Solider deutscher Indiepop mit allerhand Streichern, Bläsern und Klavier. Niels Frevert macht zwar nichts falsch, schafft es aber nicht, aus der Masse hervorzustechen. Business as usual.
Das Sinnbild für ein Genre
Für jemanden, dessen erste ernsthafte und intensive Kontakte mit deutschem Indiepop altersbedingt die "Müssen alle mit"-Sampler des Hamburger Labels Tapete Records waren, war Niels Frevert – auf zwei Ausgaben vertreten – ein bisschen das Sinnbild für ein Genre. Perfekt ins Tapete-Roster passend. Verspielter Indiepoprock mit identifikationsstiftenden Texten, das war so im zweiten Quartal der geliebten Noughties das Ding. Tapete war da weit vorne. Mittlerweile sind die Fans des Labels weitergezogen, nur wenige der jüngeren Releases – so etwa das Debüt der Supergroup Die Höchste Eisenbahn – konnten überzeugen. Auch Frevert ist weitergezogen, zu Grönland. Er gesellt sich damit zu illustren Gestalten wie Gang of Four, Philipp Poisel oder Gloria, dem "Projekt" des unsäglichen Klaas Heufer-Umlauf.
Neuer Abschnitt
So beginnt mit "Paradies der gefälschten Dinge" ein neuer Abschnitt für Frevert, auch wenn die Pause zwischen dem Vorgänger "Zettel auf dem Boden" nur – für seine Verhältnisse – rekordverdächtige drei Jahre betragen hat. Produziert hat dieses Mal Olsen Involtini, der sonst Seeed zusammenpanscht. Aber, das sei verraten, verändert hat sich bei Frevert musikalisch nicht viel, auch wenn einige Tendenzen absehbar sind: So gibt sich das neue Album deutlich reichhaltiger in seiner Instrumentierung als die frühen Großtaten des gebürtigen und mittlerweile 46-jährigen Hamburgers, mal tauchen Streicher auf, mal wieder Bläser. Hauptsächlich werden die zehn Stücke jedoch vom Klavier getragen, die Gitarre bleibt meistens dezent im Hintergrund, setzt vereinzelte Akzente. Frevert führt damit zwar die bestimmenden klanglichen Maßnahmen des Vorgängers fort, intensiviert sie aber doch merklich.
Der Referenzkasten
Er bewegt sich damit in eine Richtung, die man ihm noch vor zwanzig Jahren eher nicht zugetraut hätte. Ihm, dem ehemaligen Sänger der Hamburger-Schule-Rocker Nationalgalerie, deren Debüt "Heimatlos" seltsamerweise den Weg in die Vinylabteilung eines Wiener Elektrogroßmarktes geschafft hat. Große Kaufempfehlung, by the way.
Frevert bewegt sich in die Richtung von Moritz Krämer, Gisbert zu Knyphausen und ja, auch Philipp Poisel. Und zumindest die beiden erstgenannten sind ja nicht die allerschlechteste Referenz. Seine Stimme allerdings fühlt sich immer mehr nach Olli Schulz an, auch wenn sich Frevert in der Position des Crooners hörbar wohlfühlt. Er singt, natürlich ungereimt, von den klassischen Themen, denen sich nicht nur die bereits genannten Künstler nicht erwehren können: Vom Verfall der Liebe, von der Chancenlosigkeit als vermeintlicher Loser ("Du bist erste Klasse / Ich bin zweite / Triffst du mich im Speisewagen?" oder "Manchmal hält das Gefühl einen Moment lang in mir an / Dass du so besonders bist, dass ich mit dir nicht mithalten kann.", beide aus "Speisewagen"). Das kennt man, das hat man schon gehört.
Frevert macht zwar nichts deutlich besser als seine Kollegen, aber auch nichts schlechter. So ist "Paradies der gefälschten Dinge" ein solides Album, das man durchaus durchhören kann. Das Rad erfindet es jedoch nicht neu, aber wer will das schon? Es läuft auch so rund.
"Paradies der gefälschten Dinge" von Niels Frevert erscheint am 22. August via Grönland. Er besucht das Wiener B72 am 21. November im Rahmen seiner Tour.