Boykottiert dies, rettet das: In Zeiten sozialer Netzwerke erreichen uns zahlreiche Aufrufe zum Aktionismus mit der Geldbörse. Können wir damit nachhaltig etwas verändern, oder bleibt es zwangsläufig bei Einmaleffekten?
Johanna Stögmüller, Journalistin Foto: Florian Auer
»Kategorien jenseits des guten Geschmacks« Es hat ja noch niemand behauptet, dass es einfach wäre, ein Individuum zu sein: Man ist Bürger, Konsument, Wähler, Leser, Kritiker, Nutzer, Genießer und Steuerzahler in einem. Und ob man es will oder nicht, man ist Bindeglied zwischen zwei – manchmal scheinbar wertblinden – Systemen: der Politik und der Wirtschaft. Kundenaktionismus und Konsumentenprotest liefern in diesem Handlungsdreieck aus Wirtschaftsethik (moralische Bewertung wirtschaftlicher Systeme), Unternehmensethik (Corporate Social Responsibility) und Konsumentenethik (Consumer Social Responsibility) den Beweis dafür, dass durch politisch sensibilisierte Verbraucher, die soziale Verantwortung leben, einer ausufernden Marktwirtschaft ein reales Korrektiv gegenübergestellt werden kann. Praise the New Economy! Dank der sinnstiftenden Funktion des Konsums über eine reine Befriedigung der Güternachfrage hinaus haben Konsumenten die Bedeutung ihrer Kaufkraft entdeckt. Vereinfacht könnte die Feststellung lauten: »Ihr könnt uns nicht auf der einen Seite versprechen, dass uns euer Produkt glücklich macht, wenn auf der anderen Seite Menschen leiden und Ressourcen ausgebeutet werden.« Das Konzept des Consumer Citizen muss, um längerfristig wirksam zu sein, von einer Verbraucherpolitik unterstützt werden, die das traditionelle Leitbild der Konsumentensouveränität, bei dem Eigennutzen und Gemeinwohl konkurrieren, verabschiedet und nachhaltigen Konsum durch Verbraucherbildung und Verbraucherschutz fördert. Denn: Zuerst muss der Konsument wissen, welche Rechte ihm zustehen. Dann kann er es auf Facebook posten. Johanna Stögmüller, 29, ist Chefredakteurin von Biorama – Magazin für nachhaltigen Lebensstil.
Nardo Vogt, Social Media Chief Editor
»Lovestorm, Shitstorm, Mystorm.« Für einen Community-Manager sind es Momente der Panik. Ein Beitrag von einem User bekommt auf einen Schlag mehr als 30 Likes innerhalb wenigen Minuten, oder ein Thema wird mehrmals im eigenen Stream geteilt. Meist ist er negativ. Positiv überrascht zu werden, das passiert eher selten. Warum auch? Menschen schimpfen lieber, als Wildfremden Komplimente zu machen. Und: Es ist ja irgendwie selbstverständlich, dass ein Unternehmen seinen Job macht. Egal, wo es auftritt. Und das muss man auch mal loswerden. Vor allem auf die Großen, auf die kann man ja sowieso draufhauen. Die haben das Geld, die haben die Mittel, die können das aushalten, und wenn der Druck wächst, ändert sich vielleicht auch was. Schließlich sind die Medien mittlerweile auch auf das Thema Shitstorm eingeschossen (übrigens ein Begriff aus Deutschland – Englisch sprechende Personen schauen immer verdutzt, wenn der Begriff fällt). Für viele Unternehmen ist das auch ein Grund, nicht in Social Media mitzumischen. Wie man aber am Beispiel der Schwedenbomben sieht: Die Leute reden über einen, ob man nun da ist oder nicht. Gibt das Fans, Followern oder Usern nun mehr Macht über ein Unternehmen? Ja, aber es hängt vom jeweiligen Fall ab. Manche Unternehmen können mit einem frechen Spruch einen Shitstorm schnell aufhalten, vielleicht für sich gewinnen. Andere wiederum sind zu klein, damit eine Beschwerde eine kritische Masse erreicht – sie verpufft also »wirkungslos«. Es soll sogar Unternehmen geben, die Shitstorms als Marketing-Gag aufbauen und selbst auslösen. In vielen Fällen endet eine solche Aktion eher in einer Peinlichkeit. Für Unternehmen gilt daher: Ruhe bewahren. Nicht nur während eines Shitstorms, sondern immer. Gut vorbereitet sein, cool reagieren, Anschuldigungen hinterfragen, prüfen und Lob dankend entgegen nehmen – vielleicht kommt ja doch mal etwas Positives dabei heraus. Nardo Vogt ist als Chief Editor Social Media bei Ambuzzador tätig. Er leitet seit 2011 das Social Media-Redaktionsteam. Er studierte an den Universitäten Erlangen und Wien Kommunikations- und Politikwissenschaft.
Petra Baumgartner, Neo-Facebook-Aktivistin
»40.000 Konsumenten werden nicht überhört« Die Idee, eine Facebook-Seite zur Rettung der Schwedenbomben zu gründen, kam mir im Juli letzten Jahres nach Berichten über grobe wirtschaftliche Probleme der Firma Niemetz. Anfangs schlossen sich bis zu einem Flashmob im August ca. 1.800 Leute unserer Gruppe an, ein paar kleine Berichte in einigen Medien waren die Folge. Vor circa vier Wochen wurde im Rahmen der Hiobsbotschaft des Niemetz-Konkurses auch die (mediale) Erinnerung an die Existenz dieser Gruppe geweckt. Ein nie erwarteter Ansturm an Beitrittsanfragen setzte ein. Der wiederum war wohl die Folge einer gegenseitigen Aufschaukelung von Berichten über unsere Initiative, gefolgt von neuen Rekordmitgliedszahlen, über die wieder in diversen Medien berichtet wurde usw. Dieser Effekt wäre wohl kaum möglich und vorstellbar gewesen ohne ein Produkt, das so die Herzen der Menschen berührt wie es offensichtlich bei den Schwedenbomben der Fall war und ist. Gute Erinnerungen an die eigene Vergangenheit triggern starke Emotionen, und die sind wohl notwendig, um (viele) Menschen zu mobilisieren. Die gemachten Erfahrungen zeigen, dass unter diesen Vorzeichen den virtuellen Fakten sehr rasch ganz reale Konsequenzen folgen können (Verdreifachung des Umsatzes, Einbruch der Konkurrenz). Die geeinte Stimme und das Engagement von mehr als 40.000 Konsumenten wurde nicht überhört und hat folgend bewirkt, dass die Firma Niemetz – oder das was noch von ihr über ist – wieder einiges an Wert gewonnen hat, für mögliche Investoren attraktiv und so die Wahrscheinlichkeit eines Fortbestehens unserer bombigen, süßen Köstlichkeit um einiges wahrscheinlicher geworden ist. Letzteres sehe ich auch als den nachhaltigsten Erfolg unserer Gruppe. Petra Baumgartner, 36, ist Gründerin der Facebook-Gruppe »Rettet die Niemetz Schwedenbomben«. Hauptberuflich ist sie als Notärztin in Graz tätig und ausserdem leidenschaftliche Musikerin.
Teresa Reiter, Buchhändlerin
»Kunden wollen überzeugt werden« Die Buchbranche wettert gegen den Online-Riesen Amazon. Lauscht man dem feuerspeienden Buchhändler-Mob, ist Eigentümer Jeff Bezos das personifizierte Böse, der seine Angestellten ausbeutet, keine Steuern zahlt und den kleinen Buchhändler zu Staub zertrampelt. Nicht, dass das keine guten Gründe wären, den Konzern zu boykottieren, aber Robin-Hood-Attitüde mal beiseite, worum geht es hier eigentlich wirklich? In Wahrheit wären wir Buchhändler auch keine Amazon-Fans, wenn es sich dabei um einen Musterbetrieb handelte. Hier geht es nicht um moralische Überlegenheit, sondern um Geld. Amazon casht im großen Stil ab, während wir – die kleinen Buchhändler – einen weinerlichen Feldzug führen, der nicht zu gewinnen ist. Um Firmen wie Amazon einen fühlbaren Schaden zuzufügen, bräuchte es Boykotte ganz anderer Dimensionen. Doch diese zu erreichen erscheint unwahrscheinlich. Den meisten Leuten könnte es nämlich egaler nicht sein, wie viel der Packer verdient, der ihr Produkt in ein Kuvert steckt. Für Bequemlichkeit wirft der Mensch seine Prinzipien über den Haufen. Mit welchem Argument beschweren sich eigentlich Unternehmer, die ihre Geschäftsstrategie von vor 25 Jahren beibehalten haben, während die Welt sich mit jedem Augenblick ändert? Homepage – zu teuer. Facebook – brauchen wir nicht. Setzt sich eh nicht durch, dieses Internet. Kaufen ist wie wählen. Durch unser Konsumverhalten bestimmen wir die Welt, in der wir leben, mit. Wie Wähler wollen auch Kunden überzeugt werden. Dafür genügt es im Jahr 2013 nicht mehr, sich auf seiner Laden-um-die-Ecke-Romantik auszuruhen und auf seine älteren Rechte zu pochen. Die Frage ist nicht, ob Großkonzerne das Böse sind, sondern, was wir aktiv tun, um uns besser zu vernetzen und um dem Kunden zu vermitteln, dass wir die bessere Alternative sind. Ein »Amazon? Nein, danke«-Schild in der Auslage wird dafür jedenfalls nicht ausreichen. Teresa Reiter, 24, ist Buchhändlerin und Gründerin von »Eine Zukunft für die kleinen Buchhandlungen«.
Die gemeine Schwedenbombe der Firma Niemetz aus Wien fristete lange Zeit das Schicksal vieler liebgewonner Kindheitserinnerungen: Man gedachte ihr mit freundlicher Verklärung und freute sich, wenn man ihr einmal zufällig über den Weg lief. Nur regelmäßig gekauft hat sie zuletzt kaum jemand. Als das Traditionsprodukt dann vor dem Aus stand, brach eine Welle von Solidarität aus. Facebook-Gruppen fanden rasanten Zuwachs, Schwedenbomben-Flashmobs wurden organisiert. Ganz ähnlich verlief die Aufmerksamkeitskurve nach der Veröffentlichung einer Doku über Amazon. Nachdem bekannt wurde, dass der Internethändler seine Zeitarbeiter mit grotesk niedrigen Stundenlöhnen abspeiste und ihre Wohnanlagen von einer rechtsextremen Sicherheitsfirma bewachen ließ, lief das Internet vor Boykottaufrufen geradezu über.
Aufrufe zum Boykott oder Solidaritätskauf einer bestimmten Ware sind nicht neu. Doch vor allem soziale Netzwerke haben sie dramatisch vereinfacht. Niemand braucht mehr komplizierte Petitionen zu lesen oder sich in ein Thema einzuarbeiten. Auf Facebook ist die Unmutsäußerung nur einen Klick entfernt, und das Gewissen schnell beruhigt. Zwar kann niemand wirklich voraussagen, wann der Protest die kritische Schwelle überspringt und zum Shitstorm wird – Unternehmen fürchten sich trotzdem davor. Und doch wird man den Eindruck nicht los, dass die Vereinfachung des Protests auch gleichzeitig eine Verflachung bedeutet. In einer beschleunigten Mediengesellschaft ist die öffentliche Aufmerksamkeit schnell gewonnen, verlagert sich aber auch genauso schnell wieder auf andere Themen. Die Empörung über den Schweizer Konzern Nestlé oder die Facebook-Seite des Museumsquartier Wien hatten jeweils nur eine relativ kurze Halbwertszeit. Und ob die Schwedenbombe durch die Impulskäufe dauerhaft gerettet wurde , kann zum jetzigen Zeitpunkt auch niemand sagen.
Was kann Kundenaktionismus bringen? Und wie könnte man ihn nachhaltig gestalten, damit es nicht bei Einmaleffekten bleibt?