Die Jazzmusikerin Ángela Tröndle hat nicht nur eine Leidenschaft für Gesang, sondern auch für Zyanotypie. Wie aus Sonne und Salz blaue Bilder entstehen, zeigte sie uns bei einem Besuch in ihrem Workshopkeller.
Eine Farbe ist an diesem Tag allgegenwärtig: Es beginnt schon beim satten Blau des Himmels über dem Haus unserer Gastgeberin am Stadtrand Wiens. Langsam wird es Winter. Die Sonnenstunden nehmen von Tag zu Tag ab. Am 21. Dezember wird mit 8,5 Stunden der kürzeste Tag des Jahres erreicht sein. Das sommerliche Hellblau des Horizonts wird dann schnell in die schwarze, mit funkelnden Sternen besetze Nacht übergehen. Irgendwo dazwischen liegt das sogenannte Berliner Blau. Ein mitteldunkler Farbton, dessen Hex-Farbcode #18206c an die runde Metalldose einer bekannten Feuchtigkeitscreme erinnert. Dem blauen Farbpigment liegt eine Eisen-Blausäure Verbindung zugrunde.
Überraschungsmomente
Die Wetter-App attestiert an diesem Tag einen UV-Index von zwei, im hochsommerlichen August läge er bei sieben. Je stärker die ultraviolette Strahlung, desto besser funktioniere das Blaumalen, so Workshopleiterin Ángela Tröndle. Das Ergebnis ist ein Blatt Papier mit viel Blau an lichtexponierten und Weiß an lichtgeschützten Stellen. Dieses fotografische Verfahren wird Zyanotypie genannt. Der Begriff setzt sich aus griechisch kyáneos (dunkelblau) und týpos (Druck) zusammen. Die 1983 geborene Jazzsängerin und Komponistin Tröndle beschäftigt sich seit ein paar Jahren intensiv damit: »Im Februar 2021 habe ich meinen ersten Zyanotypiekurs besucht und bin gleich vollends in die Technik reingekippt.«
Im Hausflur stehen zahlreiche Schuhe der dreiköpfigen Familie Tröndle. Darunter auch dunkelblaue Hauspatschen aus Filz für Besucher*innen. An den Wänden links und rechts der Holzstiege in Richtung Wohnbereich hängen an leichten Fäden mehrere dekorative Objekte aus Papier. Sie sind kreisrund und handflächengroß ausgeschnitten. Die Grundfarbe ist Berliner Blau, darauf in Weiß Abbildungen filigraner Blüten und anderer Naturmaterialien. Im Wohnzimmer hängen ebenfalls Zyanotypien, diesmal großformatig an den Wänden. »Zyanotypie ist Improvisation mit sichtbaren Mitteln«, so Tröndle. »Dazu gehört das Überraschungsmoment und die Ungewissheit oder auch das Akzeptieren der Tatsache, dass nicht alles am Schluss so aussieht, wie man es sich vielleicht erwartet hat.«
Mit Algen zu Weltruhm
Entdeckt wurde die Zyanotypie von John Herschel, als dieser ab 1842 mit Eisensalzen experimentierte. Davor beruhten fotografische Verfahren auf Silberverbindungen. Er ist nicht nur als Erfinder bekannt, sondern auch als Astronom, der Sterne katalogisierte. Sein Vater Friedrich Wilhelm Herschel entdeckte 1781 den Planeten Uranus. Generell wächst im 18. und 19. Jahrhundert das Interesse an Naturwissenschaften. So zieht 1828 die erste Giraffe im Tiergarten Schönbrunn ein und der Arzt Ignaz Semmelweis veröffentlicht 1861 seine Erkenntnisse zur Hygiene, denen zufolge das Kindbettfieber auf mangelndes Händewaschen von Klinikpersonal zurückzuführen ist.
In Ángela Tröndles Keller und Workshopraum stehen auf einem Tapeziertisch direkt unter den großen Kellerfenstern zahlreiche Terrakottatöpfe, ein Metalleimer sowie unterschiedlich große Gläser und Pappkartons. Darin befinden sich braune Straußenfedern, getrocknete und vergilbte Gräser, Doldengewächse mit den typischen mehrfach verzweigten Blütenständen sowie flache Silberblätter. In einer ausrangierten Holzlade liegen getrocknete Hülsen von Maiskolben, Kastanien, Bohnenschoten, aber auch einige circa zwei Zentimeter große Stücke Klarsichtfolie bedruckt mit Motiven wie Vögeln. »Ich finde es besonders schön, dass man beim Gestalten von Zyanotypien ein Stück Natur auf einem Blatt Papier festhalten kann«, sagt Tröndle.
Herschel hat die Zyanotypie zwar erfunden, aber die britische Botanikerin und Illustratorin Anna Atkins hat diese Technik berühmt gemacht. Ihr Vater, der Universalgelehrte John George Children, war mit der Astronomenfamilie Herschel gut bekannt. 1843 veröffentlichte Atkins den Band »British Algae«, der als erstes Fotobuch gilt. Darin finden sich acht Zyanotypien verschiedener Algenarten, deren Darstellungen einem Herbarium getrockneter Pflanzen gleichen. Binnen eines Jahrzehnts sollten mehr als 10.000 weitere Abbildungen folgen.
Neben dem Tapeziertisch befindet sich ein zweiter freier Tisch, an dem sechs Personen arbeiten können. »Die Zyanotypie ist wohl auch ein Teil der DIY-Bewegung, die in den vergangenen Jahren sehr stark gewachsen ist«, meint Tröndle. »Kreativität spielerisch auszuleben, mit den Händen gestaltend dem Alltag für ein paar Momente zu entwischen, spricht immer mehr Menschen an.« Sie zieht eine schwarze Plastikhülle aus einem dicken Ringordner und entnimmt mehrere feste, strukturierte Papiere im Postkartenformat. Alle sind auf einer Seite mit einer ockergrünen Farbe bestrichen. Sie sehen fast wie Aquarelle aus. Die Workshopleiterin legt eines davon auf die Tischplatte und steckt das schwarze Sackerl gleich wieder verschlossen in den Ordner zurück.
Lichtempfindliche Eisensalze
Tröndle hat bereits am Vortag zwei Salze mit destilliertem Wasser angemischt, die Papierblätter damit bestrichen und das Ganze 24 Stunden in Dunkelheit einwirken lassen. Rotes Blutlaugensalz, Kaliumhexacyanoferrat(III), bildet mit Wasser eine ockergelbe bis grünliche Lösung. Als rostrotes Salz dient es auch als Stahlhärter oder Oxidationsmittel und nimmt Elektronen auf. Es ist eine der beiden lichtempfindlichen Komponenten, die Tröndle in dunklen Flaschen aufbewahrt. Die zweite ist Ammoniumeisen(III)-citrat. Unter Sonneneinstrahlung wird das gelbliche Salz der Zitronensäure mit dem roten Blutlaugensalz zu einem unlöslichen blauen Eisensalz reagieren.
Auf die eingefärbte und lichtempfindliche Seite der Postkarte werden aber vor der Reaktion im Sonnenlicht ausgewählte Naturmaterialien gelegt. Die weiche Straußenfeder wird am Kartenrand wie ein Bogen platziert. Der kleine Blütenstand des Doldengewächses füllt die Mitte aus. Schließlich wird eine Glasplatte daraufgelegt, die Materialien darunter flach gepresst und das Ganze anschließend mit zahlreichen Clips fixiert. Raus aus den blauen Patschen und zurück in den Straßenschuhe, geht es in Tröndles Garten. Ein blauer Korbsessel steht in der Mitte des Grundstücks bereit. An seiner Lehne wird das Bild zur Sonne ausgerichtet. Bereits in den ersten Minuten scheint sich die ockergrüne Farbe zu verändern – bis zum Blau von Tröndles Herbstjacke reicht es noch nicht.
Ganz ohne Dunkelkammer
Die Zyanotypien von Tröndle sind vielseitig. Es gibt unterschiedliche Papierformate mit teils mehrdimensionalen Effekten. Wieder andere sind gebleicht und erneut belichtet. Tröndle experimentiert mit verschiedenen Untergründen wie alten Karten oder verwendet Schablonen, um sich visuell auszudrücken: »Das Auflegen der Objekte, Folien oder Papierschnipsel passiert bei mir spielerisch und intuitiv. Oft weiß ich in diesem Moment gar nicht, wie es aussehen wird und lasse mich überraschen. Später mache ich oft anderes daraus, indem ich die blauen Bilder in Collagen oder Kreisausschnitten neu platziere.«
45 Minuten später geht es mit dem Bilderrahmen vom Garten wieder zurück ins Haus. In der hintersten Ecke des Workshopkellers ist ein metallenes Doppelwaschbecken angebracht. Vom Bilderrahmen werden die Clips entfernt, die Straußenfeder und die Blüte zur Seite gelegt und das Papier wird unter fließendem Wasser mehrfach geschwenkt. Mehr und mehr färbt sich der belichtete Bereich in das charakteristische Blau um, während die unbelichteten Stellen unter der Feder und der Dolde weiß bleiben. Anschließend wird das Bild in die danebenstehende quietschentengelbe Wanne gelegt und dort für zehn Minuten im Wasser liegen gelassen.
Durch das Wasserbad werden die restlichen Salzkristalle ausgeschwemmt. Ab diesem Zeitpunkt verändert sich das Blau des Bildes nicht mehr. Ein rasches wie kreatives fotografisches Verfahren, das ohne Kamera, Dunkelkammer sowie teure und gefährliche Chemikalien auskommt. Sein Erfinder Herschel hat mit dieser Technik in erster Linie Pläne und Zeichnungen kopiert. Die sogenannten Blaupausen. Für die Anwendung im Bereich der Textilien erklärte die UNESCO den Blaudruck im November 2018 zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit.
Nach dem Wasserbad wird das Bild vorsichtig mit einem Handtuch abgetupft. Im trockenen Zustand wird sich auch sein Blau nicht mehr verändern – wie jenes von Tröndles Jacke und den Hauspatschen im Eingangsbereich.
Für alle, die in den Prozess der Zyanotypie eintauchen wollen, bietet Ángela Tröndle Workshops an. Näheres dazu und zu ihrem künstlerischen Schaffen unter www.angelatroendle.com.