Holger Fleischmann über die Karrierestationen von Naked Lunch.
Ein ungeschliffener, rauer Sound, metallisch verzerrte Gitarren, ein wuchtiges, schepperndes Schlagzeug: Zu Beginn ihrer Laufbahn klangen Naked Lunch, als ob sie aus jener Stadt stammen würden, die gerade das Zentrum der Musikwelt markierte: Seattle. Auf ihrem stark vom Grunge geprägten, 1991 erschienenen Debütalbum „Naked“ (Big Store) waren aber bereits jene Qualitäten auszumachen, die im Laufe der Jahre beinahe zur Perfektion reifen sollten: ein Händchen für eingängige Melodien und die Fähigkeit, Ohrwürmer in die Welt zu setzen. Nach reger Konzerttätigkeit, unter anderem mit den amerikanischen Genre-Größen Tad und Screaming Trees, folgte 1992 mit „Balsam“ (Big Store) das zweite Album der Klagenfurter Band, eine konsequente Weiterführung von „Naked“.
„Balsam“ stellte nicht nur die ausgezeichneten Songwriter-Qualitäten von Oliver Welter unter Beweis, sondern unterstrich auch den Willen von Naked Lunch, die Enge des Heimatlandes hinter sich zu lassen. Und tatsächlich: „Balsam“ und eine Tour mit Therapy? öffnen der kleinen Indie-Band aus Kärnten die Tür zur großen Popwelt. Majorfirmen klopfen an, man spielt Showcases in New York und landet schließlich beim britischen Universal-Ableger Mercury. Der lässt Naked Lunch in San Francisco, New York und Weilheim das 1997 veröffentlichte, etwas gar kokett betitelte „Superstardom“ (Mercury / Universal) einspielen, ein Album mit einigen unwiderstehlichen Hits, zuckersüßen Vocals und einem insgesamt abgespeckten, poppigeren Sound. Im Hotel „Superstardom“, das die Band am Albumcover mit gepackten Koffern bezieht, werden Naked Lunch allerdings nicht so recht heimisch: die Verkaufszahlen der letztlich zu sehr auf Hochglanz getrimmten Platte enttäuschen, die Band kehrt der Kurzzeitheimat London den Rücken.
„Love Junkies“ (Mercury / Universal), 1999 erschienen, zeigte, dass Naked Lunch ihr musikalisches Vokabular längst noch nicht ausformuliert hatten: Ihr klassischer Rocktriosound wich einem vollmundigen Breitwandpop, von Langzeit-Produzent Olaf Opal (The Notwist, Miles) mit opulenten Streicherarrangements und Bläsersätzen durchsetzt und durch Neuzugang Stefan Deisenberger mit Keyboards und sanfter Elektronik angereichert. Thematisch im Mittelpunkt, wie so oft bei Naked Lunch: Liebe, Beziehung, Trennung, Sex. Melancholisch-verträumt, teilweise gar gut gelaunt: ihr bestes Album bis dato. Dann die Ernüchterung: Kurz nach der Veröffentlichung von „Love Junkies“ lässt die Plattenfirma die Band fallen.
„My dreams are all I got and they keep me alive“, heißt es auf „Love Junkies“. Diesem Credo folgend, den Traum vom ganz großen Wurf nach wie vor vor Augen, machen Naked Lunch unbeirrbar weiter, trotz existenzieller Nöte, trotz fehlendem Plattendeal. Kaserniert im Kellerstudio von Bassist Herwig Zamernik, wächst in einer gut einjährigen, mühseligen Kleinstarbeit ein Meisterwerk heran, das die Grenzen der Band bis ans Äußerste auslotet – und in einer zuvor unerreichbar geglaubten Schönheit erstrahlt. „Songs for the Exhausted“ (Motor / Universal) ist schlicht und einfach Pop auf der Höhe der Zeit: weltgewandt, magisch, aufwühlend. Sucht man nach Referenzen für die schwermütigen, brüchigen, aber stets kraftvollen Songs, die mit geschickt integrierter Knisterelektronik und wunderbaren Harmonien begeistern, kommen einem nur die besten Popbands unserer Tage in den Sinn: die Flaming Lips, The Notwist, Radiohead.
Zu Zeiten von „Superstardom“ zitierte Oliver Welter gerne Morrissey: „Am Ende des Tages, wenn die Geschichtsbücher geschrieben werden, musst du schauen, dass du auch drinstehst.“ Zu mehr als einer Fußnote reichte es damals freilich nicht. Mit „Songs for the Exhausted“ könnte ihnen der Eingang in die Annalen nun aber geglückt sein. Eines der besten Alben des Jahres ist es gewiss.
Zum Interview über gefloppte Alben und geplatzte Deals geht’s hier lang.
Und zu Thomas Webers Einschätzung zum Album „Songs For The Exhausted“ hier lang.
Naked Lunch 2013 wieder auf Tour. Nähere Infos unter www.nakedlunch.de