Blasmusikpop

Die vermeintliche Klischee-Band The Antlers entdeckt den Jazz für sich, setzt die zahlreichen Blechbläser aber zu oft zu penetrant ein. Was dabei rauskommt ist eher durchschnittlich.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Es gibt ja eine Reihe von Bands, die ein bestimmtes Zielpublikum als Assoziationen in die eigenen Synapsen schmeißen. Allesamt Klischees der übleren Sorte, gerne auch mit Drogen verknüpft: Bob Marley hören nur ökologisch einwandfreie – und mal ehrlich: modisch in den 90ern stecken gebliebene – Dreadheads, denen man das bisschen Weed zwischen Daumen und Zeigefinger gar nicht übel nehmen kann. Das wird den drei Ausnahmen und deinem Papa jetzt nicht gefallen, ist aber in Grunde so. Pink Floyd hören auch entweder Ü40-Rockopas, deren musikalisches Interesse die 70er nicht überlebt hat und/oder schwer LSD-Abhängige. Und die einzigen, die tatsächlich noch Indierock aus der 2004er-Schule hören – Franz Ferdinand, Bloc Party und Konsorten – sind Flex-affine Pete-Doherty-Lookalikes mit Fedora und Heroinchic, trotz ausschließlichem Bierkonsum. Soll man nicht schreiben, man macht sich keine Freunde, wir tun es aber trotzdem.

Und auch The Antlers drohten auf ewig in der Klischeehölle zu brennen. Rotweintrinken, IKEA-Billigmöbel, Lo-Life-Blog, ein paar Like-haschende Facebook-Zeilen vom Scheitern, Träumen, von Geburt als Beginn des Sterbens. Das Suhlen in First-World-Problems, gelebt in den letzten Wochen des Jugendzimmers der Provinz, oder schon in den ersten Momenten des großstädtischen WG-Lebens.

Der Hype und seine Klischees

Als The Antlers auch im Land der Mannerschnitten zu einiger Bekanntheit aufstiegen, ist es 2009. Ihr drittes – oder je nach Definition auch erstes – Album "Hospice" wird landauf, landab in ebenjenen Lo-Life-Blogs gefeiert, auch The Gap stimmt zurecht zu. Peter Silberman und seine damals neuen Kollegen Darby Cicci und Michael Lerner schafften es, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein: The Antlers hörten alljene, denen Bon Iver zu mainstreamig oder zu durchgehört war. Aber auch diejenigen, an denen das bereits zwei Monate vorher veröffentlichte erste The xx-Album vorübergegangen war, bevor sie es aus den Jahresbestenlisten der wichtigen Magazine – und das waren damals noch Musikexpress und NME – recycleten und für sich beanspruchten. Die Geschichten der US-Amerikaner, die von Krebs, Liebe, Hoffnung handeln, sind Balsam für die ersten Versuchskaninchen für das, was man später Generation Maybe nennen wird.

Der 2011er-Nachfolger „Burst Apart“ fällt – so der allgemeine Tenor – verhältnismäßig durchschnittlicher aus, die Songs wirken pseudo-mysteriös, unfertig und knüpfen auch lyrisch nicht an die Schwere von „Hospice“ an. Zum größten Problem für The Antlers wird jedoch, dass das Publikum, dessen Klischee mittlerweile klar sein sollte, weitergezogen ist. 2011 hört man James Blake, Girls oder eben wieder Radiohead. Bei uns hört man auch gerne Elegien über Sebastian in the rain. The Antlers bleiben trotz respektabler Charts-Performance – der typische Effekt eines in der Blogosphäre gehypten Vorgängeralbums – unter dem Radar der allergrößten Aufmerksam in Hipster’s Paradise.

Jazz ist anders

Am 13. Juni erscheint nun mit „Familiars“ das fünfte Album. Endlich, schließlich ist seit Anfang April schon die passende Wiki-Page online, Fans gibt es also noch genug. Und Erwartungen. Produziert hat safe bed Chris Coady, der schon für Yeah Yeahs, Beach House, Future Islands und so ziemlich jeden Hype der letzten Jahre an der Mischmaschine aktiv war. Angeführt vom Blechblas-Beauftragten Cicci baden The Antlers neuerdings ins ebenjenen Instrumenten, sie bleiben dabei aber selbstverständlich äußerst stilvoll, üben sich in uramerikanischen Jazz-Soul. Leider wirken die Trompeten oft zu penetrant eingesetzt, zu allgegenwärtig. Etwas dezenterer Einsatz hätte nicht geschadet.

Passend zum neuen Jazz der Antlers – der ihnen durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit den Tindersticks einbringt – gibt Sänger Silberman den Crooner, schafft eine Art großmannssüchtige Intimität, bindet den Hörer an sich und zwingt ihn, sich zu konzentrieren, kein Wort überhören zu wollen. Am eindruckvollsten gelingt Silberman das auf dem leicht shoegazenden „Director“, wo er famose Zeilen wie „You say ‚lend me your eyes to evolve / from that actor I fight in the dark / where I’m two twins I can’t tell apart!’“ in den Äther wirft.

„Familiars“ nimmt sich Zeit. So werden die neun Songs auf 53 Minuten ausgedehnt, keiner bleibt unter 4:56. The Antlers haben sich gegen Songs entschieden, die auch alleine, gut funktionieren, einzig die erste Single „Palace“ ist da die logische Ausnahme. Investiert wurde dagegen in die Stimmung, in ein einheitliches Klangbild, in einen abgerundeten Sound. „Familiars“ ist ein Album zum Durchhören, tendiert dabei eher zu den schönsten Momenten im Leben, ist mehr Album zum Zweisamsein, denn zum Einsamsein. Aber vielleicht haben die Rotweintrinker und Lo-Life-Blogger von 2009 schon jemanden zum Kuscheln gefunden. Vergönnt sei es ihnen. Ausnahmsweise.

„Familiars“ von The Antlers erscheint am 13. Juni 2014 via Transgressive / [PIAS] Cooperative. Am 16. Oktober spielen sie im Wiener Flex.

Bild(er) © Marc Lemoine / Transgressive/ANTI
Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...