Großmächte verhandeln über das Schicksal der Ukraine und pochen auf Appeasement-Politik mit dem Kreml – die Perspektive der ukrainischen Bevölkerung wird dabei gänzlich ausgeklammert. Vor diesem geopolitischen Hintergrund erzählen fünf Frauen von den tiefgreifenden Veränderungen in ihrem Leben seit Beginn der russischen Invasion. Das Theatre of Contemporary Dialogue stellt unserer gefährlichen Wirklichkeit eine eindringliche dokumentarische Performance entgegen, die wirkungsvoll aufzeigt, wieso ein Frieden ohne Freiheit keinen Sinn hätte.

»Und das alles soll in einer freien Ukraine sein, denn sonst hat es keinen Sinn.« Mit diesen Worten endet die Performance der Produktion »Desires & Fears«. Dies schließt allerdings nur eine Hälfte dieses eindringlichen Abends, der ukrainische Betroffenenperspektiven in den Fokus rückt. Im Zentrum dieses ersten Teils stehen die biografisch geprägten Geschichten von fünf Frauen. Der Bühnenraum ist mit ein paar Kartons und Musikinstrumenten recht minimalistisch eingerichtet, auf einem Screen laufen deutsche Übertitel, die Performer*innen sprechen und singen zum Großteil auf Ukrainisch. Vermengt werden diese dokumentarischen Erzählungen mit viel musikalischer Begleitung, einer Art Making-of-Audiokommentar zur Inszenierung, Video-Projektionen sowie kurzen choreografierten Tanzsequenzen. Es sind aufrichtige und höchst konkrete Schilderungen der alltäglichen Auswirkungen des Krieges, durch die sich eine vielschichtige Vorstellung über die Lebensrealitäten unter russischem Beschuss auftut.
Träume und Minen
Die Performer*innen erzählen von den Veränderungen seit Beginn der Invasion und ihrem Verhältnis zu Frieden, Verlust, Freiheit und der Ungewissheit, in der sie irgendwie weitermachen müssen. Vor allem schildern sie ihre individuellen Ängsten und hinterfragen die Chance auf eine Verwirklichung ihrer Lebensträume. Sie beschreiben die Angst, dass zuhause eine Rakete einschlagen könnte, dass der Staat allen vergeben wird, denen sie niemals verzeihen könnten und dass die eigenen Wünsche später einfach nicht mehr relevant sein könnten. Sie berichten von den Sorgen, die eigene Menschlichkeit oder den eigenen Vater zu verlieren und dass alle, die gerade an der Front sind, dort ihr Leben lassen könnten.
Sie erzählen vom Wunsch, an die Küste der Krim zu fahren, dass alle Freund*innen sicher nach Hause zurückkehren und wieder zu einem normalen Leben zurückfinden können. Sie sprechen von Gerechtigkeit und Unbeschwertheit, ihrem Anliegen einer normalen, langweiligen Kindheit für Verwandte. Sie fordern einen Abschlussball für die kleine Schwester statt Minen, die von Kindern mit Spielzeug verwechselt werden und denselben Namen tragen wie Blüten in einem sowjetischen Märchen. Sie äußern ihre Karrierewünschen als Schauspielerin und Kosmonautin. Sie träumen davon ein Kind auf die Welt zu bringen – aber nicht während eines Luftalarms –, von Rache und davon, weder auszubrennen noch aufzugeben. Sie erinnern sich an eine Kindheit im Theater und davon, was sie sich von dieser Institution wünschen und was es leisten kann.

Frieden in Freiheit
Geframet als zweite Hälfte der Performance kommen anschließend im Gespräch zwischen Zuschauenden, Ensemble, Regisseurin und einer Übersetzerin zahlreiche andere ukrainische Perspektiven zu Wort. Es ist von von Fluchterfahrungen nach Österreich und der alltäglichen Realität in unterschiedlichen Städten in der Ukraine zu hören. Ebenso wird Dank an die Performer*innen laut, den Schmerz der Betroffenen öffentlich gemacht zu haben. Eine Zuschauerin erzählt von ignoranten xenophoben Vorwürfen, dass die Ukrainer*innen angesichts der Kriegsverhältnisse zu gut leben würden – aber das Leben höre im Krieg eben nicht einfach auf.
Es war unheimlich berührend, auf einer hiesigen Theaterbühne ausschließlich ukrainische Perspektiven und Geschichten zu hören. Schließlich wird der Diskurs über die Zukunft und Souveränität der Ukraine meistens von anderen Akteur*innen vereinnahmt. Die postdokumentarische Performance bietet ein eindringliches Zeugnis eines Freiheitskampfes, der von der gesamten ukrainischen Bevölkerung getragen wird und macht dadurch auf aufrichtige und schonungslose Weise bildlich, wie die Lebensträume von Einzelpersonen nicht einfach aufhören, wenn Bomben fallen und Menschen imperialer Gewalt ausgesetzt sind.
Es ist ein Abend, der aus einem unbeugsamen Realismus heraus von Sehnsüchten, Ängsten und Erinnerungen erzählt, worin sich eine bewundernswerte Widerstandsfähigkeit zeigt. Dies lässt auch den Dialog ukrainischer Betroffenenperspektiven in der zweiten Hälfte zu, denen außerhalb der Ukraine zu selten überhaupt Gehör geschenkt und Empathie entgegengebracht wird. Vor dem Hintergrund der derzeitigen autoritären Wende, der geopolitischen Ungewissheit der nächsten Jahre und einer Debatte über die drohende Auslöschung der ukrainischen Kultur sowie einem vermeintlichen Frieden unter gewaltvoller Besatzung sind Performances wie »Desires & Fears« ein fundamentaler Akt des Widerstands.
»Desires & Fears« war am 21. und 22. Februar 2025 im Dschungel Wien zu sehen.
Dieser Text ist im Rahmen eines Schreibstipendiums in Kooperation mit dem Dschungel Wien entstanden.