Konkurrenzdruck ist auch in der Kulturbranche allgegenwärtig. Die Vorherrschaft von Kapitallogik und Ellbogentaktik macht ein gutes Netzwerk unabdingbar. Doch welche Initiativen positionieren sich bewusst gegen Freunderlwirtschaft? Und wie kann Networking inklusiver und niederschwelliger werden?
Der Kulturbereich unterscheidet sich in vielen Aspekten von klassischen Brotberufen. Die meisten Kreativschaffenden arbeiten freiberuflich, sind also selbstständig. Anstellungsverhältnisse, geregeltes Einkommen und Urlaubsanspruch sind dabei die Ausnahme. Zwar bleibt man so von autoritären Chef*innen verschont, muss sich dafür aber als Individuum im freien Markt behaupten – und der folgt seiner ganz eigenen Logik: knappe Ressourcen, Konkurrenzkampf, begrenzte Fördermittel. Als Künstler*in ist man da zunächst einmal auf sich allein gestellt, denn das gilt ja nicht als systemrelevante Beschäftigung, es gibt keine freigewordenen Stellen, die nachzubesetzen sind. Man muss sich selbst einen Markt schaffen, die Marktlücke erfinden und sich selbst hineinschreiben.
Was dabei hilft ist ein unterstützendes Umfeld. Networking gehört in einer neoliberalen Gegenwart zur Job-Description jeder kunstschaffenden Person. Wenn Galerien ausstellen, was sich gut verkaufen lässt, Filmschaffende von staatlicher Förderung abhängig sind und Musiker*innen fast gleich viel Zeit in ihren Social-Media-Auftritt wie in ihre Musik investieren, dann werden Beziehungen aller Art zum A und O.
Durch den Konkurrenzdruck verkommt Networking dabei mancherorts zum Poker mit Visitenkarten. Die Kapitallogik reduziert Kontakte zu einer weiteren Ressource auf dem Karriereweg. Das bietet wiederum den perfekten Nährboden für Nepotismus, in Österreich besser bekannt als Freunderlwirtschaft.

Gatekeeping reflektieren
Ein Gegenmodell zum kapitalorientierten Networking bieten die Ausstellungsräumlichkeiten des Vinzenz im achtzehnten Wiener Gemeindebezirk. Anstatt auf persönliche Kontakte zu setzen, haben sich die Initiator*innen Ines Frieda Försterling, Kylian Kaos Keimel, Jeremias Meyer und Christian Friesenegger für einen dauerhaften Open Call entschieden. So können sich Künstler*innen jederzeit mit Ausstellungskonzept und Portfolio bewerben, um ihre Arbeiten in der mit Hängesystem und Beleuchtung professionell ausgestatteten Räumen zu zeigen. Der Open Call ist eine bewusst gesetzte Maßnahme, um sich von einer klassischen Ausstellungspraxis zu lösen und die eigene Rolle als Gatekeeper*innen zu reflektieren. Das Vinzenz-Team bietet daher primär einen Raum, eine Möglichkeit, ein vernetzendes Umfeld, um künstlerisch-ästhetische Ideen zu verwirklichen und zu präsentieren.
Gatekeepen heißt nämlich zu kontrollieren, was an die Öffentlichkeit tritt und was nicht, wer Publicity bekommt und wer ungesehen im Atelier verstaubt. Mit dieser Macht kommt Verantwortung. In einer Branche, die nicht sozial gerechten Strukturen folgt, sondern nach den Regeln des freien Marktes funktioniert, sind diese Entscheidungsprozesse oft intransparent und damit anfällig für Freunderlwirtschaft. Ein Teufelskreis entsteht, die Kunstbranche wird immer elitärer und ein Einstieg für Außenstehende zusehends schwieriger.
Vertrauen ist gut …
Dabei sei die Wertschätzung persönlicher Beziehungen an sich durchaus nachvollziehbar, so Kylian Kaos Keimel vom Kunstraum Vinzenz: »Ich glaube, dass Freunderlwirtschaft auch aus Niederschwelligkeit und Vertrauen entsteht, aber natürlich muss man trotzdem versuchen, den Raum für alle offen zu halten.« Ines Frieda Försterling ergänzt: »Wenn ich alleine entscheiden würde, wer hier ausgestellt wird, dann würde ich natürlich an Leute denken, die ich kenne. Deshalb ist der Open Call so wichtig.«
Denn wenn in einer Branche immerzu nur Einzelpersonen nach eigenem Ermessen darüber entscheiden können, wer Zugang dazu erhält und wer nicht, schreibt sich Ausgrenzung regelrecht in die DNA ein – bis hinein in die behäbigen Institutionen in Kunst und Politik. Wie so oft sind dann Personen aus marginalisierten Gruppen besonders davon betroffen: Frauen, queere Personen, BIPoC, Menschen mit Behinderung beziehungsweise Migrationsgeschichte. Für Nora Friedel – Vorstandsmitglied des Vereins FC Gloria und Leiterin seines Mentoringprogramms – stellt sich daher die Frage nach der Durchlässigkeit dieser Netzwerke. Es gehe darum, Teilhabe für alle zu ermöglichen. Der »Filmclub« Gloria ist ein Verein für FLINTA*-Filmschaffende, der vor rund fünfzehn Jahren aus dem Bedürfnis nach Austausch und Empowerment von Frauen im Film entstanden ist und sich seither für Geschlechtergerechtigkeit in der österreichischen Filmbranche einsetzt. Dabei wird brancheninternes Networking mit einer politisch-aktivistischen Haltung verschränkt.

zu überwinden. (Bilder: Elsa Okazaki, Mariia Lisovska)
Auch in der Filmbranche führt die Verzahnung von Gatekeeping und Konkurrenzdruck zu Ausgrenzungen. Filmproduktion ist Teamarbeit und von Entwicklung bis Durchführung enorm teuer. Damit sind Filmschaffende besonders stark auf Förderungen angewiesen. Lisa Hasenhütl, die bei FC Gloria für Social Media und PR zuständig ist, bestätigt das: »Man braucht einen gewissen Vertrauensvorschuss. Man muss dir zutrauen, dass du so ein großes Team leiten kannst, es schaffst eine entsprechend lange Geschichte zu schreiben und arbeitsfähig genug bist.« Dieses Vertrauen wird in einer patriarchal geprägten Gesellschaft häufiger Männern als Frauen geschenkt.
Daher arbeitet FC Gloria auch auf politischer Ebene daran, die Strukturen der Branche gleichberechtigter zu gestalten. So wurde beispielsweise 2021 eine Geschlechterquote für die Vergabe von Fördergeldern in die Richtlinien des Österreichischen Filminstituts integriert. Eine Maßnahme, die europaweit ihresgleichen sucht und einen großen Erfolg auf dem Weg zu gerechterer Ressourcenverteilung darstellt.
Neben Lobbying bildet ein Mentoringprogramm das Kernelement des Vereins. Bei diesem wird aufstrebenden Filmschaffenden eine erfahrenere Person aus der Branche zur Seite gestellt. Viele, die daran teilnehmen, würden laut Friedel feststellen, dass Erfahrungen, die sich zunächst wie persönliches Scheitern anfühlen, oft strukturell bedingt sind: »Es entsteht ein sehr intimer Gesprächsraum, wenn FLINTA*-Personen mit ähnlichen Geschichten aufeinandertreffen. Plötzlich versteht man, dass andere dieselben Probleme gehabt haben und es mögliche Lösungsansätze gibt.« Manchmal muss Netzwerken also auch in geschlossenen Räumen stattfinden, um für Personengruppen, die von Diskriminierungsmechanismen innerhalb einer Branche betroffen sind, eine Art Safe Space zu ermöglichen. Der Lösungsansatz: Solidarität statt Vereinzelung.
Raum für Begegnung
Eine Stellschraube im Tauziehen um mehr Teilhabe für alle sind möglichst offene und niederschwellige Zugänge. Michels Musikstammtisch versucht das durch Networkingevents mit WG-Party-Charakter. Seit bald zehn Jahren organisiert Michel Attia, Event- und Bookingchef bei Radio FM4, alle zwei Monate ein Netzwerktreffen in Wien. Zumeist im Wuk, nur zu Popfest-Zeiten wechselt der Stammtisch in das Lokal Ludwig und Adele am Karlsplatz. Eingeladen dürfen sich von der neugegründeten Garagenband, über Musikmanager*innen und -journalist*innen bis hin zu Labelchef*innen alle fühlen, die mit Musik zu tun haben – egal ob professionell oder als Hobby. So können Menschen, die sich an unterschiedlichen Punkten ihrer Musikkarriere befinden, miteinander in Austausch treten.
»Niederschwellig bedeutet bei mir auch, dass es keine Vorträge, keine Konzerte, keine DJ-Sets und keine Paneltalks gibt«, erklärt Attia. »Es klingt absurd, aber mir kommt vor, dass Menschen, die sich mit Musik beschäftigen, beim Musikstammtisch möglichst wenig mit Musik zu tun haben wollen.« Sein Konzept sei es daher zu socializen, ohne dass die Arbeit explizit Thema werden müsse. »Wir inszenieren uns eh schon genug in der Musikbranche. Bei einem Branchenevent kann man das ruhig mal zur Seite schieben, sich entspannen und eine gute Zeit haben.«

Gegenseitig bestärken
Auch FC Gloria ist ungezwungener Austausch ein Anliegen: »Wir brauchen nicht nur Orte, die funktional sind, sondern auch solche, wo wir unsere Arbeit sehen, darüber sprechen, uns gegenseitig stärken können«, befindet Friedel. Denn das sei sowieso viel erfolgsversprechender als der krampfhafte Versuch, eine bestimmte Person kennenzulernen.
Im Vinzenz merkt man den hohen Bedarf an niederschwelligem Ausstellungsraum an den unzähligen Einreichungen, die das Team seit der Gründung im Frühjahr erhalten hat. Bis Jänner 2026 ist das Programm bereits fixiert, die Ausstellungen wechseln wöchentlich. Diese Resonanz spricht für sich und zeigt einmal mehr auf, was eigentlich längst klar sein sollte: Die Kultur- und Kreativbranche, in der Vereinzelung und Ellbogentaktik aktuell zur Tagesordnung gehören, kann von offenen Vernetzungsorten nur profitieren. Ines Frieda Försterling vom Vinzenz ist überzeugt, dass damit auch die ständige Angespanntheit in der Kunstszene abnehmen würde. Bisher entstehen diese wichtigen Begegnungsräume aber immer auf Eigeninitiative von Betroffenen. Sie werden aus der Notwendigkeit heraus ins Leben gerufen und durch ehrenamtliche Arbeit erhalten. Der Bedarf ist jedenfalls gegeben, wo bleiben also die Mittel?
»Gleiche Startbedingungen für alle!« – so stellen sich Friedel und Hasenhütl vom FC Gloria eine utopische Variante des Networkings vor. Bis diese Utopie in unserer neoliberalen Gesellschaft Wirklichkeit wird, braucht es Räume, in denen Vernetzung nicht strategisch, sondern solidarisch gedacht wird. Denn der Mensch ist schließlich ein Herdentier, die Vereinzelung steht uns nicht gut zu Gesicht und gerade in einer Branche, die eigentlich vom kreativen Austausch und vom Grundinteresse an unterschiedlichsten Lebensrealitäten zehrt, sollte Kollaboration mehr wiegen als Konkurrenz.
Die nächste Ausgabe von Michels Musikstammtisch findet am 25. September im Wuk statt. Weitere Infos gibt’s auf Facebook und Instagram. Beim Open Call des Kunstraums Vinzenz kann man sich um eine kostenlose Ausstellungsfläche bewerben. In der Vinzenzgasse 24 in Wien finden wöchentlich Ausstellungseröffnungen statt. FC Gloria unterstützt filmschaffende FLINTA*-Personen mit diversen Angeboten. Im Herbst wird ein Chor als neuestes Netzwerkprojekt gelauncht. Weitere Infos unter www.fc-gloria.at.
