Meinungen zum Thema Schule sowie Kritik am Bildungssystem gibt es scheinbar aus allen Richtungen. Doch was ist die Perspektive jener Menschen, die in diesem System beruflich Fuß fassen wollen? Wie geht es jungen Lehrkräften, die teilweise unterrichten, während sie selbst noch in der Ausbildung stecken? Wo und wie können die herrschenden Verhältnisse verbessert werden?

Anna* ist 24 Jahre alt und arbeitet seit September 2024 als Teamlehrerin in einer Ganztagesvolkschule in Wien. Sie hat das Lehramtsstudium für Primarstufen im Bachelor abgeschlossen, studiert aber noch im Master: »Der Master ist nicht freiwillig, leider. Ich hätte sofort zu studieren aufgehört – wie viele andere.« Anna sieht in dieser Doppelbelastung als Lehrkraft und Studentin eine große Schwierigkeit, die kaum angesprochen werde.
Realitätsferne Uni
Vier der sechs Lehrkräfte, mit denen wir gesprochen haben, befinden sich in verschiedenen Abschnitten ihres Studiums. Parallel arbeiten sie, um Praxiserfahrung zu sammeln, oder weil es aus finanziellen Gründen notwendig geworden ist. Zeitlich lässt sich das nicht immer gut mit Studien vereinbaren, die teilweise strikte Anwesenheitspflichten haben. Mit ein Grund, weshalb sich Studienabschlüsse immer weiter nach hinten verschieben. »Im Unibetrieb ist vieles realitätsfern«, meint Anna dazu. »Sie bilden uns zu Forscher*innen aus, die wir nicht sind. Meine Seminararbeiten schreibe ich als Beschäftigungstherapie. Sinn sehe ich keinen mehr darin, in die Uni zu gehen. Ich lerne dort nichts mehr, was mir etwas bringt.«
Viele Aspekte des Schulalltags beschönige das Studium zudem enorm, zum Beispiel die unterschiedlichen sozialen Situationen der Kinder. Anna hätte sich mehr Fokus auf solche Problematiken gewünscht. Es werde oft von einer idealen Lern- und Lehrsituation ausgegangen. Viele Dozent*innen seien einfach selbst noch nie oder schon lange nicht mehr vor einer Schulklasse gestanden. Der 33-jährige Jonny lehrt seit vier Jahren an einer alternativen öffentlichen Schule und sieht im Unibetrieb genau dasselbe Problem, das er auch am Schulsystem kritisiert: ein sehr hierarchisches, möglichst kosteneffizientes Abfertigen für einen zukünftigen Beruf.
Dieses Streamlining des Curriculums führt auch dazu, dass gerade pädagogische Fächer, die unsere Gesprächspartner*innen durchwegs als sehr sinnvoll bezeichnen, häufig einfach abgewählt werden können. Viel praktisches und rechtliches Wissen wird erst in separaten Seminaren oder Fortbildungen während der Induktionsphase gelehrt. Von einem absurden Beispiel dafür, wie nachgelagert hier oft elementares Know-how vermittelt wird, weiß die 31-jährige AHS-Lehrerin Teresa zu erzählen: Das Fach »Digitale Grundbildung« wurde im September 2022 als Unterrichtsfach eingeführt. Die Ausbildung für die zuständigen Lehrpersonen habe aber erst danach, im Oktober desselben Jahres, begonnen.
Insgesamt braucht es offensichtlich mehr Unterstützung – auch nach dem Berufseinstieg. Wolfi, 27, unterrichtet an einer AHS und fände auch dort ein besseres sowie weiter ausgebautes Mentoringprogramm notwendig, um die gerade im ersten Unterrichtsjahr häufigen Burn-outs zu verhindern.
Aber Kritik gibt es nicht nur an der Ausbildung, sondern auch am Schulsystem selbst. Mehrfach bemängeln die Junglehrer*innen die Trennung der Kinder direkt nach der Primarstufe in AHS und Mittelschule. Hier werde schon sehr früh eine Hierarchie vermittelt, die auch die Kinder zu spüren bekommen, so die einhellige Meinung. Diese Geringschätzung sowie das vermehrte »fachfremde Unterrichten« überfordere viele Lehrkräfte und schrecke junge Lehrpersonen ab, an eine Neue Mittelschule zu gehen, meint Wolfi. Das Unterrichten sei dort sehr herausfordernd: »Meiner Meinung nach gehören an die Mittelschulen eigentlich die besten Lehrer*innen. Sie sollten dort mehr verdienen als in der AHS.«
Abstellgleis für Kinder
Von herausfordernden Unterrichtsbedingungen kann auch Michelle berichten. Sie ist ebenfalls 27 und hat in einer Deutschförderklasse (DFK) gelehrt, bevor sie Teamlehrerin einer Mehrstufenklasse in derselben Volksschule wurde. In einer DFK kommen Kinder mit sehr unterschiedlichen Deutschkenntnissen zusammen, mit ständigen Neuzugängen im Laufe des Jahres. Sie alle bekommen mehr oder weniger denselben Unterricht. Die Lehrkräfte sind dabei meistens nicht speziell für die DFKs ausgebildet. Michelle selbst studiert Psychologie und Philosophie, Kunst und Gestaltung sowie Technik und Design im Lehramt (Anm.: die letzten beiden Fächer hießen früher Bildnerische Erziehung beziehungsweise Werken). Ihren Bachelor hat sie noch nicht abgeschlossen. »Das Problem in der DFK war nicht, dass ich das ABC nicht kannte, sondern mir fehlte die Methodik, weil ich nicht für die Primarstufe ausgebildet wurde.« Jonny sieht die DFKs als Abstellgleis für Kinder, mit denen andere Lehrer*innen nicht zurechtkommen: »Hier werden viele junge Kolleg*innen verbrannt.«
Ganz allgemein fehle es eben an Ressourcen und Zeit. Es gebe zu viele Kinder in den Klassen beziehungsweise Gruppen in zu kleinen Räumen mit zu wenigen Lehrpersonen. Auf individuelle Bedürfnisse und Situationen könne kaum eingegangen werden, selbst wenn man zu zweit oder sogar zu dritt unterrichtet. Jederzeit könne man abgezogen werden, um woanders einzuspringen, erklären sowohl Anna als auch Michelle. Joshi, 22, kennt diese Situation auch aus seiner Arbeit im Kindergarten: »Wenn du dann mit 25 Kindern alleine bist, kannst du eigentlich alles, was du geplant hast, schmeißen. Bildungsarbeit kann man da vergessen.«
Dabei sei diese intensive Zeit dringend notwendig für Kinder, die gerade lernen, in einer Gruppe mit anderen Kindern zu existieren. Den sozialen Aspekt und das soziale Lernen sieht er als zentral in seiner Arbeit. »Der Kindergarten ist eigentlich die letzte Institution, in der man die Mittel und die Zeit für emotionale und soziale Arbeit finden kann«, meint Joshi. »In der Volkschule geht es bereits viel mehr um die Inhalte, die die Kinder können müssen.« Oft gehe ihm allerdings wertvolle Zeit mit administrativer Arbeit verloren, Programmplanung passiere dann teilweise in der unbezahlten Freizeit.
Damit ist er nicht alleine. Teresa und Wolfi bemerken auch in der AHS einen steigenden Aufwand bei der administrativen Arbeit. Teresa erzählt von einer Klasse mit mittlerweile 32 Kindern – da häufen sich diese Aufgaben schnell: »Einmal habe ich mir nach Unterrichtsschluss gedacht: Jetzt habe ich endlich Zeit zum Arbeiten.« Aufgrund solcher Umstände forderte die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) im September in einem offenen Brief an den Nationalrat eine Entlastung der Lehrkräfte von administrativer Arbeit.
Schule brennt
Neben den Gewerkschaften gibt es noch eine Reihe von anderen Initiativen, die versuchen Druck aufzubauen. Seit er vor vier Jahren zu unterrichten begonnen hat, ist Jonny in der von Lehrkräften auf die Beine gestellten Organisation Schule brennt involviert: »Grundsätzlich setzen wir uns für bessere Arbeits-, Lehr- und Lernbedingungen an Schulen ein. Spezifisch sind unsere Ziele mehr Sozialarbeiter*innen und Psychagog*innen an den Schulen, kleinere Klassen, mehr Ressourcen. Das sind die ersten Notmaßnahmen.«

Im Weiteren gehe es Schule brennt aber auch um ein grundsätzliches Neudenken des österreichischen Schulsystems, ein Aufzeigen von Missständen mit der Idee, Kolleg*innen unabhängig von der Gewerkschaft zu mobilisieren. »Das Endziel wäre ein Streik«, sagt Jonny. »Da sollte die GÖD dahinterstehen, es kann aber auch ohne sie gehen.« Doch viele Lehrkräfte seien stark überarbeitet und überfordert, manche auch träge und nicht überzeugt, dass ein Streik etwas ändern würde.
Für den 26. November 2024, zwei Tage vor den Bundes-Personalvertretungswahlen, hatte die Gewerkschaft dann endlich einen Streik geplant – nur um ihn kurzfristig doch wieder abzusagen. Sie finde das eine Frechheit, sagt Anna: »Wir hätten trotzdem hingehen sollen, allein schon wegen der Arbeitsbedingungen.« Auch Teresa steht der GÖD kritisch gegenüber: »Die Gewerkschaft ist total konservativ, das ist eine ÖVP-Gewerkschaft und das merkt man.«
Dennoch sammelt Schule brennt Stimmen, um die GÖD dazu zu bringen, einen Streik auszurufen – und auch durchzuziehen. In der Zwischenzeit finden kleinere Störaktionen und alternative Streikformen statt, um dem Unmut der Lehrkräfte Ausdruck zu verleihen. Jonny: »Wir kämpfen nicht für Lehrer*innen, es geht nur mit ihnen.« Mit einer Gewerkschaft, von der sie sich nicht unterstützt fühlen, und angesichts der zu erwartenden Änderungen in der kommenden Bundesregierung, ist das allerdings kein einfaches Unterfangen. Informieren und Solidarisieren sind in der Zwischenzeit wichtig.
Die Zukunft der Bildung
Wie kann es weitergehen? Damit unser Schulsystem und die darin Arbeitenden nicht ausbrennen, muss sich fundamental etwas ändern. Es braucht realistische, schaffbare Lernpläne sowie mehr praxisnahe Ausbildung und Ausbildende in der Lehre für zukünftige Lehrkräfte. Die ersten Lehrerfahrungen sollten früher und über einen längeren, betreuten Zeitraum stattfinden. Derzeitige Praktika fühlten sich laut Michelle eher wie Referate an.
Michelle und Jonny, die beide in Mehrstufenklassen und dadurch in eher alternativen Schulsystemen arbeiten, sehen einen großen Vorteil in der Interaktion der unterschiedlich alten Kinder untereinander. Sie könnten selbstbestimmt lernen, einander helfen. Bei Michelle in der Klasse lernen die Kinder zum Beispiel, von Anfang an mit der Neurodivergenz von Klassenkolleg*innen umzugehen. Jonny sieht die Zukunft des Schulsystems überhaupt nur noch in solchen alternativen Unterrichtsformen. Ob und wann der Rest der Gesellschaft diesen Schritt mitgeht, bleibt abzuwarten.
Schule brennt sucht immer nach persönlichen anonymen Berichten aus Schulen, um Missstände im Schulalltag sichtbar zu machen. Weitere Ressourcen und Informationen sind unter www.schulebrennt.at zu finden.