The Man von Velvet Underground wirkte optisch wie ein bepackter Riese, war aber nur 1,65 Meter groß. Ein Umstand, der sich in seinem Werk widerspiegelt.
Lou Reed
2. März 1942 – 27. Oktober 2013
R.I.P.
Er stand wie ein Monolith für eine erkleckliche Anzahl an Bildern. Purismus, Avantgarde, New York, Drogen, Alkohol, Rock & Roll, Coolness, Sensibilität oder Stratocaster. Kurz eine Ikone.
Mit 71 Jahren musste Lou Reed seinem Lebensstil Tribut zollen. Nach einer Notoperation samt Lebertransplantation im Mai hatte seine Gattin Laurie Anderson wenig Hoffnung geäußert. Trotzdem wurden neue Pläne geschmiedet, jeder Tag als Geschenk angenommen. Wie der selbst im derbsten Rausch noch immer klar die Botschaft artikulierende Reed mal selbst analysierte, war sein Versuch, den Drogen zu entkommen langfristig gescheitert. Der Wechsel in den Alkohol hat seinen Körper nicht genügend entlastet, die Lebensqualität nur geändert. Welches Organ dann mal schlapp macht, ist letztendlich unerheblich. Schöne Nachrufe hatte er schon 2001 bekommen, nachdem er per Falschmeldung an einer standesgemäßen Heroin-Überdosis gestorben war.
Sein berührendes Requiem hat er für jemand Anderen geschrieben. Wo sich auch der Kreis schlüssig schließt. Zusammen mit seinem kongenialen Partner John Cale hatten die zwei getriebenen Masterminds von The Velvet Underground den Hut vor ihrem Förderer Andy Warhol gezogen. Die Hommage trägt den Titel „Songs for Drella“, wurde nur zu zweit aufgenommen und gehört zum Eindringlichsten, das man sich zum Abtreten wünschen kann.
Spars dir
Lou Reed war echtes New York. Wie Woody Allen, der nie einkehrende Schlaf und die grünliche Statue der Franzosen. Aus einer jüdischen Familie in Brooklyn stammend, zog er nach dem Bruch mit den Eltern gerade mal nach City. Zwar arbeitete er kurz dem Mainstream zu, sein Interesse galt aber schon früh dem Experimentellen, Free Jazz und dem, was später mal Avantgarde heißen würde. Zusätzlich folgte er seiner Liebe zum Wort und absolvierte die Anglistik, eine tiefe Freundschaft zu seinem Lehrer Delmore Schwartz inklusive. Ein glücklicher Zufall brachte auch den den Musikstudenten John Cale in seine Umlaufbahn. Beidseitige Bewunderung der jeweiligen Begabungen sollte sich als wunderbare Grundlage erweisen. Am Konto Reed waren da vor allem seine Lieder, die Texte und das ganz eigene Spiel an der Gitarre. „One chord is fine. Two chords is pushing it. Three chords and you’re into jazz.“, sprach der gebürtige Lewis Allan Reed mal weise. Nach den Jahren des Probierens (Vox, Gretsch) verwendete er mit Vorliebe ein pures Setup aus Fender, Telecaster oder Strat und DiMarzio. Was mit Cale samt einer bunten Truppe unter der Flagge The Velvet Underground geschah, war eigentlich wenig erfolgreich. Hat trotzdem seinen Platz in der Musikgeschichte bis zum Pop-Olymp und veränderte tatsächlich den Lauf der Töne. Nur drei Jahre hatte das ewig brodelnde Kernteam miteinander als gleißende Sternschnuppe, die zum Meteor Gewichtsklasse Tscheljabinsk wuchs. Andy Warhol formte um die demonstrativ zum Publikum abgewandt spielende Band ein Multimedia-Feuerwerk, brachte die scharfe Kölnerin Nico ins Spiel, produzierte und vermarktete die Ekstase. „The Velvet Underground & Nico“, „White Light/White Heat“ und „The Velvet Underground“ waren experimentelle Juwelen voller später zu Zitaten werdenden Momente, die mitunter erst lange danach Richtungen wie Punk, Goth, Wave,… – kurz den gesamten Alternative – erheblich beeinflussen sollten. Neben den stilistisch unterschiedlichen Kompositionen in oft rohem Sound gingen die Velvet auch thematisch mit Drogen, harter Sex und dem derben Leben herb voran. Erst als Cale schon lange, vom ebenso pedant intellektuellen Reed zur Weißglut getrieben gegangen war und der verbliebene Mastermind in der Mitte der Sessions zu „Loaded“ den Hut genommen hatte, wurde seitens Manager und Plattenfirma Erfolg ohne jenem vorherigen Anspruch geformt. Unerheblich aus der Sicht der nach höherem strebenden Köpfe. Zerfallen, verglüht und vorbei.
Alleine im Wind
Reed startet erst 1972 solo, zu viel Nebel im Kopf. Der Erstling geht vollkommen daneben. Aber noch im selben Jahr legt er mit David Bowie und seinem feinen Gitarristen Mick Ronson als Produzent „Transformer“ nach. Damit setzte sich der streitbare Grantler mit schon damals großen Männern ins Boot, doch es funktionierte gut. Neben Klassikern wie „Vicious“, „Perfect Day“ oder „Satellite of Love“ brachte vor allem der Welthit „Walk on the Wild Side“ endlich auch kommerziellen Erfolg in die drogenverseucht glanzlose Hütte. Und sowieso klar, der Glam geriet zum Hype, Freunde wie Iggy Pop, Marc Bolan oder Roxy Music lebten auch nicht langsam. Seine erste Ehe ging dementsprechend schnell den Bach runter. „Berlin“, heute besehen eine Glanztat mit Tiefenschärfe, kam gar nicht gut an. Was den weichen Kern im rauen Lebemann hart traf und seine trotzige Ader förderte. Seitens Plattenfirma drängte man auf mehr Radio-Kompatibilität, was er nur selten und widerwillig abhandelte. Auf Marke Rock n Roll Star pannierte sich der auch literarisch Aktive amtlich, verbrachte Jahre in einer Beziehung mit dem Transvestiten Rachel. Erst in den Achtzigern sollte sich Lou Reed, auch für einen Künstler seiner Klasse, ein drittes Mal neu definieren wie finden. Die Drogen wurden weicher, die Getränke mehr, neue Gattin wurde seine SM-Liaison Sylvia Morales. Nach dem fliegenden Wechsel zur Perfomance-Göttin Laurie Anderson, seiner letzten Gattin, sollte Morales seine Managerin werden. Der rebellische Weirdo transformierte zur coolen Ikone mit Understatement, zum Zyniker mit leisen Tönen. Bezeugendes Leckerli ist „New York“, das den aggressiven, politisch anprangernden Mann herausarbeitet. Neben dem Pabst bekam auch Österreich per Waldheim-Bash seinen Platz im Schaffen des Lou Reed. Nach dem Ableben von Warhol arbeitete man erstmals wieder mit Cale bei erwähntem Requiem, fand Gesprächsbasis. 1993 kam es kurzfristig zu einer Reunion von The Velvet Underground, die programmgemäß im Streit abgebrochen wurde. Dafür hielt sein starker Longplayer „Magic and Loss“ den hohen Level. Wie Reed später einmal sinnierend sagen sollte, hatte sich mit diesem Werk und dem literarischen "The Raven" sein Lebenswunsch nach einem runden Spannungsbogen für sein Schaffen geschlossen.
Altersschwäche
Zum bärbeißigen Mythos gewachsen folgten in den Nullern viele Kollaborationen, so auch 2009 die schräge, schwer verdauliche Scheibe „Lulu“ zusammen mit Metallica. Der nunmehrige Alkoholiker lebte seinen Hang zur Kakophonie an der Gitarre aus, ließ oft Verpflichtungen wie Projekte platzen und hatte zunehmend mentale Niederungen zu durchschreiten. Die Leber leitete dieses Jahr das Ende eines zerfurcht eingefallen Getriebenen ein, der sich schon lange in den eigenen Tretmühlen aufgerieben hatte. Einem kleinen Mann als einen der letzten Granden seines Metiers, wohl überhaupt einem der letzten Großen seiner Art.
the world has lost a fine songwriter and poet…I’ve lost my ‘school-yard buddy’ – john cale