Mainstreaming der Minderheiten

In der hypermedialen, visuellen Bilderflut scheint uns nichts mehr zu provozieren – Erst recht nicht, wenn es um sexuelle Identität oder schrille Outfits geht. Alles schon mal gesehen. Wieso das in den 80er noch anders war und was die Londoner Subkultur, Leigh Bowery und die Medien damit zu haben.

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Ist Queerness spätestens seit Madonnas Vogueing zum Marketingtool geworden? Der zunächst typische Tanzstil der Harlemer Schwulenszene wird zum Pop-Mainstream der 90er? Peaches, die auf ihrem Album "Fatherfucker" einen angeklebten Bart trägt, oder die Pop-Ikone Lady Gaga, die in Tokio eine Hochzeit mit ihrem schwulen Freund Terence Koh inszeniert, schockieren kaum noch. Ebenso wenig Elton John oder Rufus Wainwright im Tigerkostüm. Wieso auch? Bilder von queeren Gestalten scheinen so allgegenwärtig wie die Jutetüte – und wie selbstverständlich gibt es auch den Queer-Beutel für 9.90 bei dkp-queer.de zu kaufen. Die Ästhetik einer Subkultur wird vom Mainstream vereinnahmt. Haben so die Stile und Gesten des Rebellischen schon an Relevanz verloren? In Zeiten, in denen alles erlaubt ist, solange es vermarktet werden kann, stellt sich die Frage: Wie subversiv ist Queerness noch? Und ist das schlimm?

Getting ready for The Heaven

Exzentrischer und subversiver als Gagakoh und Co. war Leigh Bowery (*1961-1994). Modedesigner, Performance-Künstler, Musiker und Clubbesitzer – "moderne Kunst auf Beinen". Der in einem kleinen Vorort von Melbourne geborene Bowery kam 1980 mit seiner Nähmaschine in der einen Hand und einem Koffer in der anderen nach London. Die Begegnung mit der Drag Queen Yvette wird für Leigh zum Wendepunkt. Die Einlass-Huren öffneten dem jungen Leigh alle Pforten zu einer kleinen, marginalisierten, oralen Szene rund um The Blitz, der britischen Version des Studio 54, The Heaven und anderen schrillen, schrägen, bunten, eben queeren Orten des Londoner Nachtlebens. Subkultur pur. Die Szene war theatralisch. Im Gegensatz zu den Straßen eine Art Bühne für Homosexuelle, Drag Queens, Drag Kings, Transsexuelle aber auch Heterosexuelle; Mannigfaltigkeit und Underground ein Markenzeichen.

Vom "Taboo" zum Star

Leigh zeigt seine Extravaganz allerdings auch auf den Straßen Londons. Er schockiert und unterhält zugleich. Mainstream und Massenmedien durchdringen zu Lebzeiten Leigh Bowery – bewusst auch von diesem mitinszeniert. Seine Arbeit als Künstler, Performer und Modedesigner geht durch die Medien. Exzentrische Auftritte in Talkshows, Late-Night-Shows oder in der Eröffnungsgesellschaft des Metropolitan Museum of Art waren gekonnt inszenierte Medienbilder einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Im maßvoll geschneiderten Glitzerkostümen mit Maske, Plateauschuhen und aufwendiger Schminke ist Leigh weniger Drag als mehr Kostüm. Die Kostüme und Inszenierungen sollten dabei immer an der Grenze zum Absurden und Lächerlichen sein, sollten bedrohlich wie gleichermaßen faszinierend sein. Der provokative und radikale Akt ist dabei seine Gestalt und seine Gegenwart. Doch wenn Leigh Bowery im Video der U2 Pop-Mart-Show (1997-98) auf Großleinwand in schrillen Neonfarben die Bühnenshow ergänzt oder er der Hauptcharakter im Musical "Taboo" von Boy George ist, dann verliert die Figur Bowery als Abbild auch den subversiven Charakter ihrer Live-Performance. Bowery wird zum Entertainer der rund vier Millionen U2-Fans. Und so liegt in dem Gewinn, der immer gefordert wurde, nämlich mehr Bühne für Ausgegrenzte, zum Teil auch ein Verlust – alles ist immer und überall abrufbar, nur oft eben als harmloses Bild auf dem Schirm: We love to entertain you!

Die Ausstellung »Xtravaganza Staging Leigh Bowery« ist ab 18. Oktober bis 3. Februar 2013 in der Kunsthalle Wien zu sehen.

Bild(er) © Fergus Greer
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