Die kommunistische Version von »Der Zauberer von Oz« und persönliche Blicke auf die deutsch-türkische Geschichte machen neugierig. Was ist wohl hinter der Tür verborgen? Was steht bloß in den verbotenen Büchern drin? Im Tresor des Bank Austria Kunstforums werden ab 19. September Arbeiten der türkischen Künstlerin Özlem Sulak gezeigt.
Da steht nun eine Tür mitten im Ausstellungsraum. Diese könnte der Beginn einer poetisch, fiktiven Alltagserzählung sein. Sie ist sprichwörtlich aus den Angeln gehoben. Die Tür wird das Totem für eine Station die man durchschreitet, eine Passage im Leben. Sie steht symbolhaft im Ausstellungsraum, wie ein Ort, den man betritt und wieder verlässt. In ihren Videoarbeiten und Installationen spürt die Künstlerin Özlem Sulak (geb. 1979 in Kayseri/Türkei) Stationen und Wege einzelner Menschen nach. Das Innen und das Außen, das eine Tür trennt, verweist dabei auf den privaten und den öffentlichen Raum. Drinnen: ein Zuhause, das Innere einer Familie oder der private Rückzug. Im Gegensatz dazu: Die öffentlichen Plätze, das Draußen, ja sogar die gesamte politische und öffentliche Gemeinschaft. Auf diesen zwei Ebenen, dem Privaten und dem Öffentlichen, agieren Sulaks Arbeiten.
Sulak könnte als Migrationskünstlerin gelten. Die Geschichte ihrer Familie ist geprägt durch den türkischen Militärputsch von 1980 und die darauffolgende Migrationswelle. Ungefähr 60.000 Türken flohen, viele von ihnen nach Deutschland. Historisches bildet oft den Ausgangspunkt der politischen und persönlichen Arbeiten der jungen Künstlerin. Sie lässt Zeitzeugen und Familienmitglieder über alltägliche, lebensnahe Dinge, Erinnerungen, Zweifel, Sehnsüchte vor der Kamera erzählen, lachen und gestikulieren. In ihrem Video »September 12« geben unterschiedliche Zeitzeugen ihre »widersprüchlichen Erinnerungsbilder« an das historische Datum des 12.Septembers 1980 wieder, dem Tag des Putsches durch die Militärjunta. Doch war es Reform, Revolution, oder Putsch? Die differenzierten Blicke und Wahrnehmungen der Einzelnen im Video schaffen ein heterogenes Geschichtsbild. Dabei bleibt es aber nicht bei einem bloßen dokumentarischen Blick der Zeitzeugen und Migrierten. Heimat und Fremde, Sprache und »Fremd«-Sprache, Erinnerung und Geschichte sind im Werk Sulaks existenzielle Dinge. Sie prägen uns alle.
Was die individuelle, nationale und kulturelle Identität formt, das interessiert die Künstlerin. Wie wirken Zensuren oder historische Ereignisse auf die Geschichten des Einzelnen? In den Kinderzimmern der BRD wurde den Kindern das russische Pendant zu »Der Zauberer von Oz« vorgelesen: Eine Frau sitzt an einem Tisch. Der Ausschnitt zeigt, wie sie das Buch »Der Zauberer der Smaragdstadt« in eine transparente Folie einfaltet. Auf dem zweiten Screen der 2-Kanal-Videoinstallation sieht man einen Mann. Auch er sitzt an einem Tisch und faltet das Kinderbuch »Timm Thaler – das verlorene Lachen« – diesmal in ein intransparentes Packpapier. Das Buch war verboten. Die Künstlerin schafft es mit einer ästhetisch einfachen und einprägsamen Bildsprache, komplexe Themen in ihrer Vielschichtigkeit dem Betrachter näher zu bringen. Das Band, das sie mit den aus dem Leben gegriffenen Geschichten webt, schafft dabei eine emotionale Nähe zum Betrachter. So direkt vermag das immer noch nur das Medium Video in der zeitgenössischen Kunst. Die Ausstellung in Wien wird den Fokus auf Sprache als identitätsstiftendes Mittel legen – auf das babylonische Sprachgewirr in seiner globalisierten Aktualität.
Die Ausstellung »Özlem Sulak« wird am 18. September 2012 um 19.30 Uhr mit Beats und Party eröffnet. Sie ist bis 18. November 2012 im Tresor im Bank Austria Kunstforum bei freiem Eintritt zu besichtigen.