Alle paar Monate scheint sich die gesamte Menschheit via Social Media auf ein Kultobjekt zu einigen, das dann kollektiv konsumiert wird – zumindest, bis der nächste Hype auftaucht und den bisherigen plötzlich verdrängt. Was steckt hinter dem vermeintlich neuen Phänomen der popkulturellen Hypemaschinerie?

»Wir kennen es wohl alle: Nach einem langen Tag verheißt nichts mehr Entspannung, als auf der eigenen Couch in den Untiefen des Internets zu versinken. Wir finden Zuflucht bei Instagram, Tiktok und Co, um wieder einmal Stunde um Stunde im Loop des Scrollens zu verbringen und unser Gehirn mit einer guten Dosis Dopamin zu füttern. Im Akt des Wischens wird ein Gefühl von Endlosigkeit spürbar, das der sich ständig wiederholende Inhalt der Kurzvideos noch verstärkt: Unboxing-Clips von vergriffenen Labubu-Blindboxen, Verkostungen der begehrten Dubai-Schokolade, Live-Reactions auf Szenen der heiß diskutierten Serie »The Summer I Turned Pretty«, alles unterlegt mit dem immer gleichen Songsnippet aus Taylor Swifts »The Fate of Ophelia«.
Solche Massenphänomene verdeutlichen, dass wir uns inmitten einer Blütezeit des Hypes befinden. Sobald ein Kultphänomen vom medialen Zeitgeist Besitz ergriffen hat, scheint es, unvermeidbar alles zu durchdringen. Gerade in der Popkultur gibt es derartige Trends, Manias und Hypes zwar schon lange, dennoch stellt sich die Frage, warum sie uns gerade jetzt so stark zu beschäftigen scheinen. Was steckt hinter dieser Entwicklung einer regelrechten Hypekultur? Und ist der Trubel um diese Konsumgüter wirklich so banal, wie wir häufig denken?
Rise of Teilöffentlichkeiten
Bevor sich die großen Social-Media-Plattformen als primäre Quellen der Informationsbeschaffung etablieren konnten, waren es vorrangig klassische Massenmedien wie Zeitungen, Magazine oder das Fernsehen, die uns über das aktuelle Weltgeschehen und popkulturelle Entwicklungen auf dem Laufenden hielten. Clemens Apprich, Kulturhistoriker sowie Leiter des Weibel Instituts für digitale Kulturen an der Universität für angewandte Kunst Wien, erklärt, wie diese Art Medien ursprünglich über das sogenannte Aktualitätsprinzip funktionierten: »Vor allem Zeitungen hatten diese Idee oder gar Illusion, dass wir alle gemeinsam als Leser*innenschaft immer auf demselben Aktualitätsstand sind. Früher gab es die Morgenausgabe und die Abendausgabe, und das war dann die Aktualität, die alle teilen konnten.« Ähnliches lasse sich laut Apprich auch in Hinblick auf die Fernsehökonomie vor der Jahrhundertwende beobachten. »Ein klassisches Beispiel ist etwa die Sendung ›Wetten, dass..?‹«, führt der Medientheoretiker aus. »Alle haben sie am Samstagabend gesehen, um am Montag darüber sprechen zu können.«
Mit der Verbreitung des World Wide Web in den Neunzigerjahren kam schließlich Bewegung in diese Vorstellung von Massengesellschaft. Wegen der verschiedenen Applikationen, die das Internet mit sich brachte – zu denen auch die sozialen Medien zählen – spielte plötzlich das Thema Aufmerksamkeitsökonomie eine zentrale Rolle. Apprich erklärt: »Mit dem Internet gibt es nicht mehr die eine Aktualität, sondern unzählige kleine, die gleichzeitig stattfinden. Dadurch entstehen viele verschiedene Teilöffentlichkeiten.« Aus diesen gilt es als Konsument*in dann auszuwählen, denn nicht allem können wir unsere Aufmerksamkeit schenken.
Rein mediengeschichtlich könne man dies durchaus als positive Entwicklung lesen, meint Apprich, durch die zunehmende Aufspaltung der Informationskanäle verändere sich nämlich, wer Informationen wie weitergeben könne. »Während zum Beispiel in den Fünfzigerjahren nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung – meistens ältere Männer in den Redaktionen – bestimmt haben, was jetzt die Öffentlichkeit ist, können sich durch das Internet plötzlich auch andere Stimmen einbringen und Aufmerksamkeit für sich generieren.«
Doch gleichzeitig entwickle sich dadurch gerade im Internet schnell eine Überfülle an Informationen, wie Apprich ausführt: »Indem ich ständig in einem neuen Thema oder Hype drinnen sein kann und eben nicht mehr diese Pause habe, wenn an einem Tag mal weniger passiert, entsteht etwas, das ich als Aufgeregtheit beschreiben würde – ein gewisser Druck hin zu ständiger Aktualität.«

Gleich und gleich
Besonders in den um 2004 aufkommenden sozialen Medien spielt die Idee nach verschiedenen Teilöffentlichkeiten eine zentrale Rolle. Mit Applikationen wie Myspace oder StudiVZ wurde es damals plötzlich möglich, unabhängige Communitys auf den unterschiedlichen Plattformen zu organisieren. Und diese Zerstreuung hat sich, wie wir alle wissen, bis heute bewährt. Der vielgerühmte Tiktok-Algorithmus schafft es erstaunlich präzise, uns allein anhand unserer wenigen Angaben sowie der Art und Weise, wie wir Inhalte konsumieren in Kategorien zu stecken. Wie ihm das gelingt? »Algorithmen berechnen immer auf Basis des sogenannten homophilic principle, was übersetzt so viel bedeutet wie: ›Gleich und gleich gesellt sich gern‹«, so Apprich. »Und eben darüber werden dann wiederum Vorhersagen getroffen, was uns als Einzelne*n interessieren könnte. So ist es Plattformen schließlich möglich, Aufmerksamkeiten zu kuratieren und wirksam zu steuern.«
Wer passt zu wem? Und welcher Content passt wiederum zu diesen kollektiven Gruppierungen? Interessanterweise spielen soziale Kategorien in Bezug auf dieserart algorithmisierte Annahmen eine ausschlaggebende Rolle: Alter, Gender, Race, sexuelle Orientierung. Algorithmen interessieren sich demnach gar nicht direkt für uns als Einzelpersonen, sondern sind stets darum bemüht, uns wieder in stereotypisierten Kollektiven zusammenzufassen, um schlussendlich Zuordnungen treffen zu können. »Alles, was uns ausgespielt wird oder was uns etwas verkaufen will, tut immer so, als ob es um das Individuum gehen würde. Myspace, Youtube, I-Phone: es ist immer das gleiche Muster. Aber was eigentlich im Hintergrund berechnet wird, ist das plurale ›You‹«, sagt Apprich. Es liegt also durchaus auf der Hand, warum algorithmisierte Plattformen so eine gute Grundlage für das Lostreten von Trends und deren Anwachsen zu unaufhaltbaren Hypes bieten.
Der Aspekt des Kollektiven spielt dabei nicht nur in Bezug auf die technische Dimension der sozialen Medien eine wichtige Rolle. Uns sei, wie Apprich betont, in der Diskussion leider verloren gegangen, wie zentral das Soziale in diesen Medien immer schon drinstecke: »Schlussendlich sind es wir alle, die diese Medien produzieren, nicht nur einzelne Konzerne.« Eben das lässt sich wohl am besten an der immer stärker werdenden Hypekultur in den sozialen Medien ablesen. Denn Labubus, Dubai-Schokolade, Stanley-Cups oder Designfruchttörtchen sind ohne uns – die diese Dinge schlussendlich konsumieren, posten und damit in die (digitale) Welt tragen – nichts weiter als banale Produkte. Doch in ihrer Funktion als sozialer Fokus für Communitys seien sie wiederum »alles andere als banal«, wie die Journalistin, Moderatorin und Content-Creatorin Malina Florentine Sternberg darlegt: »Das Ausschlaggebende ist wirklich dieses Communitygefühl. Der Austausch und der Zusammenhalt, die dabei entstehen, sind extrem wichtig. Gerade in Zeiten wie heute, in denen man sich manchmal sehr einsam fühlen kann.«
Erwachsene im Sammelfieber
Das Schaffen von Zugehörigkeitsgefühlen ist also das eine. Hypes und damit verbunden auch das Sammeln von Objekten, können aber gerade im Erwachsenenalter auch noch ganz andere Funktionen haben. Während die plüschige Diddl-Maus mit den großen Ohren Anfang der Nullerjahre vor allem für Kinder interessant war, sind Labubu-Blindboxen, Bag-Charms und Jellycat-Kuscheltiere explizit auch für Erwachsene gedacht. Sternberg erklärt: »Der Hersteller Pop Mart betont selbst, dass Labubus kein Spielzeug für Kinder sind, sondern sogenannte Design-Toys. Und auch die Blindbox-Packungen führen als Empfehlung ein Mindestalter von fünfzehn Jahren an.«
Was hat es damit auf sich, dass Hypeprodukte gerade Erwachsene für sich zu gewinnen imstande sind? Für sie liege der Reiz ganz klar in der Möglichkeit, etwas nachholen zu können, das ihr als Kind verwehrt gewesen sei, so die Content-Creatorin. »Damals hatten wir einfach nicht das Geld dafür. Heute bin ich in der privilegierten Situation, auch mal sagen zu können: ›Ich kaufe mir das jetzt einfach nur, weil ich neugierig bin.‹ In meinem Fall reicht das von Lego-Sets über Videospiele bis hin zu Jellycats. Dinge dieser Art hatte ich als Kind einfach nicht.«

Gerade in Hinblick auf Blindboxen – wie etwa im Falle von Labubus – macht ein Mindestalter dabei durchaus Sinn. Der genaue Inhalt dieser Überraschungspackungen ist beim Kauf unbekannt. Man erwirbt also etwas, ohne genau zu wissen, was man schlussendlich bekommt. Erst beim Öffnen stellt sich dann beispielsweise heraus, welche Farbe, Bekleidung oder Accessoires das jeweilige Modell hat. Die Idee dahinter hänge Sternberg zufolge zentral mit der Ausschüttung von Dopamin zusammen: »Das ist psychologisch begründet und ähnelt im Prinzip einer klassischen Glücksspielmechanik.« Das Suchtpotenzial ist also vorprogrammiert. Indem Hersteller*innen zusätzlich auf künstliche Verknappung und seltene secret figures setzen, können sie die Nachfrage konstant hoch halten und so möglichst lange im Gespräch bleiben.
Fandom im Wandel
Mit solchen Kniffen versuchen die Konzerne das Maximum an Profit aus ihren Produkten herauszukitzeln, während die Zyklen, in denen sich Hypes bewegen, zunehmend kürzer zu werden scheinen. »Im Sommer wurden Labubus total gehypt«, so Sternberg. »Jetzt, nur ein paar Monate später, habe ich aber das Gefühl, dass sich kaum noch jemand dafür interessiert.« Auf der offiziellen Website des Herstellers Pop Mart sind die plüschigen Monster zwar immer noch restlos ausverkauft, in den sozialen Medien geht die Resonanz jedoch stark zurück. Aber seien wir ehrlich: Das nächste Plastikspielzeug in Massenfabrikation folgt bestimmt. »Das ist natürlich alles andere als nachhaltig«, wie auch Malina Sternberg betont.
Ein durchwegs positiver Wandel zeichne sich laut ihr jedoch bei Fandoms selbst ab. Besonders das Sammeln sei nämlich lange Zeit ein männlich dominiertes Feld gewesen: »Noch vor ein paar Jahren schienen Dinge wie ›Star Wars‹-Figuren als die einzigen ernstzunehmenden Sammelobjekte zu gelten. Inzwischen ist diese Vorstellung immer mehr aufgebrochen. Das haben wir auch Tiktok zu verdanken.« Zum ersten Mal habe Sternberg das Gefühl, man müsse sich als Frau nicht mehr dafür schämen, kitschige, bunte Objekte zu sammeln. Auch innerhalb ihrer Follower*innenschaft zeichne sich das ganz deutlich ab: »Die Geschlechterverteilung in meinem Publikum ist sehr eindeutig. Es sind hauptsächlich junge Frauen, die sich meinen Content anschauen und mit mir übers Sammeln ins Gespräch kommen wollen. Gerade in meinen Kommentaren sehe ich sehr oft auch Fotos, auf denen junge Girlies zum Beispiel ihre neuen Jellycats zeigen.«
Die Nachfrage nach kleinen, süßen, bunten Sachen hat aktuell also Hochkonjunktur. Preislich liegen viele der bereits genannten Produkte irgendwo zwischen zehn und dreißig Euro. Gerade in Österreich, wo die Teuerung mit einer Inflationsrate von vier Prozent im Oktober 2025 weiterhin auf hohem Niveau lag, ist das gegenüber klassischen Luxusprodukten noch erschwinglich. Indikatoren wie dem sogenannten Lipstick-Index zufolge gönnen sich Menschen in wirtschaftlichen Krisen eher kleinere Goodies. Laut Clemens Apprich sei es nur logisch, dass der Konsum in Krisenzeiten rein makroökonomisch zurückgehe. »Im Kleinen schafft man sich aber vielleicht gerade dann seine eigene Komfortzone«, so der Experte. Auch Sternberg sieht das ähnlich: »Wir werden uns wahrscheinlich alle kein Haus leisten können, weshalb wir uns Freude im kleinen Luxus suchen – ob das jetzt ein Matcha Latte ist, der sechs Euro kostet, oder eine Labubu-Blindbox; das fällt letztendlich in die gleiche Kategorie.« Content in den sozialen Medien setzt gerade in Krisenzeiten ganz gezielt auf diese Idee von Sehnsucht nach Safe Spaces, indem er immer stärkere Hypewellen forciert und Nutzer*innen über Zugehörigkeitsgefühle an Communitys bindet.
Hypes produktiv nutzen
Natürlich äußern sich popkulturelle Hypes nicht nur in materiellen Produkten, sondern vielfach auch im musikalischen Bereich. Gerade kleinere Artists können stark von dieser wachsenden Hypekultur profitieren und darüber Reichweite beziehungsweise Streams generieren, die sonst für sie unerreichbar wären. Ohne Sichtbarkeit in den sozialen Medien ist es heutzutage sowieso nahezu unmöglich, sich zu etablieren. Die burgenländische Band Lovehead ist wohl ein aktuelles Paradebeispiel dafür, wie man soziale Medien und damit verbunden auch Hypekultur – gerade als Newcomer*innen in Österreich – produktiv für sich nutzen kann. Das Indierocktrio fand nicht nur über Instagram zusammen, sondern auch ihre ersten beiden Songs »Erdnussallergie« und »Denkst du an mich?« wurden auf Internetplattformen in kürzester Zeit zu viralen Hits. Das verschaffte der jungen Gruppe nicht nur Sichtbarkeit, sondern auch diesjährige Auftritte beim Popfest Wien und beim Waves Vienna.
Trotz der Kurzlebigkeit der aktuellen Hypezyklen ist zu hoffen, dass solche schnellen Aufstiege auch nachhaltig sein können. Denn meist ist es ja leider nur eine Frage der Zeit, bis das, was wir aktuell als größten Hype wahrnehmen, wieder verschwindet und durch etwas Neues ersetzt wird. So lässt etwa die Omnipräsenz der Labubus langsam nach und Dubai-Schokolade stapelt sich unberührt an den Supermarktkassen. Doch es zeigt sich, dass auch Totgesagtes manchmal wiederkehrt: Kultfiguren wie Monchhichis sind plötzlich wieder gefragt, Vinyl, Kassetten und sogar CDs gehen am Flohmarkt weg wie warme Semmeln. Und selbst die Diddl-Maus scheint aktuell ein Revival zu erleben. Vielleicht gibt es also doch ein Leben nach dem Hype.
Content von Malina Florentine Sternberg findet sich unter anderem auf ihrem Instagram-Kanal @malinaflorentine. Am 5. Dezember erscheint mit »Fanta lustig« die Debüt-EP von Lovehead. Die Band ist am 25. Februar im PPC in Graz live zu sehen. Und Original-Labubus sind langsam wieder im Handel erhältlich.