Als ich vor Kurzem beim Chinesen nach Finalisierung einer schon verdächtig köstlichen Glutamatmahlzeit einen Glückskeks brach, kam ich natürlich nicht daran vorbei, den Spruch zu lesen, der zwischen dem hauchdünnen Waffelteig eingelegt worden war.
»Doing What You Want Is Freedom. Loving What You Do Is Happiness!« Ach diese daoistischen Weisheiten immer. Die erheitern mich meist sehr. Auch auf Teebeuteln. »Belehren ohne Worte, Vollbringen, ohne zu handeln: So gehen die Meister vor.« Oder auf Gewürzgläsern: »Alle Dinge haben im Rücken das Weibliche und vor sich das Männliche. Wenn Männliches und Weibliches sich verbinden, erlangen alle Dinge Einklang.«
Ganz ernst nehmen kann ich das leider nie. Vor allem, weil ich einmal wo gelesen habe, dass Daoisten nicht unbedingt ejakulieren wollen, weil im Sperma ganz viel Qi drinnen ist, dass dann auf Nimmerwiedersehen raus-, oder in die Frau reinflutscht. Besser wäre es nämlich, seine köstlichen Säfte nicht zu ergießen und bei sich zu behalten, auf dass diese als Hirnnahrung dienen. Ganz genau hab ich das nicht kapiert, wie das vor sich gehen soll, wenn es jemanden interessiert, kann er sich aber problemlos über einen Wikipedia-Eintrag in tiefergehende Wissensgebiete weiterhangeln. Vielleicht will ja jemand einmal eine Doku über fernöstliche Spermageizhälse drehen, über miese Samenneider. Mir ist das zu steil.
Ich möchte allerdings dennoch anmerken, dass ich durchaus ein großer Freund der traditionellen, chinesischen Medizin bin. Die Hokus-Pokus-Kräuter haben mir schon viel Keuchhusten erspart und auch ein Tinnitus wurde mir bereits erfolgreich wegakupunktiert. In Sachen Spritzispritz – man verzeihe mir bitte die Wortwahl, aber ich pflege momentan auf einer Welle der sprachlichen Reinfantilisierung1 zu reiten – bin ich doch auf Seiten der westlichen Medizin. Die behauptet, dass regelmäßiges Abmelken äußerst positiv auf die Vorsteherdrüse wirke und Krebs in dieser delikaten Region vorbeuge. »Jeder Orgasmus ist ein kleines Service für die Prostata«, stand mal in einem wissenschaftlichen Beitrag dieses Thema betreffend. Ich wäre jederzeit bereit, dieses Credo auf Papierstreifen zu bringen und persönlich eine ganze Charge Glückskekse damit zu stopfen. In Handarbeit natürlich, ist doch Ehrensache, denn ich liebe die Vorbeugemaßnahmen, die in diese Richtung verlaufen – sie machen mich glücklich. »Loving What You Do Is Happiness!«
Wobei, den Verdacht, dass der Spruch, der sich in meinem Keks fand, in einer von Leistung und Eigenverantwortung durchtränkten Gesellschaft wohl vorwiegend in Richtung Beruf und Arbeit gedeutet wird, werde ich nicht ganz los. Geh raus, finde einen Job den du liebst und werde glücklich! Das ist echt nicht einfach. In freier Wildbahn trifft man heutzutage ja nur selten Menschen, die am Betätigungsfeld, das sie beackern, selig aufgehen.
Wobei, eine junge Dame kam mir unlängst unter. Sie arbeitet in einem dieser modernen Kaffeehäuser, wo Schmackhaftes aus Fair-Trade-Bohnen gesiedet und gefiltert wird, alles auch mit Soja-Milch erhältlich ist und Mehlspeisen Cookies, Cup-Cakes und Muffins heißen. Sie hat auffallend weiße Zähne. Das finde ich sehr schön und animiert mich auf perfide Weise zum fleißigen Kaffeesaufen. Ich denk mir dann nämlich so Dinge wie: »Himmel, die hat aber weiße Beißer! Wenn die so weiße Beißer hat und in einem Kaffeehaus werkelt, dann ist es wohl ins Reich der Sagen und Mären zu verweisen, dass der Bohnentrank den Zahnschmelz ungünstig verfärbt!?« Was mir aber als noch größeres Faszinosum dient: Auf ihren linken, gerade noch nicht auffallend dünnen Oberarm hat sie sich eine italienische Caffettiera, eine Kaffeekanne tätowieren lassen. So einen achteckigen Espressoreaktor2 aus Edelstahl.
Aus sehr sicherer Quelle (meine eigenen Augen) weiß ich, dass sie dieses Tattoo erst kürzlich stechen ließ. Das nenne ich mal eine Identifikation mit dem Job. Schön. Ich stelle mir dann immer auch das Schulterblatt einer leidenschaftlichen Apothekerin vor, über das sich elegant eine Äskulapnatter schlängelt. Und einmal kam mir gar die Möglichkeit in den Sinn, dass es sicher für entzückte Verwirrung sorgte, wenn am Steißbein der Schauspielerin Birgit Minichmayr das Tintenkonterfei von Christiane Hörbiger prangte.
Jedenfalls respecte ich die Kaffeekanne am Oberarm der Servierkraft sehr, denn üblicherweise wird man ja heutzutage von Ordonanzen bedient, die einem in einer Mischung aus Arroganz, unschlüssiger Unterwürfigkeit und ein bisschen Zwinkerzwinkerhihihi erklären, dass sie gar keine Kellner sind. Sondern Schriftsteller, Filmemacher, Musiker, Installationskünstler oder Maler. Oft zeigen sie einem auch ungefragt Werkproben am Smartphone.
Eine Unart übrigens, die aus Berlin hier rüber geschwappt ist und immer auch als Rechtfertigung herhalten muss, wenn man sich höflich beschwert. Etwa, wenn nach längerer Wartezeit was Falsches serviert wurde. Oder eine Kopfrechenbehinderung beim Kassieren schlagend wird. In daoistischer Großzügigkeit belehre ich als großer Rechenmeister stets ohne Worte, schüttle den Kopf und klopfe mit dem Zeigefinger auf den Rechenfehler. Das bringt die Wappler zur Weißglut.
Ich beschwere mich in letzter Zeit immer häufiger, wenn etwas nicht passt und – das macht mir ein wenig Angst – mit großem Vergnügen. Ohne Worte geht das allerdings nicht ab. McDonald’s erhielt etwa unlängst ein geharnischtes Mail von mir, in dem ich die Einführung einer »Senior-Tüte« ins Sortiment forderte und dem Konzern mit der Gründung einer Gleichgesinntengruppe auf Facebook die Rute ins Fenster stellte. Wenn Permanentadoleszente in ihrer Konsumnostalgiewut grausige Eissorten und insolvente Firmen wiederbeleben können, sollte dies doch wohl auch in eine andere Richtung möglich sein. Ich hoffe jedenfalls auf eine geile Eigendynamik, damit ich – diesmal mit dem Daoismus im Einklang – behaupten kann, etwas ohne zu handeln vollbracht zu haben. Denn ich liebe es, nichts zu tun. Das macht mich so richtig happy.