Wenn die Heimat zu öde wird: Mehr als 5.000 Österreicher im Jahr denken beim Ausland an mehr als nur an Urlaub, Studium oder Stipendium. Fünf Auswanderer erklären, was sie dazu bewegt hat. Und was sie zurückbringen könnte.
Mark Unterberger, Royalties Specialist, Beverly Hills
»Genug Sonne« Ich lebe seit mehr als fünf Jahren in Venice Beach, Kalifornien und bei mir muss mittlerweile nichts mehr geschehen, damit ich nach Österreich zurückkomme. Warum? Weil ich vor Kurzem fix beschlossen habe im Juni 2013 – also dann insgesamt nach sechs Jahren – den USA den Rücken zu kehren. Meine Entscheidung basiert im Wesentlichen auf drei Gründen – soziale, freizeittechnische und gesellschafts- bzw. wirtschaftspolitische. Zum Ersten vermisse ich meine Eltern, die in der Zwischenzeit in ein »gewisses« Alter kommen, und auch meine vielen Freunde in ganz Österreich. Soziale Beziehungen mit Menschen, die man mag, werden immer wichtiger, je länger man weg ist, zumal sie in den USA auch schwerer aufzubauen sind. Zum Zweiten habe ich hier in den USA nur zwei bis drei Wochen Urlaub, die ich nutze, um ein Mal im Jahr nach Österreich zu kommen. D.h. aber genauso, dass ich sonst nicht mehr reisen kann, obwohl das Reisen meine größte Leidenschaft ist. Der dritte Grund ist, dass die USA gesellschafts- bzw. wirtschaftspolitisch nicht unbedingt mein bevorzugtes Land sind. Der Plan war, einige Jahre in der Sonne Kaliforniens zu genießen und das hat sich auch ausgezahlt, aber dieser Plan hat sich auch bis jetzt nicht geändert. Ich würde aus den genannten Gründen nie für länger oder gar für immer hier bleiben. Ein halbes Jahr in Wien und ein halbes Jahr in L.A. wäre vielleicht interessant, aber wenn man sich für einen Standort entscheiden muss, und alle Faktoren auf die Waagschale legt, gewinnt Österreich. Mark Unterberger, 37, ist Music- und Tech-Lover, Royalties Specialist für die Concord Music Group in Beverly Hills, California und Gründer der Firma Alpine Music Services in Venice Beach, California, über die er verschiedene Musik-Serviceleistungen, aber hauptsächlich Interviews für u.a. Warner Music GSA (Green Day, Linkin Park, Red Hot Chili Peppers, Seal, usw.) durchführt.
Florian Grassl, Unternehmsensberater, München
»Wien hat keine Berge« Im Fall von Deutschland kann man ja nur formal vom »Auswandern« sprechen. Aber getan habe ich es jedenfalls aus beruflichen Gründen. Mittlerweile wäre der Beruf gar kein Hindernis, nach Wien zurückzukehren, ginge sogar beim gleichen Arbeitgeber ohne Nachteil. Machen würde ich es auf absehbare Zeit trotzdem nicht. Gefühlt unzählige Male habe ich in den letzten Jahren die Frage gestellt (bekommen): München oder Wien? Noch nie habe ich jemanden getroffen, der München als Stadt den Vorzug über Wien geben würde. Ich bin und bleibe wohl ein Einzelfall, aber es ist eine klare Sache: Wien ist zu sehr zubetoniert und zu weit von – ausreichend hohen – Bergen entfernt. Und einen relevanten Job außerhalb von Wien gibt es nun mal für mich in Österreich nicht. Das österreichische Politikgeschehen fördert natürlich auch nicht das Bedürfnis heimzukehren. In den ersten Jahren meiner Absenz hatte ich die heimische Politik noch regelmäßig verfolgt, heute bekomme ich nur mehr das mit, was es in die deutschen Medien schafft, es wird ja auch kaum Interessantes geboten. Und das was geboten wird, ist eher zum Wegschauen und wird dann noch von den Medien dementsprechend aufbereitet. Am Weltmeistertitel in Sachen Pressevielfalt bzw. Medienqualität muss Österreich wohl noch eine Zeit lang arbeiten. Eine Denkvariante wäre noch der Weg des Aussteigers: Sollte ich mich irgendwann zum Aussteigen aus dem Business entschließen, könnte ich es mir schon gut vorstellen, irgendwo am Berg zu wohnen – da ist man dann auch weit genug von der Wiener Politik und dem regionalpolitischen Provinztheater entfernt. Aber so bevorzuge ich es aktuell, regelmäßig von München aus in die nahen Berge zu fahren, ganz gleich ob diesseits oder jenseits der Grenze, wohne und arbeite aber gerne auf der bayerischen Seite. Florian Grassl, 37, Unternehmensberater, lebt seit sieben Jahren in Deutschland; aufgewachsen in Niederösterreich, studierte Elektrotechnik an der TU Wien, arbeitete danach bei unterschiedlichen Telekommunikations-Unternehmen in Wien, zog aus beruflichen Gründen nach München.
Franz Drack, Manager, Stockholm
»Neugier trotz Heimatstolz« Ich glaube es wären eher private Gründe wie Familie oder Freunde, die mich zu einer Rückkehr bewegen würden. Ich habe Österreich nicht den Rücken gekehrt, weil ich mit dem Land, den Leuten, der politischen Situation, den Ladenöffnungszeiten oder der Leistung der Fußballnationalmannschaft unzufrieden war. Es war mehr der Wunsch, neue Dinge zu erleben und interessante Menschen zu treffen. Inzwischen lebe ich seit vier Jahren nicht mehr in Österreich und mit der Zeit kam ein gewisser Abstand zu meinem Heimatland. Interessanterweise ergaben sich zwei Richtungen der Veränderung meiner Einstellung. Einerseits wurde mir klar, dass Österreich in gewissen Dingen wie Gleichstellung der Frauen oder Akzeptanz von Männerkarenz gegenüber anderen Ländern konservativ, wenn nicht sogar rückständig ist. Man tut sich dann mit der Eigenwahrnehmung als progressives und modernes Land etwas schwer. Andererseits gibt es im Ausland ein Image von Österreich als kleines aber erfolgreiches Land. Eine Sichtweise, die vielen im Inland oft verwehrt bleibt. Meines Wissens hat Österreich derzeit die niedrigste Arbeitslosigkeit Europas und ein akzeptables Budget-Defizit. Wir scheinen einiges richtig zu machen. Doch diesen Stolz auf das Erreichte bekommt man bei Heimatbesuchen selten zu hören. Viel öfter verlieren sich meine Freunde oder meine Eltern in Diskussionen über die anhaltenden Korruptionsskandale oder lassen sich über die geistige Reife der derzeitigen Regierung aus. Das verwundert mich teilweise und wirft in mir die Frage auf, warum ein gewisser Stolz auf unser Land immer noch tabu zu sein scheint. Ich lebe seit vier Jahren in Schweden und bin inzwischen stolz darauf, Österreicher zu sein. Nicht, weil ich mich anderen überlegen fühle, sondern weil ich mich als »Immigrant«, als Minderheit in einem Land wo andere die Mehrheit stellen, mit meiner Herkunft, mit dem was mich und Österreich ausmacht, auseinandersetzen musste. Und da gibt es vieles Gutes und einiges, das verbesserungswürdig ist, aber weniges, was einen pessimistisch stimmen müsste. Franz Drack, 39, ist gebürtiger Salzburger, und lebt seit 2008 in Stockholm. Er arbeitet als globaler Marketing-Manager für ABSOLUT Vodka.
Iris Kern-Foster, Grafik Designerin, Venice Beach
»Abschaffung der Kleinkariertheit«
Eigentlich habe ich in den USA eher eine Zufallsheimat als eine Wahlheimat und im direkten Vergleich kommt vor allem Wien in der Kategorie Lebensqualität auf meiner Pro-Kontra-Liste besser weg. Warum ich mir trotzdem vorstellen kann, längerfristig hier zu bleiben? Kreativität hat einen anderen Stellenwert. Ich schätze die Offenheit für Ideen und die Experimentierfreude. Auch wenn mir privat der »Positivfanatismus« an den Nerven kratzt, beruflich finde ich das Denken in Möglichkeiten statt Hindernissen großartig. In Österreich herrscht außerdem ein unausgesprochener Zwang zum linearen Lebenslauf, wer umschult, Neues probiert, oder sogar verschiedenen Tätigkeiten gleichzeitig nachgeht, gilt als unstetig oder entscheidungsunfreudig. Im Widerspruch dazu wird von Kreativen erwartet, zusätzlich gute Verkäufer und Projektmanager zu sein. Mein Wunsch an die österreichische Kreativwirtschaft und Kunstszene ist es, die Strukturen dahingehend zu verändern, dass innovativ Denkende und wirtschaftlich Begabte zusammengeführt werden, anstatt unter dem Potenzial an Kreativen diejenigen herauszupicken, die über die Vorrausetzungen verfügen, neue Projekte aus eigener Kraft zu bewerkstelligen. Konkrete Bedingungen, um permanent die Postleitzahl zu wechseln, habe ich nicht. Ich glaube, Protestauswanderer bleiben auch weg. Zu denen gehöre ich aber nicht. Iris Kern-Foster ist Grafik-Designerin und Medienkünstlerin, lebt in Kalifornien und ist mit einem Surf-Fotografen verheiratet. Sie wünscht sich, dass Herr Mateschitz einen Surfwavepool in den Alpen baut.
Werner Gruenberg, Manager, Chicago
„Ein Hürdenlauf“
Von aufwendigen und langwierigen Einwanderungsprozeduren, über die Suche nach einem Job, bis hin zum kompletten Neuaufbau seines sozialen Netzwerkes, müssen nach dem Auswandern viele kleine Hürden genommen werden. Dazu kommt noch jede Menge Heimweh und das Vermissen einzelner Freunde und Verwandter, die »zurückgelassen« wurden. Eines haben die meisten Auswanderer allerdings gemeinsam: Jeder kommt früher oder später an den Punkt wo er bemerkt, diese Hürden überwunden zu haben und kann sich auf das »neue Leben« einlassen. Für mich ist es in erster Line wichtig, das Gefühl zu haben, in der Zeit meines Auslandsaufenthaltes etwas erreicht zu haben. Zum einen bin ich Angestellter einer deutschen Organisation, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und Deutschland stärken soll, zum anderen beschäftige ich mich in meiner Freizeit mit dem Aufbau eines kleinen Start-ups in der Geschenkartikelbranche. Mit meinem beruflichen Erfolg haben sich zudem zahlreiche Kontakte zu Personen im In- und Ausland entwickelt. Sollte sich hieraus mal ein besonders interessantes Angebot aus Österreich für mich ergeben, ist es gut möglich, dass ich dem nachgehe. Neben dem wirtschaftlichen Erfolgsaspekt, gibt es aber auch andere Gründe, zurück nach Österreich zu kehren: Kinder. Zurzeit führe ich zwar ein kinderloses und somit in den USA relativ sorgenfreies Leben, aber „you never know“. Ich hatte eine großartige Kindheit in einer ländlichen Gegend in der Nähe Wiens und möcht das auch irgendwann meinen Kindern bieten. Aber egal, wo man sich befindet, sobald die Wurzeln anfangen zu wachsen, ist es schwer, einen Neuanfang zu starten. Und das würde auch einen Neuanfang in Österreich mit einschließen. Jedes Ende ist schwer. Werner Grünberg, 34, seit 3,5 Jahren in den USA, Manager, Consulting Services für die German American Chamber of Commerce of the Midwest Inc. und GF eines kleinen Start-up-Unternehmens im Geschenkartikelbereich.
Was hält einen im eigenen Land? Familie und Freunde? Beruf? Ein Grundstück? Auch wenn die Lebensqualität stimmt, lassen sich viele gute Gründe finden, um Österreich zu verlassen und Fuß auf neuem Grund zu fassen. Möglicherweise ist man mit dem Bildungssystem nicht zufrieden, der Mode, dem Spielplan in Konzerthallen, dem Geschäftsklima, der Transparenz in Wirtschaft und Politik, den Kellnern, Daily Soaps, der Werbung, der Wehrpflicht, den Trainingsbedingungen im Sport, dem Liebesleben oder man hat schlicht Fernweh und eine unbändige Neugier im Herz.
»Das österreichische Politikgeschehen fördert nicht gerade das Bedürfnis heimzukehren.« (Florian Grassl)
Laut einem Artikel in Die Presse (Ausgabe vom 16. August 2012) wandern jährlich fast 20.000 Österreicher ab und etwa 15.000 kehren wieder zurück. Ergo verlassen jedes Jahr rund 5.000 Menschen ihr Land. Gleichzeitig ist es (nicht nur) für Akademiker, die ihre Ausbildung in Österreich abschließen, nicht sehr attraktiv zu bleiben. Die Rot-Weiß-Rot Card wird nur an jene Master- und Diplomabsolventen ausgestellt, die innerhalb eines halben Jahres einen Job mit einem Bruttogehalt von 1.903,50 Euro finden. Gehälter liegen in manchen Branchen deutlich unter dem deutschen Niveau. Der sogenannte „Brain Drain“ setzt ein.
Natürlich will dies verhindert werden, und so greift der Staat zu Nation Branding, um sich am Ländermarkt besser in Pose zu bringen. Ob diese Maßnahme alleine genügt, um die Auswanderung zu stoppen, ist zu bezweifeln. Viele negative Aspekte sind zu tief verwurzelt, um in den nächsten drei Jahren eine Änderung herbeizuführen. Aber was könnte das denn überhaupt sein, was müsste passieren?
Mehr Artikel zu unserem Titelthema Nation Branding gibt es hier: www.thegap.at/nationbranding