Für ihr sechstes Studioalbum sind Tinariwen ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten gereist. Die Ergebnisse erweisen sich als amerikanisiert und gut durchgebügelt.
"Der Klang ist sauberer, breiter und wird ohne Zweifel auch gut in den Clubs funktionieren. Aber mir fehlen diese sensationell abgedrehten Sounds und – natürlich – die Verzerrung", schrieb Clive Bell im Wire zu dem 2013 erschienenen Album "Wenu Wenu" (Wo ist sie?) des syrischen Veteranen aller arabischen Hochzeitsfeiern, Omar Souleyman. Dieser ging für die Produktionsphase des Albums erstmalig in ein westliches Land (Amerika) und ließ eben dieses von einem gewissen Four Tet produzieren.
Ohne Frage, die sandigen Erzeugnisse der malischen Wüstenrocker Tinariwen haben mit Souleymans treibendem Dabke-Techno auf den ersten Blick wenig gemeinsam.
Zumindest auf Hochzeiten haben Tinariwen bestimmt auch gespielt – bis sie sich dem bewaffneten Freiheitskampf ihrer unterdrückten Minderheit, der Tuareg, angeschlossen haben. Allerdings sind Westafrikanische Militärcamps schon seit langem nicht mehr bevorzugtes Habitat des losen Gespanns um Bandgründer Ibrahim Ag Alhabib. Seit einem Auftritt beim Féstival au desert 2001 touren die Malier mittlerweile durch die westliche Welt. Und doch ist mit dem sechsten Album alles anders. Und hier kommt die Gemeinsamkeit mit Souleyman: Islamistengruppen wollen im Norden Malis eine eigene Idee des Kulturbetriebes umsetzen und führen ein generelles Auftrittsverbot für viele Künstler ein. Auch schrecken die Wüstenschurken nicht davor zurück, Kulturschaffende einzuschüchtern – selbst ein Mitglied von Tinariwen wurde entführt, mittlerweile aber freigelassen.
Go West
Aufgrund der politischen Instabilität ihres Heimatlandes sieht sich die Band also gezwungen, das erste Mal im westlichen Ausland aufzunehmen. Und da sich ihr 2011 erschienener Vorgänger "Tassili" auf dem britischen Label V2 durchschlagendem Erfolg erfreut, geht man aufs Ganze – in ein amerikanisches Studio. Damit der Wüsteneinfluss aber nicht vollständig verloren geht, wählt man den im südlichen Kalifornien gelegenen Ort Joshua Tree bei Palm Springs aus. Jener gilt als arrivierte Produktionsbasis für die sogenannte Stoner Rock/Desert scene, mit langharrigen Haudegenvertretern wie Brant Björk und Sun, Surf & LSD-Produzenten wie DJ Day. Passende Infrastruktur ist also vorhanden. Nur wie es in westlichen Studios nun mal so ist, sitzt irgendwo im Studio ein Tonmeister, der sagt, was geht und vor allem, was nicht. Und diesen verdammten Tonmeister hört man leider.
Trotzdem ist das vorliegende Werk natürlich kein Totalverhau. Die – Obacht Behauptung! – vom malischen Blindenpaar Amadou & Mariam abgekupferte Idee, Sand mit E-Gitarren zu kombinieren war schon 2001 geil und ist es noch heute. Und auch die von Lyrik durchdrungene Sprache, wahlweise tuaregsches Tamasheq oder westafrikanische Kolonialsprache, ist wenn auch mit Schulfranzösisch nicht zu verstehen, rund und weich, die charakteristisch-glucksenden Gs sind frohlockend vorgetragen.
Wüstenmusik auf Hochglanz
Da ist es auch verschmerzbar, wenn dem polierten Studioalbum ein bisschen der authentische Zauber vergangener, vor Lokalkolorit strotzender Produktionen abgeht. Und obendrein eignet sich "Emmaar" auch besser als Einstiegswerk, um all deine Freunde anzufixen.
Kürzlich durfte ich zufällig den Hollywood-Schinken Sahara, mit Matthew McConaughey und Pénelope Cruz, die in schönen Tuareg-Gewändern durch die malische Wüste gleiten, sehen. Beschissener Film, aber was das nicht (teilweise) für ein Soundtrack ist. Hätte von Tinariwen selbst stammen können. Wenn man dann also in seiner eigenen Sahara-Version durch die burgendländische Prärie brettert, zeigt sich: egal ob exotikgeiler Durchschnittsmitteleuropäer, Esoteriker, Afrikanist, einfach nur Fan vom Wüstensound im Autoradio oder Musikjournalist, wo Wüstenmusik sein wirklichstes Zuhause hat: Im Hintergrund.
"Emmaar" von Tinariwen erschien am 7. Februar auf Wedge. Im Gurdian kann man sich das ganze Album anhören.