Thomas Meinecke hinterfragt Geschlechterrollen. Am Samstag wird das Buch "Truth is Concrete", dem Schwerpunktthema des vorletzten Steirischen Herbsts, in dem sich internationale Aktivisten mit Strategien engagierter Kunst auseinandersetzten, vorgestellt. Wir haben Thomas Meineckes Essay exklusiv schon vorab für euch.
The Village Voice, New York City, 13. Februar 2013.
Michael Mustos Kolumne. Er hat sich mit Michael Formika Jones getroffen, dem wir auch (bereits bei Nan Goldin) unter dem Namen The Mistress Formika begegnet sein können, sagt Venus, die das Blatt letzten Monat aus Amerika mitbrachte. Eva kennt Mistress Formika als legendären Deep House DJ in den Drag Bars am Times Square, aus der mit drastischen Legenden gespickten Geschichtsschreibung der Underground Dance Music. Außerdem, weiß sie, hat Wolfgang Tillmans 1995 ein Portrait von ihm geschossen. Genoveva erinnert die Fotografien Goldins aus der Frühzeit dieser Szene. Darüberhinaus hat sie den Dokumentarfilm Wigstock gesehen. The Mistress Formika habe damals eine wirklich auffallend hübsche Frau abgegeben. (Auch die anderen eigentlich: Misty, Cody, Jimmy Paulette, Miss Guy, und wie sie alle hießen.)
Normal, sagt Genoveva; das gesamte Konzept sogenannter Weiblichkeit sei spätestens seit der Französischen Revolution eine genuin männliche, phallologische Konstruktion, für deren Stabilität Philosophen, Pädagogen, Gynäkologen und Couturiers verantwortlich zeichneten. Interessant finde sie eher, wie diese Konstruktion neuerdings vielerorts umgestülpt werde und auch die Künstlichkeit der traditionell definitionsmächtigen Maskulinität, durch Frauen (Ausrufezeichen), performativ hervorgehoben werde. Zunehmend aber auch durch Männer, ergänzt Venus, denke nur mal an all die wallenden Bärte gezielt effeminierter Bohemisten. Oder hier, sieh dir mal diese Anzeige von Louis Vuitton an: Junger Mann auf Segelyacht, in zweireihigem Blazer, weißem Oberhemd, mit silbriger Krawatte, aber einer eigentümlichen Brosche in Form einer kleinen goldenen Takelage am Revers, sowie einer sehr damenhaften Vuitton-Handtasche, und zwar geschultert. Hatten wir doch auch schon, gibt Eva zu bedenken: Das klassische Dandy-Programm. Charles Baudelaire. Peter Altenberg. Quentin Crisp.Spätestens seit dem berühmten Cover des zweiten Hefts von THE GENTLEWOMAN, das die führende Modefotografin Inez van Lamsweerde mit angelegtem Vollbart zeigt, haben wir es auch auf genetisch weiblicher Seite mit einer produktiven Aneignung (sagen wir ruhig: emanzipatorischen Eroberung) dieses patriarchalen Topos zu tun, hält Genoveva fest. (Könnte man aber auch bis zu Frida Kahlo zurückverfolgen.)
Michael Musto berichtet in der Village Voice von Michael Formika Jones’ letztem Liebhaber, einem schwulen Mann, dem er den Decknamen Pat verleiht, welcher bald transsexuelle Tendenzen entwickelte und sich zunehmend als heterosexuelle Frau, die in einem Männerkörper gefangen sei, zu begreifen lernte. Michael, der seit Jahren nur mehr sporadisch in drag (The Mistress Formika) erscheint, aber dessen Kleiderschränke noch von BHs, Nylons und Stöckelschuhen überquellen, fiel aus allen Wolken, als er seinen Freund erstmals auf hohen Hacken erwischte. (Und rief schockiert aus: What are you doing in my pumps?) Doch dann entwickelte er einen gewissen erotischen Sinn für das neue Erscheinungsbild seines Freundes.