Es gibt unterschiedliche Gründe, das Twitter-Service zu nutzen. Shameless Self Promotion ist einer der häufigsten davon. Das ist nicht verwerflich, man sollte dabei aber einige Grundregeln der guten Twitter-Etikette beachten. Ein Styleguide in Sachen Twitter.
Retweeting for Attention
Auf Twitter sind Justin Bieber, Armin Wolf und Barack Obama nur ein paar Klicks entfernt. Würde man sich im echten Leben dem Promi der Träume wohl langsam und schrittweise annähern und dann den richtigen Moment für ein Autogramm abwarten, versucht manch einer auf Twitter, die Aufmerksamkeit anders auf sich zu ziehen: mit begeistertem Retweeten, als wären all die kurzen Updates und Infobrocken plötzlich aus Gold. Der manische Fan macht es seinen eigenen Followern wirklich schwer, ihm nicht sofort die Followerschaft aufzukündigen.
Twitter, Die Bassena für Journalisten
Früher, zu den Hochzeiten der Printmedien, wurde man als gemeiner Bürger von den Streitereien unter Journalistinnen und Journalisten weitgehend verschont. So etwas fand ausschließlich im Feuilleton von Zeitungen statt; also jenem Teil, den außer anderen Journalistinnen und Journalisten eh niemand las. Nun ist diese Meute über Twitter hereingebrochen – und leider sind auch professionelle Kommunikatoren nur Menschen. Ihr Wissen um den Wert einer kleinen Kontroverse, ihr gesundes Sendebewusstsein und die damit verbundene Frequenz ihrer Tweets macht sie nur noch fehleranfälliger als den gemeinen Bürger.
Sperrfristen gelten - aber nicht für mich
Jeder Journalist lernt, was eine Sperrfrist ist (ein zeitlich begrenztes Veröffentlichungsverbot für bestimme Informationen), wozu sie gut ist (Zeit zur journalistischen Reflektion), und dass es einen Grund hat, warum man sie einhalten sollte (demokratiepolitische Gründe bei Wahlen, Fairnessgründe bei Buchrezensionen etc.) – doch für Twitter scheinen andere Regel zu gelten. Keine Sperrfrist ist mehr sicher vor Twitter-Usern auf der Suche nach mehr Gefolgschaft. Diese Form der stilistischen Nachlässigkeit sollte man sich allerdings sehr gut überlegen – denn auf das Missachten von Sperrfristen sind schon mal Pönalen von bis zu 50.000 Euro fällig, und zwar nicht nur für den ersten Übeltäter.
Die Sittenpolizei
Frauenanteil auf öffentlichen Veranstaltungen, im TV, auf Literaturveranstaltungen (#twittkultur): wer unbedacht für eine Nicht-Gender-neutralisierte Sache oder Veranstaltung wirbt, läuft Gefahr, ins Visier der Feminismus-Polizei zu geraten. Die Sache an sich, für die hier mit harten Bandagen gekämpft wird, mag eine Gute sein, aber der Zweck heiligt eben doch nicht alle Mittel. Offen gelassen sei hier auch, ob die Absicht hinter diesen Tweets überhaupt der Sache dienen sollte – oder nur der Positionierung einzelner Twitterantinnen.
Follow-Friday-Tweeting und Heave Retweeting
Der Follow Friday sollte Usern helfen, interessante Accounts zu entdecken: An Freitagen werden diese mit dem Hashtag #ff versehen und mit einer kurzen Erklärung getwittert. Fünf oder sechs Jahre später zeigt das Ritual des #ff gewisse Abnutzungserscheinungen. Mit dem #ff wird um Aufmerksamkeit gebuhlt, man hofft auf eine Gegenleistung des mit so viel virtueller Aufmerksamkeit Bedachten. Sei es durch Beachtung, einem Re-follow oder ein Re-#ff. Besonders spannend wird es, wenn Empfehlungen am #ff gleich mehrere Accounts erwähnen und dann auch noch retweetet werden. Schon allein um sich die Frage zu ersparen »Wie reagiere ich auf ein #ff, ein #ff ans Rudel oder gar auf den Retweet eines Rudel-#ff« sollte man sich aus diesem Ritual heraushalten.
Top Influencer in eigener Sache
Gerüchteweise gibt es mittlerweile Firmen, die nur Mitarbeiter einstellen, die in ihrem Fachgebiet einen bestimmten Klout-Score (klout.com) haben – also von einem Webservice, das den Einfluss im Netz in harten Zahlen misst und auf Twitter und Facebook die wichtigen »Influencer« erkennt. Mehr Punkte bekommt man, wenn man seinen Wert veröffentlicht, anderen Punkte gibt und auch das postet. Klout ist also die ultimative Echokammer für Egomarketeers. Auch wenn es irgendwie cool ist, ein Influencer in Sachen Bier, Katzen oder Schuhen zu sein – noch cooler ist man, wenn man seinen Klout Score nicht kennt.
Staubsaugervertreter-Tweets
Social Media ist, wie der Name schon sagt, kein Internet-Werbefenster. Dennoch hält sich dieser Irrtum bei manchen Usern beständig. Mehr oder weniger brachial wird auf Produkte aufmerksam gemacht oder gar ein »Call to Action« gesetzt, weil Marketing das so diktiert. Denn man müsse dem Follower schon einen Hinweis geben, wie er denn jetzt eigentlich zu interagieren hat, damit es zur gewünschten »Conversion« kommt, man also auch wirklich Aufmerksamkeit oder besser noch Geld liegen lässt. Warum man in den eigenen Twitter-Stream absichtlich Werbeeinschaltungen hineinnehmen sollte, ist die Frage, die der Keiler dann meistens nicht mehr zu beantworten weiß.
Hashtag-Trittbrettfahrer
Twitter bedeutet Echtzeitkommunikation. Das fühlt man vor allem dann, wenn man auf besonders prominente Hashtags (#grassermovies, #uausschuss #redwedding) klickt und die Tweets im Hundertstel-Takt an einem vorbeirasseln. Doch bleibt dem Beobachter nicht verborgen, dass viele Tweets so gut zum Thema passen wie eine Goldhaubengruppe bei der Regenbogenparade. Schuld daran sind Twitteranten mit geringem Selbstwertgefühl und meist noch größeren Marketing-Aufträgen. Plötzlich taucht Wodka-Werbung im Stream zum #tatort auf, auf einer Konferenz-Twitterwall beginnen die obligatorischen Vertriebler ihre »Top 10 der wichtigsten Marketingtools« oder ihre »Formulare für ein kostenloses Erstgespräch« zu verbreiten und ein Personalberater will seine spannenden Xing-Gruppenbeiträge unbedingt unter der Anti-Alltagssexismus-Diskussion zu #aufschrei unterbringen. Seid achtsam, ihr Spammer, denn hinter eurem Rücken lästern wir erbarmungslos über euch ab.
Fäkalsprachenaufmerksamkeitsspiralenfalle
Um zwischen all den lustigen Bonmots-Poeten, intelligenten 140-Zeichen Literaten und O-Ton-tauglichen-Zitatemaschinen bestehen zu können, muss sich manch simpleres Gemüt einiges einfallen lassen, um aufzufallen. Und wer einmal mit den derben Sprüchen anfängt, der muss die Dosis auch steigern. Das kann übel ausgehen, denn manchmal kostet es sogar Geld. Oder Reputation.
Neverending Stories
Leute, Twitter hat nur 140 Zeichen. Für manche Diskussionen – und auch für manche Egos – ist es nicht das richtige Format.
Twitter ist ein Mysterium. Social Network, Microblogging-Plattform, Social News-Plattform, Infofilter – jeder hat seine eigene Interpretation, was Twitter ist oder sein könnte. Fakt ist: nicht jeder kann intuitiv etwas mit den vorbeirauschenden Nachrichten anfangen, die oft auf den ersten Blick sinnbefreit erscheinen. Und es oft auch auf den zweiten Blick immer noch sind. Manch einer klagt über verwirrende Zeichen, die Insider »Hashtags« oder »Retweets« nennen. Andere bewegt die Thematik: wem soll ich folgen? Aber jeder stellt sich früher oder später die Frage: Was soll ich eigentlich twittern? Manche finden darauf nie eine Antwort und bleiben »Lurkers«, in Österreich etwa 17.000 Accounts, andere hingegen finden großen Gefallen an den 140-Zeichen-Nachrichten namens Tweets und sind nicht mehr zu stoppen. »Anything goes«, Paul Feyerabends Leitsatz zur Postmoderne war wie es scheint auch der Leitsatz der Twitteria. Doch Vorsicht, auch wenn technologisch alles geht (okay, bis auf 141 Zeichen), gibt es da eine andere Falle – den schlechten Stil.
Judith Denkmayr ist Geschäftsführerin der Kommunikationsagentur Digital Affairs und als @linzerschnitte auf Twitter aktiv.