Wolfgang Ainetter ist im Startup-Rausch. Immerhin wurden hier die größten Firmen der Welt gegründet. Aber was machen, wenn man scheitert?
Was macht man nach einem 12-Stunden-Tag im Silicon Valley? Die Website meetup.com ist ein Online-Portal für Netzwerker auf der ganzen Welt.
Schnell „Mountain View“ in die Suchleiste tippen, und alle Abendveranstaltungen ploppen auf: Treffpunkte für „Entrepreneurs, Developers, Startups“ zum Thema „Innovation, Virtualization, Leadership, Cognitive Computing“. Für all jene, die sich in dieser virtuellen Welt nach realer Liebe sehnen, gibt es die Gruppen „Lovely Happy Singles“, „Christian Singles“ oder „Lesbian Baby Boomers“.
Mir ist heute nicht nach organisierten Kollektiven zumute. Eine Kollegin des Online-Magazins OZY nimmt mich glücklicherweise zu einer Homeparty mit. Dort treffe ich Matthias und Michael, beide aus Deutschland, beide 24 und für ihr Alter erstaunlich abgeklärt. Sie geben mir an diesem Abend eine Art Proseminar – „Silicon Valley für Anfänger“.
Matthias hat bereits mit 17 in Nürnberg sein erstes Startup gegründet. Mit „Sculio“ wollte er Sponsoren für Schulen suchen und dafür Vermittlungsprovisionen kassieren. „Ich bin an den Lehrern gescheitert, die mit Kapitalismus wohl nicht soviel anfangen können“, sagt Matthias heute.
Mit 22 Jahren hat der Betriebswirtschaftler die nächste innovative Geschäftsidee. Während eines Auslandssemesters im kalifornischen Fresno macht er folgende Beobachtung: Im Gegensatz zu Deutschen und Österreichern haben die Amerikaner niemals dicke Geldbörsen mit vollen Münzfächern einstecken. Mit seinem Studienfreund René lässt er ebenso handliche wie trendige Portemonnaies produzieren. Die kleinen Geldbeutel sind ein großer Erfolg: Bereits im zweiten Jahr wird die Firma „Spacewallet“ voraussichtlich 30.000 Stück absetzen. Ein Exemplar kostet übrigens bis zu 29,90 Euro.
Der Liebe wegen ist der Jungunternehmer vor ein paar Monaten in die San Francisco Bay Area gezogen. In Palo Alto arbeitet er für „German Accelerators“. Diese von der deutschen Regierung finanzierte Organisation hilft Startups from Germany, den US-Markt zu meistern. Die Entrepreneurs bekommen für drei Monate namhafte Mentoren zur Seite gestellt und ein kostenloses Büro. Einer der Kandidaten hat erst kürzlich ein T-Shirt erfunden, das den Herzschlag misst.
Während Matthias zumeist junge amerikanophile Gründer betreut, berät Michael aus Braunschweig unternehmerische Schwergewichte aus der Bundesrepublik. Zu den Kunden von „German Silicon Valley Innovators“ (ebenfalls in Palo Alto ansässig) zählen etwa der Energieriese RWE oder die Internetapotheke DocMorris. Michael, der an der University of Rhode Island Wirtschaftsingenieurwesen studiert hat, hilft deutschen Delegationen beim Netzwerken und stellt für sie Business-Kontakte her.
Was ist denn nun so anders im Silicon Valley, frage ich, der Laie, und höre nebenbei, dass auch die anderen Gäste an diesem Abend fast nur über Business reden.
Das Denken
„Das gesamte Denken ist hier grundverschieden“, antwortet Matthias. „Die Deutschen und auch die Österreicher wollen Veränderungen nur Schritt für Schritt angehen. Nehmen wir das Auto als Beispiel: In der Heimat denken wir nur daran, wie wir einen Wagen herstellen können, der um 0,2 Liter weniger Benzin verbraucht und weichen von diesem Ziel im Kopf keinen Millimeter ab. Die Amerikaner denken ganzheitlich, indem sie sich geistig nicht auf das Auto beschränken, sondern mit der Mobilität an sich auseinandersetzen: Okay, ich will von A nach B, also erfinde ich irgendetwas, das die Person am besten bewegt.
Google hat gerade ein selbstfahrendes Auto gebaut, das eigentlich ein Büro ist. Ich setze mich rein, kann arbeiten und brauche nicht mehr auf den Verkehr zu achten. Hier in Mountain View habe ich schon einige Google-Autos gesehen.“
In ein paar Jahren wird auch der Tesla-Gründer sein Konzept verwirklicht haben, dass der Mensch in einer Röhre blitzschnell von San Francisco nach Los Angeles reisen kann.
Können Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, die Reaktionen vorstellen, wenn Elon Musk mit seiner „Hyperloop“-Idee in Österreich aufgekreuzt wäre? Garantiert hätte der Crazy Guy aus Amerika – auf gut Wienerisch Fetzenschädel – bei keinem Regierungsmitglied einen Termin bekommen. Und wenn doch? Dann hätte Bundeskanzler Werner Faymann vermutlich die ganze Zeit lieb genickt.
Die Liebe zum Risiko
„Der unbedingte Wille zum Erfolg beginnt hier schon an der Uni“, sagt Michael. „In Stanford lernt jeder, dass Unternehmertum das Größte ist. Es ist kein Zufall, dass im Silicon Valley Google, Facebook, Apple, Amazon, Tesla, Adobe, eBay, Oracle oder LinkedIn sitzen. Sogar die Angestellten denken wie Unternehmer und lassen sich sehr oft mit Aktien bezahlen. Bei Twitter und Facebook sind so 5.000 Mitarbeiter zu Millionären geworden.
In Deutschland und Österreich könnte man Beschäftigte niemals mit Aktien bezahlen – die denken nur an Sicherheit und Rentenansprüche.“
Als Startup, sinniert Michael, bekomme man zuhause maximal eine Million Euro von Investoren. „Wer aber für seine Idee 10 Millionen braucht, muss ins Silicon Valley.“
Keine Beamtenschikanen
Firmengründungen laufen in Kalifornien äußerst nervenschonend ab. Der Founder braucht nur zu einem Anwalt zu gehen, der für ihn in maximal zwei Tagen alles Administrative erledigt. Michael: „Amerika ist das Land der Entrepreneure.“ Deutschland und Österreich sind die Länder der Bürokraten.
„Die Leute hier sind offener als in der Heimat“, sagt Matthias. „Man knüpft auf Veranstaltungen schnell die richtigen und wichtigen Kontakte.“ In Europa schottet sich ein Manager mit zehn Vorzimmern ab.
Millionäre als Vorbilder
Der Glanz der anderen: „In Palo Alto sind deine Nachbarn alle Millionäre, die durch Startups reich geworden sind. Jedes Haus kostet hier mindestens zwei Millionen Dollar. Die Menschen, die neu ins Silicon Valley kommen, haben täglich mit Superreichen zu tun. Sie sehen, dass es jeder ganz nach oben schaffen kann.“ (Michael)
Dann sagt Matthias auf einmal ein paar Sätze, die so gar nicht in den bisherigen Gesprächsverlauf passen: „Ich will hier erfolgreich sein. Aber ich möchte nicht, dass mein Kind eines Tages im Silicon Valley aufwächst. Mein Kind soll nicht glauben, dass jeder auf der Welt Porsche fährt, jeder ein Stanford-Absolvent ist und jeder ein Startup gegründet hat.“
Es ist spät geworden. Ich bedanke mich für die Lehrstunde und verabschiede mich. Mit meinem klapprigen Fahrrad radle ich, vorbei an Ferraris und anderen Luxusschlitten, die drei Meilen heim zu meiner Gastfamilie.
Victoria, meine wunderbare Vermieterin, ist noch wach. Manchmal arbeitet sie bis weit nach Mitternacht. Vor 15 Jahren ist sie aus Neu-Delhi zum Studieren nach Stanford gekommen – und mit ihrem Mann gleich hiergeblieben. Beide haben ihre Spitzenjobs bei Google bzw. Hewlett-Packard gekündigt und entwickeln gerade ihr eigenes Startup.
Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und stelle die Tabufrage aller Silicon-Valley-Tabufragen: „Was, Victoria, wenn dein Startup kein Erfolg wird?“
Keine Angst vor dem Versagen
Victoria lächelt. „Dann“, sagt sie, „drücke ich die Reset-Taste und starte mit voller Kraft wieder von vorne los. Wer Erfolg haben will, muss daran glauben und sich frei von seinen Ängsten machen.“
Der ehemalige „Spiegel“-Chefredakteur Wolfgang Büchner hat auf Twitter unter sein Foto eine Lebensweisheit geschrieben: „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.“
Und diese 12 Worte sind auch ein Stimmungsbarometer für das mächtigste Tal der Welt.
AD PERSONAM
Wolfgang Ainetter (hier auf Twitter) war Ressort-Leiter bei der Bild Zeitung, Chefredakteur der Gratis-Zeitung Heute und zuletzt Chefredakteur bei News – als längstdienender Chefredakteur nach dem Gründer. Diesen Sommer über bloggt Ainetter für The Gap über seine Hospitanz bei OZY im Silicon Valley.
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