Leben sei wie Monopoly, trifft es Ernsts Vergleich mit einem Jo-Jo doch mehr auf den Kopf: Und auch wenn das Spielzeug zurzeit ziemlich uncool ist – auf und ab geht’s im Leben ja so gut wie immer. Und aktuell ist da offenbar ein wenig mehr Bewegung drinnen, denn während der Vorgänger »Keine Termine« mit dem Killertrack »Trauerkloß« Depression-Chanson-Pop vom Feinsten darbot, geht’s auf »Jo-Jo« mal so mal so: Zwischen euphorischem Aufwachen »Ich steh im Bett« und dem kleinen bisschen Selbsthass »Ich bin so dumm« und natürlich ganz viel piano-inspiriertem Pop-Chanson beweist Ernst ihren Status als Chronistin einer weirden Teenage-Angst, die schon auch ein bisschen und immer wieder funny ist.
»Jo-Jo« von Fritzi Ernst erscheint am 6. Dezember 2024 via Bitte freimachen Records. Keine Ö-Termine. Album hier kaufen.
Zweilaster – »Wieherd«
Neues aus Stuttgart, dem Ort, wo Noise-Träume Wirklichkeit werden. Natürlich von einem der Nerven – Julian Knoth – produziert, stellt das ziemlich anarchische Duo Zweilaster sein drittes Album in die Regale, nach den bereits famosen »Scheiblettenkäse & Sehnsucht« (2022) und »Bellend bin ich aufgewacht« wird erneut ziemlich schräg betexteter Dada-Post-Punk zu Gehör gebracht. Gerade einmal 23 Minuten lang, findet sich ein ziemliches Sammelsurium aus tollen Zeilen, besonders schön etwa »Jede Zelle meines Körpers ist unglücklich« (vom Opener »Allein«). Nebst formidabel absichtlich durchaus schief krachendem und schepperndem Noise-Pop – schöne Eigenbeschreibung: Flatwave – ist auch der Zwiegesang notable, schließlich ist der Spannungsboden zwischen emotionaler Eskalation und Nüchternheit selten so nah beieinander. »Wieherd« ist dementsprechend eine tolle Platte für alle ästhetischen Unästheten, all jene, für die es nicht perfekt sein muss, aber eben genau deshalb auch perfekt sein kann.
»Wieherd« von ZweiLaster erscheint am 6. Dezember 2024 via Tomatenplatten. Ö-Konzert am 17. Jänner 2025 beim Rundgang der Bildenden. Album hier kaufen.
Die bisherigen Veröffentlichungen von Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.