Bomberjacken-Rave-Kids

Wenn man den Künstler Björn Segschneider bei einer Flasche Wein in seinem Atelier trifft, wird schnell klar, es geht nicht nur um ein Werk, sondern um eine Haltung.

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Björn Segschneider baut Film-, Sound- und Diainstallationen. Seit 2005 betreibt er mit Off The Beaten Trackz quasi einen eigenen kleinen skurrilen BS Label Vinylkatalog. Das besondere daran: Das Vinyl besteht aus zwei mal vier Vierteln von älteren Platten. Er macht viel Krach und produziert gerne mal Chaos. Seine Druckgrafiken, Risografien (eine spezieller japanischer Druckvorgang), Leinwände und die mit Ruß bearbeiteten Büttenpapiere sind allerdings alles andere als chaotisch. Klare Umrisse, der genaue Umgang mit jedem noch so kleinen Farbpigment und die genaue Setzung grafischer und literarischer Elemente aus Pop- und Subkulturen verleihen den Werken eine minimale und akkurate Ästhetik. So auch in der Druckgrafik »Nowhere To Run« (2011), in der erst auf den zweiten Blick ersichtlich wird, dass hier ein grafisches Muster geschaffen wurde, bestehend aus einer Collage des Fashion-Klassikers, der Bomberjacke.

Raum erkämpfen

»Nowhere To Run« ist eine Arbeit, die eine Zeit spiegelt, die viele kennen: Gruppendynamik in Jugendkulturen, Rumhängen auf der Straße und Introjektion (Begriff aus der Psychoanalyse, eine Einverleibung von Objekten ins Innere). Wenn man also etwa dieselbe Platte immer und immer wieder hört, sich das Cover einprägt und die Codes aufnimmt. Eine Zeit, in der »… es extrem wichtig ist, was für ein T-Shirt du trägst, was für Hosen du trägst, was für Schuhe du trägst, welche Jacke du anhast, wo dann alles irgendwann zu einem Punkt führt: Die Gruppe, in der du dich bewegst, in der du irgendwie gemeinsam Raum erkämpfst. Na ja, eigentlich hat das irgendwie gar nichts mit diesem Gruppenzwang-Ding zu tun, sondern es geht darum, was du bist, von wo du kommst. Deshalb kamen dann auch die Bomberjacken mit ins Spiel.«

Das Chaos aus zahlreichen, übereinander angeordneten Bomberjacken fügt sich – wie im Falle von »Nowhere To Run« – zu einem floralen, insektoiden und kristallklaren Gebilde zusammen. »In den 90ern in Frankfurt, da trugen die aus dem Taunus grüne Bomberjacken, die Frankfurter hatten schwarze an, die ganzen Rave Kids hatten silberne an, Türkisch Power Boys hatten rote an … und so weiter. Irgendwie ging es da um das Erkämpfen der Straße, oder dieses Erkämpfen von Raum, Raum im physikalischen Sinne, oder einfach um dieses Präsenz-Ding.«

Graffiti, Hip Hop, Techno, Kunst

Das Erkämpfen von Raum und physischer Präsenz ist bei Björn Segschneiders Kunst zentrales Motiv und beginnt mit der Untersuchung vom urbanen Raum und den Identitäten, die ihn bewohnen. Er erzählt von seinem Weg über Skaten zu Graffiti, über Graffiti zu HipHop, über HipHop zu Techno zur Kunst. Er erzählt von dem Aufwand, um damals an Kopien von Alben oder Mixes auf Tapes zu kommen und von den ganzen leergespulten Batterien im Walkman. In seinen Ausstellungen verdichtet er die Mechanismen der vergangenen und gegenwärtigen urbanen (Sub-)Kulturen, den Loops, das Mash-up, den Remix, das Sample, Aufnahme- und Wiedergabeverfahren und seine eigenen Beobachtungen von Massen- und Gruppenverhalten, Rausch- und Konsumverhalten, von Geräuschkulissen und urbanen Bewegungsmustern zu einer Ausstellungschoreografie.

MS-20, RE201, LFO

Einer seiner Freunde meinte bei der Eröffnung von „Ideal Shallow Deep“ von 2012: „Du weißt schon, Björn, dass die ganze Ausstellung von dem Video getragen wird“. Ein kleiner Kathodenstrahlröhrenbildschirm stand am Boden. Das Video zeigte fließende und ruhige Bilder aus Lichteinfällen und Nebelfelder. Die Autobahn-Stahlbetonkonstruktionen dienten als Träger einer Spiegelung einer Veranstaltung in Stockholm. Unterschiedliche Bildelemente wurden einem jeweiligen Soundfilter zugeordnet. Ein Korg MS-20, ein Roland RE201, ein Flanger und ein LFO erzeugten durchgängige elektronische Soundimpulse. Die klangen wie eine Mischung aus Anfluglärm und Kreissäge. Die verstörende Akustik hatte so eine Power, dass die anderen Arbeiten irgendwie als Gegenspieler fungierten. Die mit schwarzem Ruß bearbeiteten Büttenblätter absorbierten jede Dissonanz und hoben so das Chaos wieder auf.

Björn Segschneiders Ausstellungen bewegen sich zwischen verstörenden und betörenden Elementen. Die Grenzen vom Chaotischen zum Rhythmischen sind fließend. Gerade diese Choreografie von flackernden und lauten Bildern, gepaart mit ruhigeren grafischen Elementen führt dazu, dass man ohne Bedenken einfach mal reinrauschen kann. So gelingt auch eine Spiegelung auf das Phänomen der Introjektion in Subkulturen.

Am 10. September wird Björn Segschneiders Einzelausstellung "Pale Blue Dot" in der Viertel Neun Galerie in Wien eröffnet. Neben »The Ideal Shallow Deep« werden eine neue Diainstallation sowie neue Videoarbeiten und Druckgrafiken zu sehen sein.

www.viertelneun.com

Bild(er) © Nowhere To Run – Inkjet auf Leinwand, 140cm x 140cm, Wien 2011 Tide – Finnpappe, Tafellack, Leim, Alu, Lautsprechermembran, Kabel, Verstärker, Player, 
Wien 2012 Somewere Between # 01 Somewere Between # 03, Lack & Metall Auf Leinwand, 150cm x 100cm, Wien 2013
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