Kunst lebt von Anerkennung. Soziale Medien wie Youtube, Instagram oder Tiktok bieten ihr dafür eine Bühne – eine Bühne, die zugänglicher und größer ist als alle anderen zuvor. Die beiden Content-Creator*innen Grindig und Cloudhead über ihren Beruf, wie sie damit Geld verdienen und warum Posten Kunst ist.

Wenn man sich die Views von online geteilten Videos ansieht, wirken zwei- bis dreitausend manchmal lächerlich wenig. Doch wenn man sich diese Anzahl an Menschen an einem Ort vorstellt, sieht das schon ganz anders aus. Von solchen Publikumsgrößen können viele Künstler*innen nur träumen – in den sozialen Medien sind sie aber tagtäglich Realität.
Christoph Huber ist seit drei Jahren unter dem Namen Grindig als Content-Creator von Comedy- und Satirevideos auf Tiktok (@grindig, 64.600 Follows) sowie Instagram (@_grindig_, 43.300 Follows) tätig. Bamlak Werner ist neben ihrer Tätigkeit als Sängerin, Gesangslehrerin und ORF-Moderatorin seit 2020 auch als Cloudhead auf Tiktok (@__cloudhead_, 524.400 Follows) sowie Instagram (@_cloudhead__, 26.800 Follows) unterwegs. Dort postet sie Feelgood- und relatable Content. Auf Youtube teilt sie zudem ihre Lieder und Musikvideos. Außerdem berät sie Kleinbetriebe und Künstler*innen bezüglich Marketing auf Social-Media-Plattformen.
Langeweile im Lockdown
Sowohl für Werner als auch für Huber ließ sich der Start auf Tiktok rasant an. Bei beiden gingen die ersten Videos sofort viral, was ihnen den Mut und die Energie gab, diesen Weg weiterzuverfolgen. Während der Lockdowns waren die Möglichkeiten, Kunst und Kultur auszuleben sowie zu teilen, stark reduziert. Social-Media-Plattformen boten da für viele eine Alternative. Gleichzeitig gab es damals noch nicht so viele Content-Creator*innen in Österreich – eine Lücke, die sich aber zusehends füllt. »Wir Künstler*innen leben auch für die Anerkennung. Soziale Medien waren die neue Bühne für mich«, meint Werner. Ihr erstes Video hat sie gepostet, um eine persönliche, frustrierende Erfahrung zu teilen – viele der User*innen konnten sich damit identifizieren. Werner wurde bald danach von einem Berliner Management unter Vertrag genommen. Hier gab es zwar schnell ganz gutes Geld, doch die Belastung stieg ebenfalls, weshalb Werner sich zunehmend in Richtung Beratungstätigkeiten im Bereich Social Media bewegt. »Der Dopamin-Rush des Gesehenwerdens – der ist auch gefährlich.«
Doch wie finanzieren sich Creator*innen eigentlich? So direkt wie in manch anderen Ländern funktioniert das hierzulande nicht. Tiktok hat etwa eigentlich einen sogenannten »Creator Fund«, der an berechtigte Accounts je nach Views Geld ausschüttet. Content-Creator*innen aus Österreich gelten aber generell nicht als berechtigte Accounts – auch wenn es hier kreative Umgehungsmöglichkeiten gibt, als Creator*in doch an dieses Geld heranzukommen. Was es jedenfalls gibt, sind Sponsorings, Werbeanzeigen, Affiliate-Marketing, Kooperationen, Crowdfunding wie zum Beispiel über die Plattform Patreon und den Verkauf von eigenen Produkten sowie Merchandisingartikeln. Zudem können Social Media auch als Sprungbrett für andere Formate und Medien dienen.
»Eine Frage des Erfolgs«
Huber meint, er habe vor allem Glück gehabt. Sehr früh schon habe er von einer Bank ein Angebot bekommen. Das Experiment erfreute sich großen Zuspruchs und er eines regelmäßigen Einkommens. Daneben hat er auch eine Kooperation mit dem ORF für eine Tiktok-Reihe. Hier sei allerdings noch unklar, ob diese weiter bestehen wird: »Es ist immer eine Frage des Erfolgs.« Zwischendrin gibt es noch Einzelkooperationen mit Brands. Von den vielen Anfragen der Unternehmen sucht sich Huber die wenigen aus, die seiner eigenen Marke am wenigsten schaden. »Wenn ich bissigen Satire-Content machen möchte, ist absolut jede Kooperation eigentlich ein Widerspruch zu dem Image, das ich haben will – aber am Ende des Tages muss ich was essen.«
Und um wie viel Geld geht es dabei? »Die ganze Branche ist so überbezahlt, weil wir direkt in Kontakt mit den Unternehmen stehen. Ich kann an einem Tag je nach Video 11.000 Euro verdienen. The sky’s the limit. Und das ist pervers«, meint Werner. Doch wann gelten solche Summen in einem Kreativberuf wirklich als »verdient«? Braucht es das große Leiden, die institutionelle Anerkennung, eine akademische Ausbildung? Im Fall von Content-Creation und Influencer*innen meist nicht, während solche Assoziationen für traditionelle Kulturschaffende durchaus noch existieren. Doch das Marketing von Unternehmen verändert sich, die Budgets bewegen sich immer mehr hin zu Influencer*innen. Da gibt es eine größere Reichweite, genauere Metriken und es liegt auch einfach im Trend. Huber: »Es zählt nicht das Like, es zählt die Sekunde« – und die möglichst regelmäßigen Posts.

»Der Content ist eine Art Portfolio für potenzielle Kund*innen«, so der Tiktoker. Das gängige Prozedere? Firmen fragen Influencer*innen oder Content-Creator*innen beziehungsweise ihr Management an, es gibt ein vorgeschlagenes Honorar sowie Spezifikationen für das Video. Diese Abmachungen basieren jedoch nicht auf einheitlichen Kriterien und müssen individuell ausverhandelt werden. Gerade wenn man erst anfängt, mit Sponsorings zu arbeiten, ist es dabei besonders schwierig, sich nicht unter dem eigenen Wert zu verkaufen, weil man keinen Maßstab oder Vergleich hat. »Alle haben die gleich schlechten Chancen. Es wird immer versucht, dich extrem runterzudrücken«, meint Huber.
Online-Community
Werner bemerkte einen Bruch rund um 2022, nach dem Tiktok plötzlich viel alltäglicher geworden sei: »Da kam dann aber auch plötzlich eine Menge Hass auf die Plattform. Tiktok ist ein gutes Abziehbild der Gesellschaft, dafür, wie sie sich entwickelt. Wir kommen immer mehr in die Superlative. Die Leichtigkeit ist weg. Das ist sehr schade.« In ihrer eigenen Community, die sich rund um Themen wie Selflove gebildet hat, merkt Werner dabei keinen großen Unterschied zwischen Instagram und Tiktok.
Auf die Frage, warum sie überhaupt Content erstellt und teilt, antwortet sie: »Menschen haben mehr denn je das Bedürfnis nach Anerkennung, Wohlfüllen, Sicherheit. Der Aufstieg von Social Media ist vielfach ein verzweifelter Hilferuf von Generationen, die sich alle gleich leer fühlen. Ich möchte diese Verzweiflung verstehen.«

Im Vergleich zu Deutschland ist die österreichische Creator*innen-Community noch eher klein. »Ich fühle mich noch immer wie einer von wenigen«, erzählt Huber. »Es fehlt der starke Konkurrenzdruck durch zehn andere, die genau dasselbe machen wie ich.« Das liege nicht zuletzt an der begrenzten Größe Österreichs. Was das Publikum angeht, verteile sich dieses aber sowohl bei ihm als auch bei Werner über Österreich und Deutschland. Huber: »Wenn Leute sehen, der Creator ist aus Österreich, schafft das schon eine auf einem gewissen Nationalstolz basierende parasoziale Beziehung. Meine Meinung ist, dass man sich sehr schnell eine Community aufbauen kann, wenn man die Menschen dort abholt, wo sie sind.« Dazu gehörten auch die Sprache, der Dialekt und gewisse Referenzen wie in Hubers Fall etwa auf das Wiener U-Bahn-Netz.
Content ist Kultur
»Social-Media-Content-Creation ist eine direkte Reflexion der Kultur. Es geht gar nicht noch direkter«, meint der Satiriker. »Ich sehe mich als Spiegel der Kultur, wie ich sie wahrnehme, komplett unzensiert.« Kurzvideos und Trash seien eigene Kunstformen. Für Huber sei das, was er macht, seine künstlerische Erfüllung. Diese zu erreichen, ist in klassischeren Kunstbereichen oft schwer. Nicht selten wird dort nach Möglichkeiten der Niederschwelligkeit und des Zugangs gesucht. Die sozialen Medien würden hier vorlegen, so Huber. Sie hätten eine »Einfachheit, in der man so schnell kreativ sein und etwas aussprechen kann, was sich jeder irgendwie denkt«. Er selbst habe auf den virtuellen Plattformen seine Liebe zum Kurzfilm entdeckt – oder besser gesagt zur Kurzvideoform: »Alles ist hier sehr visuell und aufmerksamkeitsheischend.«
Für Content-Creator*innen gibt es keinen festgelegten Karrierepfad, keinen Lehrberuf für Tiktoker*innen, keine Kunstuni für Instagram. Und das sei auch etwas Schönes, meint Werner: »Es gibt keinen anderen Beruf, wo du dein Handy nimmst, die Kamera anmachst und aus dir selbst schöpfst, ohne Qualifizierung oder irgendetwas. Was würde passieren, wenn wir uns diese Berechtigung, aus uns selbst zu kreieren, wegnehmen?«
Oft frage sie sich auch, ob Social-Media-Arbeit eigentlich eine Form des kreativen Schöpfens, ob es Kunst sei. Ihre Antwort: »Eigentlich ja.« Werner sieht Social-Media-Inhalte als kulturelles Gut und möchte sie auch als solches anerkannt wissen. Wenn Content-Creation als Kunst gesehen wird, sollte dafür zu zahlen normalisiert werden. Derzeit weichen zahlreiche Creator*innen, die keine Kooperationen mit Firmen eingehen können oder wollen, auf Patreon aus, um sich direkt über ihr Publikum zu finanzieren. »Cooler wär’s, wenn da der Staat hergehen würde und das nicht in der Verantwortung einzelner Personen bleiben würde. Ich habe ein wenig Sorge, wenn der Druck, Kunst zu erhalten, auf Individuen übergeht«, meint Bamlak Werner. Weder sie noch Christoph Huber sind derzeit auf Crowdfunding angewiesen, was die beiden Glück, Privileg und ihrem frühen Erfolg zusprechen.
Werner betont jedoch den Unterschied zwischen Content-Creator*innen wie ihr und Influencer*innen, die hauptsächlich einen Lifestyle verkaufen sowie Kooperationsposts mit Unternehmen veröffentlichen. Erstere seien für sie nämlich äquivalent mit traditionellen Künstler*innen in der analogen Welt: »Die meisten Content-Creator*innen, die ich kenne, wollen einfach nur ihre Sachen teilen, aber sie müssen trotzdem irgendwie Geld reinkriegen, und das ist, wo Influencing ins Spiel kommt.« Diese Unterscheidung ist Werner sehr wichtig, weil sie ihre Arbeit als kreatives Schöpfen versteht: »Ich hadere jeden Tag damit, dass das wirklich mein Beruf ist. Du machst das nicht wegen des Geldes, sondern weil du etwas teilen möchtest.«
Auch hierzulande wird die Relevanz von Social Media und deren wirtschaftliche Kraft immer größer, wie man auch an der Gründung des IAA Creator Hub Austria erkennt, der ersten Interessensvertretung für Content-Creator*innen und Influencer*innen in Österreich.