Jeder kennt den Plastikhai aus "Jaws" oder die Pappmaché-Felsen aus "Star Trek" – doch es hat sich viel getan seit behauptet wurde, dass "Herr der Ringe" nie verfilmt werden könnte. Wie letztens bei Orphan Black.
Seit Charlie Chaplins Stummfilmen und den sichtbaren Fäden an der Enterprise haben sich Filme deutlich weiterentwickelt. Heute kann Film digital gespeichert und distribuiert werden, aber auch abseits der Digitalisierung tut sich einiges in der Filmindustrie. Frodo kann digital durch ein Miniatur-Isengard wandern und Sandra Bullock in „Gravity“ wie eine Marionette durch den Weltraum schweben.
Diesen Entwicklungen sind natürlich kleinere Schritte vorausgegangen, wie etwa „Tron“, der erste Film mit CGI, also computergenerierten Teilen, in 1982 und 13 Jahre später der erste rein computeranimierte Film, „Toy Story“. Doch die Entwicklung ist seitdem keineswegs stehengeblieben, man denke nur an die spektakulären „Bullet Time“-Effekte in „The Matrix“, Motion Capture-Technologie wie etwa in „Polar Express“ oder auch einfach an die Allgegenwärtigkeit von 3D. Neue, aufregende Fortschritte in den Bereichen Videoschnitt und Compositing sowie die stetig steigende Rechenleistung haben dem Film neue Wege der Dramaturgie ermöglicht. War eine Doppelrolle noch vor 30 Jahren mühselige Handarbeit, genügen heutzutage schon ein paar wenige Klicks für ein annehmbares Ergebnis. Doch auch hier werden die Grenzen immer mehr ausgereizt und erweitert.
Sieben Klone Gleichzeitig
Die 2013 gestartete BBC America-Serie „Orphan Black“ etwa, von der die zweite Staffel im April startet, zeigt die Hauptdarstellerin Tatiana Maslany in der Rolle von sieben Klonen. Das klingt an sich noch unspektakulär, wird aber eindrucksvoller, wenn man sieht, dass die Klone – also eine Person mehrmals in einem Bild – nicht nur miteinander sprechen, sondern sich auf die Schulter klopfen und umarmen. Hierfür muss eine Szene mindestens vierfach gedreht werden. Ein erstes Mal mit der Schauspielerin in der Rolle eines Klons und einer Doubleschauspielerin in der Rolle des anderen Klons – hierbei befindet sich die Kamera auf einem besonderen Stativgestell, das sich die Strecke „merkt“.
Beim zweiten Mal spielt Maslany alleine im Bild einen Klon und hört dabei durch einen Knopf im Ohr die Antworten mit, die sich im Endprodukt quasi selbst gibt. Danach spielt sie den jeweils anderen Klon, dies wird je nach Anzahl der Klone in der Szene wiederholt. Zum Schluss fährt die Kamera noch einmal durch den leeren Raum, damit in der Postproduktion etwaige Fehler ausgebessert werden können. Wenn dieser langwierige Drehprozess abgeschlossen ist, werden alle diese Bilder zusammengefügt, so dass die beiden Klone in einem Bild sind.
Sollten sie sich dabei berühren, so wird das Bildmaterial vom ersten Durchlauf genommen und z.B. der Arm des Schauspieldoubles auf Maslanys Schulter genommen, ab dem Ellenbogen abgeschnitten und ab diesem Abschnitt Maslanys eigener Arm wiederum eingefügt. So entsteht das Bild, dass zwei Tatiana Maslanys in einem Bild sind und sie sich selbst mit einem Messer bedroht. Vor etwa drei Jahren wäre dies noch nicht technisch umsetzbar gewesen, einerseits wegen des automatisierten Fahrgestells und andererseits aufgrund der Nachbearbeitungssoftware. Graeme Manson und John Fawcett, die kreativen Köpfe, die hinter der kanadischen Science-Fiction-Produktion stehen, haben vor dem eigentlichen Produktionsstart rund zwei Jahre an dem Konzept und der möglichen Umsetzung gearbeitet, bevor sie ihre Vision verwirklichen konnten.
Puppenspieler in der Lichtbox
Sie sind nicht die einzigen, die sich gedulden mussten, bis sie ihre Idee Wirklichkeit werden lassen konnten. Ein weiteres Beispiel, das letztes Jahr für viel Aufsehen gesorgt hat, ist Alfonso Cuaróns „Gravity“. Hier wurde anfangs gedacht, dass der Film ein kleines Projekt sein würde, simple Handlung, zwei Charaktere. Jedoch mussten hier eigens Prozesse und Equipment neu erdacht und erfunden werden, wie etwa die Lightbox. Hierbei handelt es sich um einen rund 2,7 × 2,7 × 2,7 Meter großen Würfel, der mit 4096 LED-Leuchten ausgestattet ist, um die Licht- und Schattenspiele auf den Gesichtern der Schauspieler zu ermöglichen.
Die überdimensionale Kiste wurde auch verwendet, um die Illusion der Schwerelosigkeit zu wahren – die beiden Hauptdarsteller wurden darin eingespannt, damit die Kamera sich um sie herumbewegen konnte. Wären sie nämlich tatsächlich kopfüber gewesen, hätte man ihnen die Belastung angesehen – eine Belastung, die es im All nun mal nicht gibt. Um den Effekt der Schwerelosigkeit noch besser zeigen zu können, wurden Bullock und Clooney von jeweils zwölf hauchdünnen Fäden wie Puppen dirigiert und in die Richtung gedrückt, in die Zero-G sie leiten würde. In anderen Filmen davor wurde dies durch Aufnahmen in einem Flugzeug im freien Fall – wo 25 Sekunden Schwerelosigkeit geschaffen wurden – gefilmt. Da Cuarón aber längere Szenen drehen wollte, um die Ästhetik der langsamen Kameraführung und der wenigen Schnitte zu wahren, war diese Technik ausgeschlossen. So haben sie einen neuen – wenn auch aufwendigen – Weg gefunden, die Schwerelosigkeit in langen One Shot-Szenen auf die Leinwand zu zaubern.
Einer der essenziellen Vorreiter hierfür war allerdings die „Herr der Ringe“-Trilogie, für die so manche neue Prozesse erfunden wurden. Hierauf baut auch der letzte filmische Teil der Franchise, der in drei Teile geteilte „Hobbit“, auf. Natürlich wurden hier auch die bisher verwendeten Techniken wie Größendoubles (um die Zwerge und Hobbits unterschiedlich klein aussehen zu lassen) oder die der Miniatur-Kulissen, durch die eine ferngesteuerte Kamera fuhr, verwendet. Wodurch aber mehr öffentliches Interesse erregt wurde, war einerseits der HFR-Standard, also High Frame Rate, und Motion Capture für den Drachen Smaug. HFR bedeutet, dass der Film statt mit den 24 Frames pro Sekunde, die üblicher- weise Standard sind, mit 48 Frames pro Sekunde abgespielt wird. Dies soll dazu führen, dass mehr Details sichtbar werden. „Der Hobbit: Eine unerwartet Reise“ war zwar nicht der erste Film, der so gedreht und (zumindest in vielen Kinos) gezeigt wurde, aber der erste Spielfilm dieser Art, der in den USA in entsprechend vielen Kinos lief.
Nicht nur eine Augenweide
Nach dem Erfolg dieser Technik sind jetzt auch schon erste Nachahmungen geplant, zum einen James Camerons „Avatar“-Sequel und auch Andy Serkis‚ „Animal Farm“ Adaption. Diese werden allerdings nicht auf Film gedreht, sondern digital. Ein weiterer Spezialeffekt, der im Vorfeld des zweiten Teils „Der Hobbit: Smaugs Einöde“ für Aufsehen gesorgt hat, war Motion Capture. Hier wurde ein Video online gestellt, in dem Benedict Cumberbatch, mit Motion Capture-Punkten ausgestattet, Smaug spielt. Dadurch wurden seine Bewegungen und Mimiken auf den digitalen Drachen übertragen.
Man sieht also an diesen drei Beispielen die zahllosen Möglichkeiten, über die Filmemacher heute verfügen. Entscheidend ist dabei, dass es sich nicht nur um reine Gimmicks (sog. „eye candy“) handelt, sondern dass sie helfen, die Story zu erzählen – Dinge sichtbar zu machen, die bisher nur in Büchern möglich waren. Technik war und ist also ein essenzieller Baustein einer Erzählung. Dabei gibt es noch unzählige Ausbau- und Forschungsmöglichkeiten, um Filme noch realistischer wirken zu lassen.
Die zweite Staffel von „Orphan Black" startet am 19. April auf BBC America. Ab 2. Mai startet "Orphan Black" im deutschen Sprachraum auf ZDF Neo.
Dieser Artikel erschien erstmals in The Gap Niederösterreich (hier komplett lesen bzw als PDF saugen), eine Kooperation von The Gap und dem Studiengang Medienmanagement der FH St.Pölten.