Ab Donnerstag werden die Kinoleinwände Wiens wieder blutrot eingefärbt. Denn dann bringt die jährliche Hauptausgabe des Slash Filmfestivals zum sechzehnten Mal fantastischen Film aus allen Ecken der Welt – und Österreichs – in die Bundeshauptstadt. Wir haben mit dem künstlerischen Leiter Markus Keuschnigg geredet.

Angefangen habe alles 2008, als er gefragt wurde, ob er nicht eine Genrefilmschiene für das Filmfestival Crossing Europe kuratieren möchte, so Markus Keuschnigg. Zwei Jahre später fand dann das Slash Filmfestival zum ersten Mal statt und hat seither eine Fangemeinde um sich geschart, die so loyal und eingeschworen scheint, wie bei kaum einem anderen der zahlreichen Wiener Filmfestivals. Im Gespräch erzählt Keuschnigg uns, woher diese Faszination für fantastischen Film seiner Meinung nach rührt, wie er die österreichische Genrefilmbranche einschätzt und warum man eine Zerspragelung des Publikums unbedingt bekämpfen muss.

Ihr seid aktuell mitten im Auswahlprozess für die diesjährige Ausgabe. Wie läuft dieser Prozess bei euch ab?
Markus Keuschnigg: Ich könnte dir mein kleines Sichtungskammerl zeigen, fünf Quadratmeter und ein großer Flachbildschirm. Dort schaue ich einerseits Filme, die uns über unsere Einreichplattform zugeschickt wurden. Sehr viele Kurzfilme aber auch einige Langfilme. Andererseits fragen wir andere Filme auch direkt bei den Verleihen an. Und das muss dann alles abgearbeitet werden. Derzeit geht es um die Masse, weil halt Hunderte Filme daliegen. Mein Tag zieht sich aktuell üblicherweise von 9:30 Uhr bis 18 Uhr, teilweise länger, ein Film nach dem anderen.
Siehst du alle eingereichten Filme selbst an?
Das geht sich mittlerweile nicht mehr aus, dafür sind es einfach zu viele. Ich habe ein kleines Team, das mich dabei unterstützt. Aber ich schaue mir dann trotzdem gezielt noch einmal alle empfohlenen Filme an. Nicht weil ich meinen Kolleg*innen nicht vertraue, sondern weil sich über die vielen Jahre etabliert hat, dass ich letzten Endes derjenige bin, der in den Augen des Publikums für das Programm geradesteht und auch geradestehen muss. Das heißt, alle Liebe, aller Hass und alles dazwischen kommen bei mir an. Ich muss dann die Entscheidungen erklären können.
Also du hast alle Filme, die ihr am Slash zeigt für gut befunden? Oder zumindest für sehenswert?
Genau, sehenswert ist das bessere Wort. Oft sind Filme im Gros vielleicht nicht gut, aber aufregend, inspirierend, wild, verletzend. Sie hinterlassen etwas, hinterlassen Spuren. Und danach suchen wir eigentlich. Verhaltensauffälliges Kino nennen wir das.
Da sind wir direkt bei der Frage nach dem Genre, ihr nennt euch selbst das Festival des »fantastischen Films«. Wie definierst du diesen Begriff?
Im englischsprachigen Raum ist das einfacher als im deutschsprachigen. Da ist die Bezeichnung »fantastic film« etablierter und die Menschen wissen genauer, was damit gemeint ist. Darunter versteht man vor allem Genres wie Horror, Science-Fiction oder Fantasy. Also alles, was sich nicht an unsere naturgesetzliche Realität hält oder halten möchte. Genrefilm wurde in unserem Kulturkreis lange Zeit damit synonym geführt, aber ist meist weiter gefasst, beinhaltet beispielsweise auch Krimi und Thriller. Mit dem Begriff »fantastischer Film« versuchen wir das etwas einzuschränken und dem Publikum ein Gefühl dafür zu geben, was wir machen.
Warum widmet sich euer Festival dann ausgerechnet dieser Nische?
Einerseits erlauben es diese Genres die Kreativität der diversen Departments – von Kostüm bis Kulisse – maximal herauszukitzeln. Man darf dort viel expressiver mit Formen, Farben und Kamerabewegungen umgehen, weil es keine Regeln gibt. Denn wer schreibt einem vor, wie eine Fantasiewelt funktionieren soll? Das finde ich sehr befreiend.
Andererseits können im fantastischen Film Verwerfungen unserer Gegenwart oftmals genauer und treffsicherer behandelt werden als in einem Film, der sich an einem Jetzt, einer Wirklichkeit, einem konkreten Zeitpunkt abarbeiten muss. Ich hatte als Jugendlicher, der nicht immer unter idealen Voraussetzungen – also queer, am Land und in den Neunzigern – aufgewachsen ist, oft das Gefühl, dass ich die Gesellschaft durch Horrorfilme besser verstehen konnte.
Ein Thema, das mich auch fasziniert: Aus welchen Gründen zieht der fantastische Film so häufig gerade queere Menschen an?
Das hat sicher mit den Figuren zu tun, die darin eine Rolle spielen. Die Held*innen sind dort ja ganz oft Mauerblümchen, Außenseiter*innen. Es geht viel um Freaks, also um Leute, die nicht dazugehören. Und dann spielt natürlich Camp eine große Rolle. Das Spiel mit Masken, mit Kostümen, mit Inszenierungen, mit grellen Charakteren. Freddy Krueger war für mich schon immer eine Dragqueen, so viel Sass und Shade, wie er raushaut. Da gibt es nur graduelle Unterschiede zu anderen performativen Aneignungen von Weirdness und Freakiness.
Gleichzeitig gibt es noch eine zweite große Publikumsgruppe beim Slash, die sich eher aus cis-hetero Männern zusammensetzt und vielleicht eher dem Stereotyp von Horrorfans entsprechen. Bei euch scheint das aber sehr gut zusammenzugehen, oder?
Nicht zuletzt geht das recht gut zusammen, weil diese beiden Identitäten bis zu einem gewissen Grad – so wie viele andere auch – in mir selbst leben. Als künstlerischer Leiter nehme ich diese beiden Publikumsteile und die Kunst, die sie mögen, ernst. Und es sind ja beides Teile desselben Genrekinos, die wir abbilden wollen ohne dabei zu sagen, das eine sei gut, sei elevated für die denkenden Menschen und das andere dumm und quasi für die Gore-Bauern. Daran glaube ich einfach nicht. Das gehört alles zusammen und wird von uns auch so behandelt. Meine Hoffnung ist immer, dass sich Leute auch in Filme verirren oder sich bewusst ansehen, die sie sonst nie wahrgenommen hätten. Also dass unser Festival im besten Sinne zu einer Verschmutzung oder Verunreinigung der eigenen Bubble führt.
Mir ist das bei euch jedenfalls schon öfter passiert, dass ich dann in einen Film reingerutscht bin, mit dem ich nicht gerechnet hatte.
Ja und ob du den dann gut findest oder nicht ist fast schon nebensächlich. Es geht darum, sich mal mit etwas anderem auseinanderzusetzen. Und etwas Ähnliches sehe ich gegenüber den Kinos, mit denen wir zusammenarbeiten. Wir hätte vielleicht ein einfacheres Leben, wenn wir uns mit einem Multiplex zusammentun und dort drei Säle für mehrere Tage bespielen. Stattdessen kooperieren wir schon lange sehr intensiv mit einzelnen Häusern. Dort gibt es dann auch wieder so eine Verschränkung: Leute, die das Slash neu entdecken, weil sie Stammkund*innen von einem Innenstadtkino, einem Programmkino wie dem Filmcasino sind. Das ist jetzt sicher nicht bei allen der Fall, aber selbst, wenn es nur bei ein paar gelingt, ist wieder was erreicht. Denn diese künstliche Zerspragelung des Publikums muss man einfach zerschlagen. Das schadet dem ganzen Kino.
Also quasi eine Kampfansage an die E-und-U-Unterscheidung?
Also zumindest in dem Bereich, den ich überblicken und gestalten kann auf jeden Fall.
Wie enthusiastisch euer Publikum ist, merkt man ja auch am jährlichen Crowdfunding-Erfolg.
Dass die Menschen bereit sind, uns schon im Vorfeld mit Geld zu unterstützen, ist für uns ein gutes Zeichen dafür, dass es weiterhin genug Vertrauen in unsere Arbeit gibt. Und es ist für uns tatsächlich ein sehr wichtiges finanzielles Instrument. Die Einnahmen vom Crowdfunding sind üblicherweise schon vor den Förderungen da und das können wir dann als Brückenfinanzierung nutzen. Es gibt halt immer ein riesiges Loch, bis die Gelder einer jährlichen Förderung zugesagt und überwiesen sind. Wir gehen in unser sechzehntes Jahr und diese Unsicherheit ist eigentlich unzumutbar. Wann wird man denn institutionalisiert? Wenn man zum fünfzigsten Mal ein Festival macht? Wann erkennen alle Fördergeber*innen an, dass wir gekommen sind, um zu bleiben? Es wäre schön nicht jedes Jahr wieder diese Fördersorge zu haben.
Kannst du uns bereits Dinge über das diesjährige Programm verraten?
Noch nicht sehr viel. (Das Gespräch fand im Juli statt, Anm.) Grundsätzlich halten wir an der gewohnten Programmstruktur fest. Das heißt es wird wieder einen Wettbewerb geben mit Filmen, die von unserem Programmteam und letztendlich dann auch von mir handverlesen wurden und in denen sich nach unserem Empfinden eine mögliche Zukunft des Genrekinos widerspiegelt. Da sie aber auch das Festival selbst widerspiegeln sollen, wird man dort genauso einen räudigen Slasher finden wie einen Arthouse-Film.
Weiters wird es dieses Jahr einen schon lange angedachten Fokus auf 3D-Filme geben. Also nicht nur auf die Welle der letzten Jahrzehnte, sondern auch auf Werke aus den Fünfziger- und Achtzigerjahren. Einige dieser Filme werden wir auch im Original zeigen und dafür extra 3D-Brillen anfertigen lassen, wie man das von früher kennt: aus Pappendeckel mit grün-roten-Gläsern. Und auch unsere Brancheninitiative »Slash (the) Industry« wird dieses Jahr wieder ein Programm für etablierte wie neue fantastische Filmemacher*innen bieten.
Wie ist es deiner Meinung nach derzeit um den fantastischen Film in Österreich bestellt?
Man hat diese Genres bei uns jahrzehntelang sehr schlecht behandelt, sodass sich keine deutschsprachige Kultur des fantastischen Films etablieren konnte. Vor dem Zweiten Weltkrieg war im Horrorfilm die Weimarer Republik federführend. Mittlerweile schauen die Deutschen recht neiderfüllt auf Österreich, weil unser Fördersystem durchlässiger ist für idiosynkratische Stimmen und morbide Thematiken. Auch vonseiten der Kreativen gibt es zunehmend Interesse an einem behänden Spiel mit fantastischen Mitteln – und dabei muss ja am Ende nicht immer ein klassischer Genrefilm herauskommen.
Bist du zufrieden mit der Quote an österreichischen Filmen beim Slash?
Sagen wir mal so: Rein theoretisch könnten wir mehr österreichische Filme am Slash zeigen. Wir haben uns aber irgendwann dazu entschlossen einen österreichischen Film nicht einfach nur zu zeigen, weil es ein österreichischer Film ist. Unseren Auftrag sehen wir durchaus auch darin, die heimische Genrefilmindustrie sowie die Kreativen dahinter zu supporten. Deren Filme bekommen von uns dann auch sehr gute Slots auf dem Festival. Sofern sie eben selektiert werden, denn wir sind halt nicht komplett anspruchsbefreit. Ich bin fest davon überzeugt, dass man weder dem Festival noch dem Film noch den Filmschaffenden etwas Gutes tut, wenn man eine uninteressante Arbeit neben sehr viele interessantere stellt. Das bekommt das Publikum nämlich mit und dann stirbt der Film einen qualvollen Tod. Vermutlich wird er das ohnehin tun, aber das muss nicht am Slash sein.
Das Slash Filmfestival findet von 18. bis 28. September 2025 im Filmcasino, Gartenbaukino und Metro Kinokulturhaus statt. The Gap präsentiert den Film »Touch Me« am 21. September um 18 Uhr im Filmcasino. Das gesamte Programm ist hier zu finden.